6950963-1984_12_05.jpg
Digital In Arbeit

Schulnoten: Mehr, weniger, keine ?

19451960198020002020

Als im Vorjahr Schüler für mehr Schularbeiten auf die Barrikaden stiegen, kündigte Helmut Zilk eine Diskussion über schulische Leistungsbewertung an, die nun begonnen hat.

19451960198020002020

Als im Vorjahr Schüler für mehr Schularbeiten auf die Barrikaden stiegen, kündigte Helmut Zilk eine Diskussion über schulische Leistungsbewertung an, die nun begonnen hat.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Wiener Palais Auersperg war in der vergangenen Woche Schauplatz einer zweitägigen Enquete, die sich mit einem durchaus griffigen Thema befaßte: „Schulische Leistung und ihre Bewertung". Unterrichtsminister Helmut Zilk hatte bereits in seiner Antrittspressekonferenz vor einem Drei Vierteljahr diese Problematik zum Schwerpunkt seines Arbeitsprogramms erklärt. Daß in diese Enquete neben dem üblichen Polit-Hickhack auch gewisse Ladenhüter der bildungspolitischen Diskussion der letzten Jahre (Gesamtschule) hineinspielen würden, war abzusehen.

Zunächst wurde eine IFES-Stu-die präsentiert, für die man 350 Lehrer befragt und einem Beno-tungsexperiment unterzogen hatte, und bei der überdies über 500 Eltern und Schüler interviewt worden waren. Die hier zitierten Ergebnisse dieser Umfrage schienen übrigens den Teilnehmern an der Enquete nicht immer stichhaltig:

• Noten werden von Lehrern, Schülern und Eltern weitgehend als Erziehungsmittel verstanden — und nur in einem groben Rahmen als Zertifikat eines erreichten Wissensniveaus.

• Die Zeugnisnote kann die Lebenschancen entscheidend beeinflussen.

• Die schriftliche Leistungsfeststellung fließt (so jedenfalls die Studie) nur zu einem relativ geringen Teil in die Zeugnisnote ein (nach Lehrerangaben in Mathematik mit 46 Prozent, in Deutsch mit 38 Prozent und in Büdnerischer Erziehung mit 24 Prozent). Der Rest an Beurteilung stammt aus der ständigen Beobachtung der Mitarbeit des Schülers und aus mündlichen Prüfungen. • Nur drei Prozent der Lehrer können sich einen Verzicht auf jede Klassifizierung vorstellen. Etwas mehr Zustimmung fände die bloße verbale Beurteilung ohne Notenwerte.

0 Die Notengebung wird von der Mehrheit der Schüler und Eltern als richtig empfunden.

Das Experiment Probebeno-tung von vorgelegten Schülerarbeiten ergab, wie anzunehmen war, daß sich Mathematikarbeiten mit großer Präzision beurteilen lassen, Arbeiten in Büdnerischer Erziehung schon weniger genau, aber immer noch genauer als Deutsch-Aufsätze.

Insgesamt kommt die Studie zu dem Eindruck, daß die Leistungsbeurteilung in den höheren Schulen derzeit kein besonders brennendes Problem ist, und „daß es sich dabei seit jeher um ein etwas diffuses Verfahren mit zwei unterschiedlichen Funktionen handelt, die sich nicht immer leicht vereinbaren lassen: Wissensmessung und pädagogische Motivati-on .

Der Kinderpsychologe Univ.-Prof. Walter Spiel meinte dann in seinem Referat, daß Schulstreß und Traumatisierung nicht durch die Leistungsbewertung allein erklärt werden könne, sondern meist durch ein pädagogisch-psychologisch ungeschicktes Verhalten des Prüfers.

Daß in der Wirtschaft die Schulnoten bei der Personalauswahl eine Rolle spielen und dort auch eine Abschaffung der Noten (außer eventuell in Turnen, Musik, Zeichnen und Religion) vehement abgelehnt wird, bestätigte aufgrund einer Erhebung der Wirtschaftspädagoge Univ.-Prof. Wüfried Schneider.

Eine „Reform der Leistungsbeurteilung im Prozeß zur Humanisierung der Schule" schlug der Erziehungswissenschafter Univ.-Prof. Richard Olechowski vor. Ihm fehlt gegenwärtig die Objektivität (verschiedene Lehrer beurteilen dieselbe Schülerleistung oft unterschiedlich), die Zuverlässigkeit (bei wiederholter Beurteilung derselben Schülerleistungen durch dieselben Lehrer werden die Leistungen oft unterschiedlich beurteilt) und die Gültigkeit (oft stimmen Unterrichtsziel und Prüfungsinhalte nicht überein). Olechowski wirft der derzeitigen fünfstufigen Notenskala „Scheingenauigkeit'' vor und will sie durch eine dreistufige („ausgezeichnet" — „bestanden" — „nicht bestanden") ersetzen.

Natürlich konnten parteipolitische Töne von außen nicht ausbleiben. So klang die Kritik der sozialistischen Kinderfreunde am bestehenden Notensystem wie ein Ruf nach dessen Abschaffung.

Auf der anderen Seite zitierte ÖVP-Abgeordneter Josef Höchtl eine Umfrage, wonach 93 Prozent der Österreicher mit dem gegenwärtigen Notensystem einverstanden seien. Und ÖVP-Schul-sprecher Gerhard Schäffer schlug eine Ausweitung auf zehn Noten und eine neue Dreier-Skala vor, aus der hervorgehen sollte, ob der Schüler außerordentliche, durchschnittliche oder geringe Leistungsbereitschaft gezeigt habe.

Relativ deutlich waren auf der Enquete die Wünsche nach Abschaffung des Frontalunterrichtes, Senkung der Klassenschüler-zahlen, nur verbaler Beurteilung am Beginn der Volksschule, größerer Ubereinstimmung von notwendigem Wissensstoff und Prüfungsinhalt. Eindringlich rief der Biologe Rupert Riedl dazu auf, wieder mehr Aufmerksamkeit als den deduktiven Leistungen den schöpferischen Leistungen zu widmen.

Hervorzuheben sind auch jene vernünftigen, maßvollen Wortmeldungen, die darauf hinausliefen, daß mit den bestehenden Regelungen durchaus gut gearbeitet werden könnte und daß man auf diesem Gebiet nicht noch mehr reglementieren sollte, weil man dabei — vom schlechten Lehrer ausgehend — auch den guten Lehrer in ein Prokrustesbett zwinge.

Ob und wieviel sich an der Leistungsbewertung in Österreichs Schulen ändert, wird man frühestens im Juni wissen, wenn nach den nun vorgesehenen Regional-Enqueten in den Bundesländern in Wien eine große Abschlußveranstaltung stattfindet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung