6856646-1977_18_05.jpg
Digital In Arbeit

Schule im Streit?

Werbung
Werbung
Werbung

Die Novelle zum Schulunterrichtsgesetz ist mit den Stimmen der beiden Großparteien über die Bühne gegangen. Lehrer und Eltern werden froh sein, etliche Bürokratismen abbauen zu können, die seit dem Inkrafttreten des Gesetzes Unmut erregt hatten. Noch einmal stand die Einheitsfront der Schulreformer von 1962 wie einst bei jenem letzten großen Werk der großen Koalition. Zum letzten Mal?

Die Sprecher von damals, Harwa- lik und Neugebauer, haben das Parlament längst verlassen. Eine neue Generation von Politikern ist nachgewachsen. Auch sie bekennen sich- oder bekannten sich bisher - zum gemeinsamen Vorgehen in der Schulpolitik. Aber ihnen ist die Erinnerung an vierzig Jahre scheinbar unversöhnlichen Kampfes nicht mehr lebendig. Für sie ist das Gesetzwerk von 1962 ein Gesetz wie jedes andere, jederzeit in Frage zu latellen nichkdieso lange.vergeblich versibchte Brücke über den geistigen Abgrund.

Der letzte Unterrichtsminister der ÖVP, Alois Mock, stellte nun die Gretchenfrage. Wenn man Kooperation wolle, meinte er, müsse man auch garantieren, daß das, was man sage, auch der tatsächlich praktizierten Politik entspreche und nicht immer wieder von namhaften Repräsentanten der Partei desavouiert werde. Mock sprach aus, was sich in den letzten Jahren bei vielen Beobachtern der Schulentwicklung an Unbehagen angesammelt hatte:

Da wurde etwa-ganz im Sinn des Schulgesetzwerks von 1962 und der seither gemeinsam betriebenen Fortentwicklung - ein breites Spektrum von Schulversuchen für die „Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen” eingeleitet. Bevor aber noch konkrete Ergebnisse vorliegen konnten, ja trotz so mancher warnender Ergebnisse bei vergleichbaren ausländischen Modellen, betonten sozialistische Propagandisten mit dem Brustton der Überzeugung, I die integrierte Gesamtschule habe ihre Bewährung bereits abgelegt und sich als einzig brauchbare Form für alle Zehn- bis Vierzehnjährigen erwiesen. Ja, mehr noch: In Wien wurden von Anfang an bewußt alle Weichen in diese Richtung gestellt (obwohl die Eltern nur sehr beschränkt mitmachten).

Aber war nicht auch der Versuch der ÖVP, mit der Fünftagewoche in der Schule vorzupreschen, vom Gedanken geprägt, die anderen zu überspielen? Die Papiere für den Parteitag in Linz waren schon fertig, als Minister Sinowatz dem Gegner die Show stahl. Das ist doch wohl das beste Beispiel dafür, wohin eine Politik gerät, die nur darauf aus ist, den andern zu überfahren, gleich mit welcher Materie.

Der zuständige Minister, der doch berufen wäre, die pädagogischen Interessen „mit Zähnen und Klauen” zu verteidigen, stellte sich trotz eingestandenen Mißbehagens an die Spitze einer Aktion, die in logischer Fortentwicklung todsicher zu einer Beeinträchtigung der Schule führen muß. Weil ein Viertel aller Schüler bereits den freien Samstag „genießt” - in den Schulversuchen meist unter gar nicht vergleichbaren Voraussetzungen -, sollen die übrigen drei Viertel trotz der für sie wesentlich weniger günstigen Ausgangspositionen ebenfalls zu diesem Genuß gezwungen werden. Obwohl ein Großteil der Eltern ebenso dagegen ist wie ein Großteil der Lehrer, und obwohl die Ärzte eindringlich vor den gesundheitlichen Gefahren für die Kinder warnen (leider ebenfalls ohne ein klares Nein zu sagen). Und die ÖVP vergißt, daß sie vor gar nicht langer Zeit einen ihrer besten Männer in die innere Emigration trieb, als sie allzu bereitwillig einem zeitweiligen Unbehagen im Unterrichtsbereich im Sinn des geringsten Widerstandes die Zügel schießen ließ. (Daß jetzt im Zusammenhang mit der Fünftagewoche mitunter erneut das 13. Schuljahr gefordert wird, gibt Minister Piffl eine späte Rehabilitierung!)

Die Einheitsfront von 1962 war eine historische Notwendigkeit. Die Reform von 1962 konnte nur als Kompromiß konstruiert werden, in dem jeder der beiden Hauptpartner dem anderen Zugeständnisse machen mußte. Die Grenze der Zumutbarkeit wurde damals von allen bewußt eingehalten. Daß das Endergebnis mehr nach den Vorstellungen der Sozialisten als nach jenen der ÖVP ausfiel, lag wohl daran, daß die SPÖ das klarer konzipierte Programm einbringen konnte.

SP-Sprecher Hermann Schnell betonte nun, die Vorstellungen der Sozialisten in Bildungsangelegenheiten gingen nun einmal weiter als jene, die die ÖVP seinerzeit gestellt habe; er könne daher verstehen, wenn die ÖVP mit der SPÖ-Politik nicht einverstanden sei. Niemand streitet ihm das Recht ab, diese weitergehenden Vorstellungen zu vertreten. Nur - sie durchzusetzen und zu verwirklichen, geht auf der Basis der Schulgesetze nur gemeinsam, nach entsprechend intensiver Diskussion, nach entsprechendem Ringen um einen neuen Kompromiß. Nicht aber hinterrücks, indem man Ergebnisse vorwegnimmt, die noch gar nicht vorhanden sind. Nur dagegen richtet sich die Gretchenfrage.

1962 wurde die Schule der siebziger Jahre gebaut, die Weiterentwicklungen seit 1970 zielen auf die achtziger Jahre. Die Schule der Jahrtausendwende muß erst konzipiert werden. Sie wird von Lehrern und Schülern (und vom Staat) noch viel mehr verlangen müssen als jene von heute, denn die Anforderungen an alle wachsen. Auch sie wird nur auf breiter Basis konstruiert ihre Aufgaben erfüllen können, nur wenn die Grenzen der Zumutbarkeit nach beiden Seiten hin berücksichtigt bleiben. Und wenn man nicht wegen nebulöser „gesellschaftlicher Zwänge” die Hauptsache über Bord wirft - den Kindern das zu bieten, was sie in ihrem Leben brauchen, in einem Leben des dritten Jahrtausends.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung