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Schulmeister aus Washington

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Obwohl der nordamerikanische Außenminister Kissinger durch die Krisen in Nahost und Fernost weitgehend gebunden ist, scheint ihn die wachsende Konfrontation, zu der sich Lateinamerika zusammenzufinden droht, in solchem Maße zu beunruhigen, daß er — endlich, wie die Lateinamerikaner sagen — sich mit ihren Problemen in weit stärkerem Maße auseinandersetzt als bisher. Er kündigte eine Reise durch Südamerika für April an und will an der Generalversammlung der „Organisation Amerikanischer Staaten“ teilnehmen, die über seinen Wunsch auf Anfang Mai vertagt wurde.

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Obwohl der nordamerikanische Außenminister Kissinger durch die Krisen in Nahost und Fernost weitgehend gebunden ist, scheint ihn die wachsende Konfrontation, zu der sich Lateinamerika zusammenzufinden droht, in solchem Maße zu beunruhigen, daß er — endlich, wie die Lateinamerikaner sagen — sich mit ihren Problemen in weit stärkerem Maße auseinandersetzt als bisher. Er kündigte eine Reise durch Südamerika für April an und will an der Generalversammlung der „Organisation Amerikanischer Staaten“ teilnehmen, die über seinen Wunsch auf Anfang Mai vertagt wurde.

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In einer Programmrede sprach Kissinger davon, daß die amerikanischen Nationen zu vielen Problemen gegenüberstünden, als daß sie es sich erlauben könnten, ihre Kräfte in sterilen und künstlichen Konfrontationen zu vergeuden. Kissinger ist gekränkt, weil die für März vorgesehene Fortsetzung des „neuen Dialogs“ von dem Gastgeberland Argentinien abgesagt wurde.

Das neue nordamerikanische Außenhandelsgesetz enthält diskriminierende Bestimmungen gegen alle Erdölproduzenten, also auch gegen Venezuela und Ekuador, obwohl diese Staaten an dem Petroleumembargo gegen die USA nicht beteiligt waren.

In Caracas und Quito kritisierte man bitter diese Rede und ihren „schulmeisterlichen Ton“. Aber für , Kissinger geht es um mehr. Er sieht, daß sich eine lateinamerikanische Einheitsfront dem Block der Rohstoffländer gegen die Industriestaaten einzugliedern droht. Dabei hat der venezolanische Präsident Carlos Andres Perez, der mit Mexiko und Kolumbien der Hauptrufer zu einer neuen Integration Lateinamerikas ist, kürzlich — wje die Zeitung „El Heraldo de Mexico“ meldet — erklart: „Das wesentliche Interesse Venezuelas besteht daiJLa, zu einem vollen Abkommen mit den USA zu gelangen. Man kann nicht von einer Konfrontation aus' i geographischen, wirtschaftlichen und anderen Gründen sprechen. Die Vereinigten Staaten sind unser natürlicher Markt und es bestehen traditionelle freundschaftliche Bindungen. Das Petroleum wird niemals als politische Waffe gebraucht, sondern nur, um zu erreichen, daß die Entwicklungsländer für ihre Rohstoffe angemessene Preise bekommen.“ Mit dieser Erklärung nahm Perez zu der Haltung Brasiliens Stellung, das eine Teilnahme an dem neuen Organ der Wirtschaftsintegration in Frage stellte, wenn es vor die Wahl gestellt würde, mit den USA zusammenzuarbeiten oder ihnen entgegenzutreten.

In diesem Sinne spricht man jetzt nicht mehr von einer geplanten „Organisation Lateinamerikanischer Staaten“, sondern von dem „Lateinamerikanischen Wirtschaftssystem“ („SELA“). Man könnte die Wendung in die Formel fassen: Ohne, aber nicht gegen die USA. Ein hoher mexikanischer Funktionär ist vor kurzem nach Havanna geflogen, um sich des Beitritts von Fidel Castro zu vergewissern. Der venezolanische Finanzminister Hector Hurtado — der übrigens auch in der „OPEC“ („Organisation Petroleumexportierender Länder“) eine führende Rolle spielt — erklärte, daß die „SELA“ auch dann gebildet werden würde, wenn ihr nicht alle lateinamerikanischen Länder beiträten.

Nicht nur durch die neuen Petroleummilliarden Venezuelas hat sich das Schwergewicht der Integrationsbemühungen vom Süden in den Norden des Halbkontinents verlagert. Das zeigt sich nicht nur bei der Bildung der „SELA“. Am 22. März treffen sich die Präsidenten von Kolumbien (Alfonso Lopez Michelsen), von Venezuela (Carlos Andres Perez) und Costa Rica (Daniel Oduber). Dabei geht es in erster Linie um ein Mitspracherecht der Nachbarländer beim Abschluß des neuen Vertrages über den Panämäkanal. Kissinger macht seine Zusage wahr, Panama die volle Souveränität über die Zone zu gewähren, wobei die USA freilich weiter die militärische und wirtschaftliche Sicherheit des Kanals selbst kontrollieren. Kolumbien hat beim Bau des Panamäkanals gewisse Vorrechte zugesichert erhalten, die es jetzt zu wahren sucht. Gleichzeitig ist aber ein durchaus sensationeller Integrationsplan zwischen Kolumbien, Venezuela und Mexiko vereinbart worden, die in einer Konferenz von 15 Staaten in der Hauptstadt von Costa Rica die „Multinationale Handelsflotte des karibischen Meeres“ bilden wollen. Diese Flotte soll das weitgehend bestehende nordamerikanische Frachtmonopol brechen. Wie wenig das gegen die beiden „Großen im Süden“ gerichtet ist, sieht man daraus, daß gerade jetzt in Caracas mit Argentinien über ein Integrationsabkommen verhandelt wird, das bi-nationale Werften vorsieht.

Während der Abschluß des neuen Vertrages über den Panamäkanal Spannungsherde im Norden beseitigt, hat die Wiederversöhnung zwischen Bolivien und Chile einen latenten Unruheherd im Süden aus der Welt geschafft.

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