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Schutz vor Gottes Macht ?

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Psychologen vertreten die Auffassung, daß bis in die Gegenwart unter den Motiven, warum Versicherungsprämien gezahlt werden, der Opfergedanke nicht ganz verschwunden ist.

Bis heute sind im gesellschaftlichen Bewußtsein unseres Kulturkreises Spuren eines Glaubens verankert, der auf einem Konnex zwischen existenzbedrohenden Ereignissen und göttlichem Zorn beruht. Vor dem historischen Hintergrund stets wiederkehrender Bedrohungen menschlicher Existenz durch gewaltige Ereignisse vertieft sich der Glaube an außergewöhnliche Mächte und höhere Absichten.

Dies kann dem Versicherungsgedanken aber auch durchaus abträglich sein. Die Sorge unserer Vorfahren, durch Handlungen, die Eingriffe in den göttlichen Willen darstellen konnten, den göttlichen Zorn noch zu verstärken, war für die Entwicklung des Versicherungsgedankens nicht immer positiv. Denn schließlich sah man in den verschiedenen schadenbringenden Naturereignissen wie Epidemien, Hagel- und Hochwasserschäden usw. Ausdruck göttlichen Willens, dessen materielle Folgen durch Versicherungen aufzufangen keineswegs als unbedenklich erscheinen mußte.

Obwohl die Kirche selbst älteste Versicherungseinrichtungen betrieb, zog sich der Disput, ob Assekuranz und Gottesfurcht miteinander vereinbar wären, vom Mittelalter bis weit in das 18. Jahrhundert hinein.

Die philosophische Basis für das Versicherungswesen legte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716). Die Ethik, die der Philosoph aus seinem metaphysischen Gedankengebäude ableitete, war ganz auf Gott gerichtet. Uber diesen Weg kommt er mit folgender Erkenntnis aber auch zum Vorsorgegedanken: Die wahre Liebe strömt aus der Erkenntnis der göttlichen Vollkommenheit, sie zeigt sich in der Gleichordnung mit dem Willen Gottes, aber nicht in müdem, tatenlosem Fatalismus, sondern in der Uberwindung des Bösen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.

In logischer Fortsetzung dieser Gedanken verfaßte Leibniz im Jahre 1697 seine Denkschrift über die „Errichtung von Versicherungsanstalten gegen alle Zufälle des Lebens oder wenigstens gegen alle Wasser- und Feuerschäden“. Mit dieser philosophischen Einstellung setzte Leibniz der mittelalterlichen Auffassung, daß jede Versicherung ein unerlaubtes Eingreifen in die Pläne Gottes sei, ein Ende.

Das Christentum der Antike und des Frühmittelalters gewährte aus religiösem Antrieb allen Notleidenden Fürsorge. Die Mittel stammten ausschließlich aus freiwilligen Spenden der Gemeindemitglieder.

Auch eine wesentliche Aufgabe der Mönchsorden bestand in der Sorge für Arme und Kranke. In jedem Kloster war ein Krankenhaus, „infirmaria“ genannt, außerhalb der Klostermauern gewöhnlich ein Hospital, „hospitale pauperum“ genannt. Die Krankenpflege erfolgte durch besondere, in der ärztlichen Kunst und Arzneibereitung erfahrene Mönche.

Einen besonderen Auftrieb erhielt die klösterliche Fürsorgetätigkeit (Caritas) im 12. Jahrhundert. Die in der Zeit der Kreuzzüge (1090-1300) entstehenden Ritterorden verpflichteten ihre Mitglieder zunächst zum Kampf gegen die „Ungläubigen“ im Morgenland und zur Verpflegung der kranken Pilger und Kreuzfahrer.

Neben den Gelübden des Gehorsams, der Ehelosigkeit und persönlichen Besitzlosigkeit legten die Ordensritter auch das Gelübde des Dienstes an Kranken und verlassenen Glaubensbrüdern ab. Die Mittel erhielten sie aus Schenkungen des Adels, aus Belehnungen und Sammlungen. In den Hospitälern erfolgten freie Unterkunft und Verpflegung sowie ärztliche Hilfe.

Um sich ihren ritterlichen Aufgaben widmen zu können, nahmen diese Orden auch dienende Brüder auf, die sich vornehmlich auf Krankenpflege spezialisierten. Diese erhoben schließlich Anspruch auf eigene Verwaltung. Es bildeten sich die Spitalsbruderschaften.

Die Spitalsorden lösten in der sozialen Fürsorge die Ritterorden ab und wurden für das spätere Krankenhauswesen bahnbrechend. Malteserorden beziehungsweise Johanniterorden sind auch die einzigen bis heute in ununterbrochener Tradition erhaltenen Ritterorden, die nach den Idealen „Hospitalität“ und „Glaubensverbreitung“ agieren.

Dem Gebot der Kirche folgend, nahmen schon in fränkischer Zeit Adelige die Gelegenheit war, durch Schenkung an eine kirchliche Anstalt und deren himmlischen Schutzpatron für ihr ewiges Seelenheil Vorsorge zu treffen.

Diese freien, unbeschwerten Schenkungen, die dem Bedachten sofortigen Vorteil brachten, wurden aber schon im neunten Jahrhundert selten. Das ist verständlich, zumal doch diese Art der Schenkung für den Geber den sofortigen Verlust aller Rechte an den übergebenen Vermögensobjekten bedeutete.

Daher wurde schon früh eine Möglichkeit gesucht, die unter voller Erfüllung des von der Kirche geforderten Gebotes eine Berücksichtigung der diesseitigen Lebensnotwendigkeiten zuließ. