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Schutz im Unheil, Trost in Nöten

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Einige interessante Ergebnisse aus der Umfragedokumentation „Religion im Leben der Österreicher” und ihrer pastbraltheologi-schen Auswertung im Buch „Leutereligion” sollen in diesem Beitrag, dem ein zweiter folgen soll, herausgegriffen und kommentiert werden. Da Umfragen in erster Linie ihren Sinn dadurch erhalten, daß aus ihren Ergebnissen Konsequenzen gezogen werden, liegen nächste Schritte nun bei den in Österreich für die Seelsorge Verantwortlichen.

Paul M. Zulehner hat seinerzeit den Begriff des „Auswahlchristen” geprägt. Es sollte mit diesem Begriff auf die Tatsache verwiesen werden, daß viele Christen heute nicht bereit sind, alle Normen, Dogmen und Verhaltensweisen der offiziellen Kirche zu übernehmen, sondern nur bestimmte Normen und Glaubensüberzeugungen auswählen und für sich selbst als verbindlich anerkennen. Dieser Begriff hat sich weitgehend durchgesetzt, obgleich offenbleibt, ob die einzelnen Christen nun wirklich bewußt auswählen oder einfach dem Druck des Milieus folgen und ihre religiösen Praktiken und Moral-und Glaubensvorstellungen diesem Milieu anpassen.

Ausgangspunkt und geistiger Hintergrund für den Begriff des „Auswahlchristen” ist auf alle Fälle die offizielle Lehre der Kirche. Bei dem nun neu geprägten Begriff „Leutereligion” ist der Ausgangspunkt die Religion der „Leute”. Die Grundfrage lautet nicht: Inwiefern gibt es einen Widerspruch zur offiziellen Lehre der Kirche, sondern: Was ist die Religion der Leute? Was ist den Leuten an der Religion wichtig? Was erwarten die Leute von der Religion und damit indirekt auch von der Kirche? Es soll die Religion der Leute, so wie sie ist, ernst genommen werden.

Ein typisches Merkmal dieser „Leutereligion” sieht Zulehner im Verlangen nach Stabilisierung: „Für viele Menschen hat Religion die Bedeutung eines .heiligen Schildes' (P. L. Berger).” Die Menschen begeben sich in ihren Schutz, erwarten Kraft in schwierigen Situationen, Trost in Nöten, Hilfe in Krisen, Stärkung der Hoffnung, der Freiheit und des

Selbstbewußtseins___Zu einer so verstandenen „Religion” haben die meisten Österreicher gefühlsmäßig ein gutes Verhältnis” (Religion im Leben der Österreicher, Seite 37).

Zulehner ist sich bewußt, daß seine Ergebnisse nur einige Bausteine der „Leutereligion” darstellen. Es wäre für die Pastoral bedeutsam, in dieser Richtung weiterzufragen. Was die Leute von der Religion erwarten, kann der Pastoral nicht gleichgültig sein.

Ein Kennzeichen der „Leutereligion” ist das Verlangen nach dem „Segen” Gottes. Mit dem Segen kommt das Leben des Menschen mit der Welt Gottes in Berührung. „Damit sollen die Eigenschaften dieser Welt Gottes auf das Leben übergehen: Was die bedrohlichen Eigenschaften des Lebens zähmen soll” (ebd., S. 40).

Dieses Verlangen nach Segen ist aber nicht unproblematisch und ungefährlich. Die Menschen sind ständig in Versuchung, auch ungerechte Verhältnisse und falsche

Verhaltensweisen „segnen”, d.h. „bene-dicere” = gut-heißen zu lassen- Meiner Meinung nach verweist Zulehner hier auf ein sehr interessantes Phänomen.

Dieses Verlangen nach „Segen” geht — nebenbei bemerkt — nicht nur von den „Leuten” aus, sondern gar nicht selten auch von Trägern politischer oder sonstiger Macht, die sonst gar nicht religiös sind. Auch sie wollen sich ihre Verhaltensweisen und Ziele von der Kirche absegnen lassen oder legen höchsten Wert darauf, daß die kirchliche Leitung nichts dagegen sagt. Es ist für die kirchliche Leitung nicht immer leicht, festzustellen, wo sie — oft unter massivem Druck — segnen oder den Segen verweigern soll.

Durch ein falsches Verlangen nach Segen kann auch, wie Zulehner an mehreren Stellen nachweist, die befreiende Dimension des christlichen Glaubens verloren gehen. Christlicher Glaube segnet nicht alles ab, sondern fordert auch Umkehr und Veränderung als notwendigen Weg zum Heil.

Die „kleine Lebenswelt” wird von den Österreichern als sehr wichtig eingeschätzt. Unter „kleiner Lebenswelt” versteht Zulehner vor allem das Netz von überschaubaren Beziehungen: Familie — Freunde — Kinder — Ehe. Von der „kleinen Lebenswelt” erwarten die Menschen vor allem „ihr Zuhause” und das Glück ihres Lebens.

Die Kirche hat diese „kleine Lebenswelt” — speziell durch die Festigung der Beziehungen in Ehe und Familie — immer sehr gefördert.

Gegenwärtig gibt es bezüglich dieser „kleinen Lebenswelten” unterschiedliche Tendenzen und Probleme. Enttäuscht von der Anonymität und den Zwängen der Gesellschaft nehmen viele Zuflucht in diese kleine Welt. Ähnliche Vorgänge gibt es in der Kirche — die Flucht in die kleinen Gruppen.

Dabei wird einmal übersehen, daß diese kleine Lebenswelt auf vielfältige Weise von den Großinstitutionen und gesellschaftlichen Vorgängen mitgestaltet wird und gar nicht in sich und losgelöst existieren kann, und zum anderen, daß diese kleine Lebenswelt, die oft nur aus der „Kleinstfamilie” besteht, völlig überfordert wird. Eine radikale Krise gerade dieser kleinen Lebenswelt ist die Folge.

Aus dieser Diagnose ergeben sich wichtige Aufgaben. Auch die größeren Institutionen und Lebenseinheiten müssen Chancen für ein erfülltes Leben bieten. Die Flucht ins Private ist keine Lösung. Es bedarf des Engagements auch für die „große Lebenswelt”, zumal ja in ihr die Bedingungen geschaffen werden, damit die sogenannten „kleinen Lebenswelten” die berechtigten Hoffnungen erfüllen können. Dies hat auch für das Leben in der Kirche Konsequenzen.

In dieser Umfrage wurde bedauerlicherweise die sehr entscheidende Frage: „Für wen halten die Leute den Menschensohn?” ausgeklammert. Das Evangelium ist wesentlich das „Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes” (Mk 1,1). Und gerade der Glaube an Jesus Christus scheint sich, wie eine ähnliche Umfrage in der Bundesrepublik zeigt, in besonderer Weise aufzulösen. Zunahme der Religion bedeutet auch in Österreich nicht mehr automatisch Zunahme des christlichen Glaubens.

RELIGION IM LEBEN DER ÖSTERREICHER - Dokumentation einer Umfrage. Von Paul M. Zulehner, Verlag Herder, Wien 1982. 220 Seiten, kart., öS 168,-. LEUTERELIGION - Eine neue Gestalt des Christentums auf dem Weg durch die 80er Jahre? Von Paul M. Zulehner, Verlag Herder, Wien 1982. 100 Seiten, kart., öS 110,-.

Der Autor ist Geistlicher Assistent der Katholischen Aktion Österreichs und des österreichischen Katholikentages.

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