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SCHULGEMEINSCHAFT IM GEIST DES EVANGELIUMS

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Ein Sonderangebot, das einst eine Marktlücke geschlossen hat-das trifft sicher auf den Anfang des katholischen Privatschulwesens zu. Ein Beispiel: Vor mehr als 450 Jahren, als Schulbildung vorwiegend für die männliche Jugend vorgesehen war, da kümmerte sich eine Frau im Norden Italiens erstmals um die Mädchenbildung. Angela Merici hieß sie und wurde die Gründerin des Ursuli-nenordens. In ihrer Nachfolge hatten ihre Gefährtinnen sehr bald in Frankreich, Italien, Belgien, Deutschland und Österreich katholische Schulen für Mädchen gegründet. Damals gab es tatsächlich eine „Marktlücke" hinsichtlich des Bildungsangebotes, und im Laufe der Geschichte haben sich auch andere „Klosterschulen" für die weibliche und für die männliche Jugend als wahres „Sonderangebot" (wenn auch nicht zu Billigstpreisen) entwickelt.

Welches Ziel verfolgten damals diese Klosterschulen? Je nach Auftrag der Ordengründer nahmen sie sich der Kinder unterschiedlicher Gesellschaftsschichten an. So war zum Beispiel in den „Regeln der Ursuli-nen" bezüglich ihres BildUngsauftra-ges schon vor 350 Jahren zu lesen: ..... Mütter (=Lehrerinnen) sollengross Sorg tragen, ihre Töchter (^Schülerinnen) wol zu underweisen, und neechst der Forcht und Lieb Gottes dieselbe wol Latein- und teutschle-sen, schreiben, rechnen, Ziffern mit der Feder und mit den Rechenpfennigen, auch allerley wirken und Handarbeit lehren, damit die armen ihr Brod verdienen mögen."

Die Entwicklung der christlichen Persönlichkeit stand an erster Stelle -die notwendigen Fertigkeiten, um im Leben zurechtzukommen, an zweiter. Vergleiche damaliger und heutiger Anforderungen an eine katholische Schule zeigen, daß eines gleich geblieben ist: Absolventinnen beziehungsweise Absolventen sollen im Leben bestehen können - als überzeugte, lebenstüchtige Christen.

Nur - machen wir uns da nicht etwas vor? Wie schaut es denn heute wirklich aus?Viele meinen, heute gäbe es keine „Marktlücken" auf dem Sektor der schulischen Ausbildung. Begnüge ich mich allein mit der Ausbildung, so ist diese Behauptung großteils richtig.

Eltern können zur Zeit aus einem breit gefächerten Angebot von Schul-typen und -formen jene wählen, die der Begabung ihres Kindes am ehesten entspricht. Wozu also noch katholische Privatschulen, die noch dazu Schulgeld kosten, weil in diesen Schulen nur die Lehrer vom Staat bezahlt werden, für allen anderen Aufwand der Schulerhalter (=Orden, Kongregation, Diözese) aufkommen muß?

An dieser Frage beginnen sich die Geister zu scheiden. Es gibt nämlich noch immer Marktlücken, die durch Wissensvermittlung allein nicht geschlossen werden können. Wie steht es denn mit der Vermittlung dessen, was wir christliche Werthaltung nennen, und wozu ist diese wohl gut?

Die Erfahrung zeigt, daß Eltern aus unterschiedlichen Motiven für ihr Kind einen Platz an einer katholischen Schule suchen.Da sind einmal jene - Kenner unse-re'r Zeit würde ich sie nennen - die wissen, daß sie in Zeiten einer besorg-niserregendenOrientierungslosigkeit die katholische Schule als Miterzieher brauchen, die dem jungen Menschen nebst Wissen auch Werthaltungen vermitteln soll.

Viktor Frankl spricht von der heutigen Jugend als einer „Ich-Generation, die sich vorwiegend an den eigenen Bedürfnissen orientiert". Sie will den intensiven Wunsch nach Ab-wechslung, die Konsumorientiertheit, die bis in die Intimität hineinreicht, und die Wertfreiheit ausleben. Somit ergeht die Anforderung an die katholische Schule, nebst der Erziehung zu menschlicher Reife auch die zur christlichen Reife anzustreben. Das kann nur erreicht werden, wenn in den Erziehungszielen auch klare Werthaltungen enthalten sind.

Eines allerdings kann nicht erwartet werden: Daß nämlich die katholische Schule dies vollständig und noch dazu allein zustandebringt. Eltern und Lehrer müssen durch ihr Beispiel dem jungen Menschen vorleben, daß Leben glücken kann, wenn es in gegenseitiger Verantwortung als Gabe und Aufgabe, die uns von Gott für seine gesamte Schöpfung anvertraut ist, gesehen und gelebt wird.

Es gibt aber auch Eltem, die für ihr Kind die katholische Schule wählen, weil sie entweder aus Zeitmangel oder als Alleinerzieher sich nicht in der Lage sehen, mit den entwicklungsbedingten Schwierigkeiten ihres Sprößlings, die zum Teil auch durch den Zeitgeist beeinflußt werden, zurechtzukommen. Auch sie erwarten, daß in der katholischen Schule jene Erziehungsarbeit geleistet wird, die der Persönlichkeitsentfaltung dient. Sie dürfen ihren eigenen Anteil und Beitrag, den sie dabei zu leisten haben, nicht übersehen.

Schwer tun sich die katholischen Schulen mit jenen Eltem, die ihre Kinder dort gleichsam „abgeben", in der Erwartung, am Ende der Schulzeit einen wohlerzogenen, gebildeten Menschen zu erhalten, ohne daß sie sich - außer finanziell - an der Erziehung beteiligen. Da mögen die Lehrpläne noch so gut, die Erziehungsziele bestens formuliert und die Schulausstattung hervorragend sein, wenn die Vorbildfunktion von Seiten der Eltern schwach ist, wird auch die Motivation für die Lernhaltung für den jungen Menschen schwierig sein.

Was ist also mit dem „Sonderangebot" der katholischen Schulen heute?werden diese Schulen nicht umhin kommen, eine klare Antwortzugeben.9633; auf die Orientierungslosigkeit unserer Zeit durch Vermittlung von Werthaltungen;

□auf die immerwiedergestellte Sinnfrage durch das Aufzeigen und Vorleben eines sinnorientierten Lebens;9633; a uf die zunehmende Gewalt durch die Erziehung zur Versöhnungsbe-reitschaft und zur Übernahme von Verantwortung;

□ auf den Säkularismus durch eine Lebensgestaltung aus dem Glauben;#9633; auf die Konsumorientiertheit durch kritisches, verantwortungsbewußtes Handeln;

□ auf die Beziehungskrisen durch die Erziehung zur Beziehungsfähigkeit;

□ auf die Gefãhle der Resignation durch die christliche Hoffnung. Ziele, die manchen utopisch klingen mögen. Vergessen wir dabei nicht, daß in einer Zeit, deren religiöses und moralisches Wertdefizit so groß ist, dieses Angebot an Werthaltungen nicht fehlen darf, will die katholische Schule ihrem Auftrag nachkommen. Wohlgemerkt sei, daß sie das nicht allein kann. Gemeinsam werden sich Eltem, Lehrer und Schüler bemühen müssen, „eine Schulgemeinschaft zu schaffen, in der der Geist des Evangeliums, der Geist der Freiheit und der Liebe lebendig ist'M) Dies wird schrittweise gelingen, wenn wir es -wie vieles in der Erziehung - immer und immer wieder versuchen.

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