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Schulreform auf Schleichwegen?

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„Ich werde zwar für die Integrierte Gesamtschule kämpfen, aber niemanden damit beglücken!“ Eigentlich müßte man diesen Worten der Wiener Vizebürgermeisterin Fröhlich-Sandner nichts hinzufügen. Daß es ihr gutes Recht ist, eine bestimmte Schulform für die beste zu halten, bestreitet niemand. Man darf aber auch anderer Meinung sein. Und man darf vor allem sich gegen Zwangsbeglückung wehren.

„Größere Lernerfolge, weniger Sitzenbleiber, höhere Übertrittsquoten in höhere Schulen und bessere Kontakte zwischen Lehrern und Schülern“ weiß die „Arbeiter-Zeitung“ die Vorteile der den Journalisten vorgeführten Anstalt zu schildern. Vorteile der Ganztagsschule oder der Gesamtschule? Beide wurden hier in einem gemeinsamen Modell gezeigt. Geschah dies, um das, was man zugunsten des einen Elementes sagen kann, auch für das andere ins Treffen zu führen?

Daß es Schulen geben muß, die Kindern berufstätiger Mütter am Nachmittag Beaufsichtigung geben, steht außer Debatte. Ob dies in einem Verbundsystem über den ganzen Tag oder getrennt in Unterrichts- und Freizeitphase geschehen soll, darüber muß geredet werden. Die Gesamtschule aber hat mit der Ganztagsfrage grundsätzlich gar nichts zu tun. Ob die Einteilung in Leistungsgruppen statt der parallel laufenden verschiedenen Schultypen und Züge bessere pädagogische Möglichkeiten bietet, darüber sind sich die Pädagogen heute gar nicht mehr so einig wie es noch vor zehn Jahren schien. Sollte es nicht möglich sein, Formen zu entwickeln, die den Schwachen die notwendige Förderung bieten können ohne die Nachteile, die heute bereits immer deutlicher bei der Gesamtschule zutage treten - die zerfallenden Stammklassen, die Mammutschulen, der negative Leistungsanreiz durch die Möglichkeit, in einer niedrigeren Leistungsgruppe bequemer mitzulaufen?

Aber es geht ja nicht nur um pädagogische - es geht vor allem um ideologische Forderungen. Die „soziale Koedukation“, der Einheitstopf aller Zehn-bis Vierzehnjährigen (nach den Vorstellungen der Jusos bis zu den Achtzehnjährigen) muß erreicht werden, ob Eltern und Jugendliche wollen oder nicht

Daß auch Kinder, die nur die Pflichtschule besuchen, die bestmögliche Ausbildung erhalten sollen, steht außer Debatte. Aber es gibt nicht nur Kinder, deren Mütter ganztägig außer Haus berufstätig sind, es gibt nicht 1 nur Kinder, die ohne vermehrte Hilfe in der Schule diese nicht bewältigen können. Es gibt auch Eltern, die nicht bereit sind, ihre Kinder einem anonymen Staat, einer ebenso anonymen „Gesellschaft“ zur Erziehung zu überlassen, sondern die selbst klare Vorstellungen von den Fähigkeiten und Chancen ihrer Kinder haben und von dem, was sie lernen und was sie einst erreichen sollen. Diese Eltern dürften zahlenmäßig gar nicht so schwach sein, daß man sie als Minderheit vergessen könnte - in einer Zeit und einer Gesellschaft, die sich zwar sehr verdienstvoll der benachteiligten Minderheiten annimmt, aber ebenso intensiv bemüht ist, „elitäre“ Minderheiten mit allen Machtmitteln einer parlamentarischen Mehrheit an die Wand zu drücken.

Apropos „elitär“ - ich zitiere einen unverdächtigen Zeugen: Josef Mader-ner, Kärntner SPÖ-Abgeordneter und seit kurzem das enfant terrible der sozialistischen Bildungspolitik, meint dazu: „Die gymnasiale Unterstufe hat nur einen Sinn, wenn sie das bleibt, wofür sie gedacht ist: eine Stätte intensiven Gehirntrainings bei gleichzeitiger Förderung der Gesamtpersönlichkeit. Ebenso wie es nicht nur sinnlos, sondern auch erfolglos wäre, aus jedem jungen Menschen einen Spitzensportler machen zu wollen, läßt sich auch die Denkleistung und Lernfähigkeit nicht bei jedem in gleicher Weise steigern. Das verpönte Wort von der Elite hat hier seine Berechtigung. Untergymnasien erfüllen - neben integrierten Gesamtschulen weitergeführt - nur dann einen Zweck, wenn sie Kinder mit elitären geistigen und moralischen Anlagen zusammenfassen. Der Zweck besteht nicht nur in einer größtmöglichen persönlichen Förderung - ohne Rücksicht auf lernschwache Mitschüler -, sondern sie erfüllen auch eine gesellschaftliche Funktion. Die grauen Gehirnzellen sind der kostbarste Rohstoff, über den die Welt verfügt... Diesen Rohstoff zu pflegen, sollte man weder als Hobby, noch als unsoziale Tat diskriminieren.“

Auch diesem Wort brauchte man eigentlich nichts hinzuzufügen. Es wäre nur zu hoffen, daß es sich auch in der Regierungspartei durchsetzt, statt daß man dort weiter versucht, die durch die Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit gesetzlich blockierte Gesamtschule auf Schleichwegen durchzubringen, indem man einmal die kes-sen Jungen gleich die Einheitsschule bis 18 fordern läßt, dann mit scheinbar unverständlich überdimensioniertem Schulbau die Weichen stellt oder mit Bezeichnungen wie „Halbtagsschule“ neue Diktionen einführt und damit das Bewußtsein umzufunktionieren sucht. Schlag nach bei Marx - er hat noch mehr solche Rezepte zu bieten.

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