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SCHULVERSUCHE GESTERN, HEUTE- UND MORGEN?

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Die grofie Schulreform wurde im Schulgesetzgebungswerk von 1962 festgelegt. Damals erfolgte erstmals nach 1945 eine gesetzli-che Regelung weiter schulischer Bereiche, auch der Organisation und damit der Schulversuche.

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Die grofie Schulreform wurde im Schulgesetzgebungswerk von 1962 festgelegt. Damals erfolgte erstmals nach 1945 eine gesetzli-che Regelung weiter schulischer Bereiche, auch der Organisation und damit der Schulversuche.

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Der Paragraph sieben des Schulor-ganisationsgesetzes (SchOG) von 1962 hat groBe Bekanntheit erlangt. Er ermoglicht „zur Erprobung beson-derer padagogischer oder schulorga-nisatorischer MaBnahmen” unter Ein-haltung bestimmter formaler Voraus-setzungen Schulversuche durchzufiih-ren. Er sieht gleichzeitig vor, daB diese in hochstens fiinf Prozent der Klassen durchgefiihrt werden diirfen.

Viel weniger bekannt ist, daB auch das Schulzeitgesetz unter den glei-chen Voraussetzungen Schulversuche in Abweichung der schulzeitlichen Regelung ermoglicht. Und das im Jahre 1974 beschlossene Schulunter-richtsgesetz regelt die Durchfuhrung von Schulversuchen fur bestimmte Bereiche „der inneren Ordnung des Schulwesens”.

Diese Bestimmungen erlangten be-sonders wahrend der ersten Jahre ihrer Geltung keine solche Bedeutung wie zum Beispiel die vierte SchOG-No-velle. Diese Novelle war AusfluB des Schulvolksbegehrens gegen die Ein-fiihrung einer neunten Klasse in den AHS und hat Schulversuche naher geregelt. Damit wurde die Reform der Schulreform 1962 eingeleitet. An-hand einiger dort vorgesehener Schulversuche soil beispielhaft deren Schicksal dargestellt werden.

Der Schulversuch „Vorschulklas-se” wurde nach rund zehn Jahren 1982 in das Regelschulwesen uberfiihrt, nachdem er zum SchluB in 500 Klassen durchgefiihrt worden war. Das schulpolitisch zu losende Problem war nicht so sehr die Einfiihrung von Vorschulklassen selbst, sondern ob auBer den schulpflichtigen, aber nicht schulreifen Kindern und den vorzei-tig in die Volksschule aufgenomme-nen, aber doch nicht schulreifen Kindern auch andere Kinder die Vorschulklasse besuchen sollen. Es han-delt sich um ein Problem, das nicht durch die Ergebnisse eines Schulver-suches gelost werden kann, sondern das in der grundsatzlichen Frage des Beginnes der allgemeinen Schul-pflicht liegt.

Die fremdsprachliche Vorschulung in der Volksschulzeit erhielt bereits in den fiinfziger Jahren groBen Zulauf; so wurde zum Beispiel in Wien durch die Volkshochschulen an den Volks-schulen ein solcher Unterricht ange-boten und von vielen Eltern fiir ihre Kinder angenommen, zumal ein Teil der Fremdsprachenlehrer in den Schu-len der Zehn- bis Vierzehnjahrigen im Besuch dieser Veranstaltungen eine Voraussetzung fiir ihren Unterricht sah. Durch den Schulversuch wurden diese Bestrebungen in den schulischen Bereich hineingenommen und fiir ganz Osterreich ermoglicht.

Streitfall Gesamtschule

1983 wurde die fremdsprachliche Vorschulung als verbindliche Ubung in das Regelschulwesen iibernommen, nachdem zum SchluB dieser Schulversuch in 7.000 Klassen durchgefiihrt worden war, und obwohl im Rahmen der Evaluierung die Frage eines besseren Forfkommens der Schiiler mit fremdsprachlicher Vorschulung nicht bestatigt wurde. Bil-dungspolitisch wurden trotzdem die anfallenden Kosten in Kauf genom-men, offenbar weil Eltern und Volks-schullehrer der Einfiihrung positiv gegentiberstanden.

Die Schulversuche in den Schulen der Zehn- bis Vierzehnjahrigen wa-ren von grundsatzlicher bildungspo-litischer Bedeutung, weil das Schul-programm der SPO das Ziel einer einheitlichen Schule zumindest im Bereich der funften bis achten Schul-stufe hat, wahrend die OVP an dem Grundsatz des Bestehenbleibens der Langform der AHS neben der Haupt-schule fesfhalt. Es ging (und geht praktisch weiterhin) um die Gestal-tung der Hauptschule, wie zum Beispiel Leistungsgruppen in den Gegenstanden Deutsch, Mathematik und lebende Fremdsprache, innere Diffe-renzierung, AusmaB der Aufrechter-haltung eines einheitlichen Klassen-verbandes und ganz besonders auch um die Gestaltung der Lehrplane fiir die Hauptschule und die Unterstufe der AHS.

