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Schulreform als linkes Zwischenziel

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Die im ehemals roten Musterland Hessen seit über sieben Jahren praktizierten Experimente mit dem Gesamtschulsystem stoßen auf immer breitere Ablehnung in der Bevölkerung. Hessische CDU und Alfred Dregger, erstmals vor der reellen Chance, im kommenden Jahr die Mehrheit im Lande zu machen, lassen keine Zweifel: Nach den Fehlentscheidungen der Vergangenheit ist die ganz auf Gesamtschule getrimmte Schulpolitik reif für ein rasches .Kehrt euch“!

Aber unser Minister Sinowatz meint: Das einzige Bildungsmodell mit Zukunft ist die Gesamtschule.

In München hat ein Institut für Bildungsforschung und Bildungsplanung fünf Jahre lang wissenschaftlich geprüft, wie sich das Modell der Gesamtschule gegenüber den traditionellen Schultypen bewährt. Das Urteil: „In den Schulversuchen hat sich für keine der überprüften Dimensionen bei den Gesamtschulen ein eindeutiger Vorsprung vor dem gegliederten Schulwesen ergeben.“

Aber unsere Ministerin Herta Firnberg meint: Das einzige Bildungsmodell mit Zukunft ist die Gesamtschule.

Eine Delegation österreichischer Pädagogen fuhr nach Deutschland und Schweden, die Gesamtschule zu studieren. Das Urteil dieser Pädagogen ist vernichtend. Gleichzeitig treiben die in Österreich laufenden Schulversuche katastrophale Blüten: Die Aufnahmsprüfung in die Handelsakademie schaffen in Wien 90 Prozent der „normalen“ Gymnasiasten, aber nur 40 Prozent der angetretenen Schüler von der Gesamtschule Wien-Liesing.

Aber Sinowatz und Firnberg rufen: Die Gesamtschule muß her, die Gesamtschule muß her!

Ihr vehementes Eintreten für die Gesamtschule begründen die Sozialisten - vorläufig ungeachtet der überwiegend negativen Erfahrungen - in mehrfacher Hinsicht: Sie bringe die „soziale Koedukation“, da alle zehn- bis vierzehnjährigen Kinder praktisch die gleichen Bildungschancen hätten; durch die Einführung von drei Leistungsgruppen in Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen fördere die Gesamtschule Kinder mit unterschiedlichem Leistungsniveau besser als das herkömmliche Schulsystem; schließlich mache sie es möglich, die Berufsentscheidung zum spätmöglichsten Zeitpunkt (bis zum 14. Lebensjahr) hinauszuschieben.

Vor der Beurteilung der Gesamtschule, aller ihrer Nachteile und Fehlentwicklungen sei eine einschränkende Bemerkung gestattet: Wenn auch noch soviel gegen das sozialistische Modell der Gesamtschule spricht, so heißt das noch lange nicht, daß das gegenwärtige System nicht verbesserungsbedürftig wäre, ja es heißt nicht einmal, daß nicht einige der von der Gesamtschule geforderten Zielsetzungen durchaus - allerdings auf eine andere Art - ins Auge gefaßt werden sollten. Soziale Integration etwa mag auch für manche nichtsozialistische Kreise erstrebenswert sein.

Einer der Haupteinwände gegen die Gesamtschule betrifft die Sorge um das Leistungsprinzip. Im derzeitigen Schulsystem findet jeder Schüler einen Schultyp, der seiner Begabung, Neigung und Leistung entspricht. In der Gesamtschule wird er in den meisten Gegenständen mit allen anderen Schülern über einen Leisten gebogen; in den Hauptgegenständen gibt es zwar die drei verschiedenen Leistungsgruppen, doch zeigen die Er-

fahrungen, daß selbst diese dreistufige Gliederung leistungshemmend ist, zumal die Schüler der schwächsten Stufe zur „Unterschicht“ gezählt werden.

Interessanterweise erhebt das Ge- samtschul-Modell auch den Anspruch, durch individuelle Förderung leistungsgerechter zu sein. Doch hier taucht die Frage auf: Steht das Prinzip der leistungsgerechten Schule nicht konsequenterweise im Widerspruch mit der geforderten „sozialen Integration“?

Zweifellos besteht hier ein Widerspruch - und wir wissen bereits, wie ihn die Sozialisten zu lösen gedenken: Durch ersatzlose Streichung des Lei- stungserfordemisses. An Hand des SPÖ-Problemekataloges für das neue Parteiprogramm läßt sich das beweisen: Es ist die Rede vom Aufheben der notenmäßigen Beurteilung, von der Abschaffung der Schularbeiten, von der Abschaffung des Repetierens im Pflichtschulbereich, alles Dinge, die den Ehrgeiz der Schüler aus der Reserve locken könnten und es derzeit auch tun.

Indessen ist selbst die Möglichkeit einer sozialen Integration in Frage gestellt. Das Münchner Institut für bil- dungsforschung und Bildungsplanung beschreibt das Phänomen, daß gerade in der Gesamtschule schwache Schüler aus oberen Schichten bevorzugt und ungerechtfertigt in die ersten Leistungsgruppen eingestuft wurden.

In ihrem angeblichen Bestreben, allen Kindern gleiche Chancen zu bieten, setzt sich die Gesamtschule über die Tatsache hinweg, daß alle Menschen ungleich sind. Die Begabungsforschung hat mittlerweile erwiesen, daß die Fähigkeiten des Menschen zu 80 Prozent erblich bestimmt sind, daß weiters nur ein geringer Teil der Fähigkeiten als „milieubedingt“ bezeichnet werden kann, wie einer hessischen Studie zu entnehmen ist.

Trotz aller Versuche, es zu leugnen, ift die Gesamtschule im Grunde genommen nichts anderes, als die in den zwanziger Jahren von Sozialisten bereits geforderte Eihheitsschule, die - als Ganztagsschule - den Einfluß der Eltern auf die Erziehung der Kinder weiter schmälern soll. So gesehen, ist die Gesamtschule eine rein politische Frage, die auf dem Wege zum Sozialismus von vielen Autoren als „antikapitalistische Strukturreform“ und „Mittel des politischen Kampfes“ beschrieben wird.

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