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Schuschnigg der Enkelgeneration

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„Von der Parteien Gunst und Haß verzerrt, schwankt sein Charak- terbild in der Geschichte." Dieser von Friedrich Schiller auf Wallen- stein geprägte Satz könnte auch für den letzten Bundeskanzler Öster- reichs vor dem Anschluß 1938 ste- hen. Nicht immer verständlich, aber vielleicht ein wenig auch eine Er- klärung, warum sich bisher kein Historiker an eine Biographie Kurt Schuschniggs gewagt hat.

Dem jungen Innsbrucker Anton Hopfgartner (Jahrgang 1966) blieb es vorbehalten, sich mit dem Mut der Jugend an ein anscheinend bis heute „heißes Eisen" zu wagen. Aber es war nicht nur Mut allein, der den jungen Absolventen der Universität Innsbruck ans Werk schreiten ließ. Eine gründliche historische Schulung, profunde Quellen- und Literaturkenntnisse schufen die nötige wissen- schaftliche Voraussetzung, die ei- nen Vertreter der „Enkelgenera- tion" für sein großes Vorhaben rüstete. Dazu kam eine landsmann- schaftliche und bundesbrüderliche Verbundenheit mit der Persönlich- keit Schuschniggs, aber auch der Freimut einer Generation, welche im Angesicht von historischen Denkmälern nicht erschauert.

Das Ergebnis liegt nun vor. Es überzeugt durch den Fleiß an Quel- lenarbeit und überrascht durch die Gabe an Einfühlungskraft in einer Zeit, die für den Autor wohl schon ferne Vergangenheit ist. Kurt von Schuschnigg war in dieser Zeit eine der sprödesten Persönlichkeiten auf dem Feld der europäischen Politik. Durch die Ermordung von Engel- bert Dollfuß in schwierigster Si- tuation in höchste Verantwortung berufen, sah sich der als ehemaliger kaiserlicher Offizier dem alten Österreich zutiefst verbundene, konservative Tiroler Rechtsanwalt der Welt der Diktatoren unseres Jahrhunderts gegenüber. Benito Mussolini und Adolf Hitler würfel- ten um das Schicksal der von poli- tischen Stürmen erschütterten, wirtschaftlich in denkbar schlech- ter Verfassung sich befindenden, Alpen- und Donau-Republik.

Was tun? Den Teufelskreis zu sprengen, wäre wahrscheinlich auch einem kraftvolleren oder auch nur verschlageneren Politiker kaum gelungen. Ausgleich mit den Sozia- listen, denen man erst vor kurzem im Bürgerkrieg Aug in Aug gegen- überstand? Selbst Dollfuß hatte knapp vor seinem Tod einmal ge- klagt: „Wenn ich das tue, wirft mich Mussolini Hitler in den Rachen."

Nun, eben dies hat Mussolini, ver- führt durch seinen „sacro egois- mo", der ihn in das abessinische Abenteuer lockte, letzten Endes doch getan. Lavieren, Zeit gewin- nen! Das war Schuschniggs Maxi- me. Auch gegenüber den Soziali- sten/denen er gebannt noch durch das Trauma von 1918 mit starken Reserven gegenüberstand. Als er dann den Sprung über den Schat- ten seiner eigenen Erziehung und persönlichen Ressentiments wagte, war es bereits eine Minute vor 12 Uhr. Zu spät.

Hopfgartner erzählt sehr sorg- fältig, bis in manche Details hinab, den Lebenslauf und besonders die Zeit öffentlichen Wirkens Kurt Schuschniggs nach. Er deckt die Wurzeln von dessen „großdeut- scher" (großdeutsch im Sinne des 19. Jahrhunderts) Gesinnung auf. Der Sinn dieser „Großdeutschen" ging nach einem föderalistisch gestalteten deutschen Raum unter dem Zepter des katholischen Erz- hauses. Aus dieser Gesinnung je- doch ein großdeutsches Denken in preußisch-deutschen oder gar na- zistischen Gedankengängen abzu- leiten, wäre verfehlt.

Mit Recht stellt sich der Autor hier ganz vor den tragischen Hel- den seiner Biographie, wenn man aus dessen in der Gestapo-Haft niedergeschriebenen, nie unterfer- tigten Aufzeichnungen ein solches Bekenntnis entnehmen zu können glaubte. Was immer damals unter den glühend heißen Dächern des Hauptquartiers der Gestapo im Wiener Hotel Metropol unter men- schenunwürdigen Haftbe- dingungen zu Papier gebracht wurde, gehört eindeutig in das Kapitel der „Gehirnwäsche". Auch wenn man die Interpretationen diensteifriger Gestapoisten für ihre vorgesetzte Dienststelle außer acht läßt.

Ein noch stärker aufklärungs- bedürftiges Kapitel ist ohne Zwei- fel, daß der Mann, der mit der Devise „Rot-weiß-rot bis in den Tod" in den März-Tagen 1938 eine junge österreichische Generation anzusprechen vermochte, als ame- rikanischer Staatsbürger, wenn auch zurückgekehrt in die Heimat, gestorben ist.

Die wiederbegründete Republik hat freilich 1945 an dem einstigen Kanzler nicht gerade nobel gehan- delt, wobei ihn wohl weniger Res- sentiments einstiger politischer Gegner als die zaghafte Haltung ehemaliger Freunde und Gefolgs- leute gekränkt haben muß. Das aber sind nur einige der noch offe- nen Kapitel, die weitere Bio- graphen veranlassen mögen, sich mit Kurt Schuschnigg zu befassen.

Einer soll sich sogar bereits an die Arbeit gemacht haben.

KURTSCHUSCHNIGG. EINMANNGEGEN HITLER. Eine Biographie. Von Anton Hopfgart- ner. Styria Verlag, Graz 1989.379 Seiten, öS 350,-

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