Dabei geht es um die Frage, wie-weit Wortidentitat in den Fachernohne Leistungsgruppen bestehen oder ob der im SchOG festgelegte Bildungs-auftrag dieser beiden Schultypen Auswirkungen auf eine unterschied-liche Gestaltung der Lehrplane erhal-ten soli. Die Reform des Polytechni-schen Lehrganges - ebenfalls nach Schulversuchen - des Jahres 1981 hat unter anderem Leistungsgruppen in den genannten Gegenstanden einge-ftihrt. So lag es nahe, daB nach Ab-schluB der Schulversuche in den Schulen der Zehn- bis Vierzehnjahrigen in der im Schuljahr 1985/86 ein-gefiihrten „neuen Hauptschule” auch, und zwar drei, Leistungsgruppen in den angefiihrten Gegenstanden vor-gesehen wurden.

Die neuen Lehrplane brachten praktisch das Ergebnis, daB in beiden Schultypen (Hauptschule und AHS-Unterstufe) nach fast gleichen Lehr-planen unterrichtet wird. Allerdings gibt es in der AHS keine zweite und dritte Leistungsgruppe und es werden die typenbildenden Gegenstande auch im Lehrplan beriicksichtigt.

Die Schulversuche zurOberstufen-reform der AHS begannen im Schuljahr 1971/72 und wurden in das Regelschulwesen ab 1989/90 ubertra-gen. Die Reform war insbesonders durch die Einfiihrung von Wahl-pflichtgegenstanden in der sechsten bis achten Klasse und einer neuen Reifepriifung mit der Einfiihrung einer Fachbereichsarbeit gekennzeichnet, wobei auch hier wesentliche Abstri-che von den Versuchsmodellen vor-genommen wurden.

Das dargestellte Schicksal von Schulversuchen aufgrund der vierten SchOG-Novelle zeigt einige grund-satzliche Prebleme. Wahrend anfangs vjele Eltern nach dem Motto „soll mein Kind ein Versuchskaninchen sein?” den Schulversuchen sehr skep-tisch gegentiberstanden, hat es sich bald herumgesprochen, daB Schulversuche auch Vorteile haben, besonders dadurch, daB die finanziellen Gegebenheiten besser sind als im Regelschulwesen und daB besonders engagierte und gute Padagogen be-strebt sind nachzuweisen, daB der Schulversuch zielfiihrend und erfolg-reich ist. Dabei gibt es auch finanziel-le Vorteile fur die Lehrer an Ver-suchsschulen.

Politische Entscheidungen

Bei der Uberleitung von Schulversuchen in das Regelschulwesen zeigt sich immer wieder, daB notwendige Strukturen nicht verwirklicht werden konnten, daB die Bereitschaft zusatz-lich erwachsende Kosten zu tragen nicht oder nicht in vollem AusmaB besteht und daB es politische Entscheidungen gibt, die weit vom Ergebnis des Schulversuches entfernt sind. Es entsteht auch der Eindruck, daB Schulversuche bildungspolitisch oft deswegen willkommen sind, weil dadurch notwendige politische Entscheidungen fiir das Regelschulwesen aufgeschoben werden und poli-tisch dennoch etwas geschieht.

Derzeit laufen eine Vielzahl von ganz verschiedenen Schulversuchen aufgrund des Paragraphen sieben SchOG. Teilweise sind sie politisch motiviert wie zum Beispiel in Salzburg die Forderung von besonders begabten Kindern, in Wien die Mittel-schule, nach dem Start der neuen Hauptschule eingefiihrt, in der Steier-mark die sechsjahrige Realschule mit einem AbschluB der mittleren Reife.

Die ewigen Schulversuche ganzta-giger Organisationsformen, namlich die Ganztagsschule und die Tages-heimschule, begannen bereits 1974, wobei die Modellbeschreibungen ofters geandert wurden und der Ver-such der Uberfiihrung in das Regelschulwesen bisher scheiterte. Es han-delt sich dabei um die Frage, ob und allenfalls wie eine pflichtige Ganztagsschule eingefiihrt werden soli und wer die zusatzlichen Kosten tragt.

Wenn die Bestrebungen des Unter-richtsministers auf Einraumung einer Autonomic fiir die Schulen verwirklicht werden sollte, wird gleichzeitig zu priifen sein, inwieweit das Instrument der Schulversuche dann noch sinnvoll ist. Eine entsprechende Ab-stimmung dieser beiden Moglichkei-ten wird erforderlich sein. AuBerdem ist es wiinschenswert, daB im Bereich der Schule einmal eine gewisse Beru-higung eintritt, denn auch ohne Schulversuche gibt es eine Vielzahl von Moglichkeiten der Verbesserung wie zum Beispiel bei der Gestaltung der Lehrplane.

Mag. Walter Kinscher war Sektionschef im Wirtschaftsministerium und als Vizeprasident des Katholischen Familienverbandes Oster-reichs (1981-1990), aber auch schon in den Jahren davor, dessen Sprecher in Schulfragen.

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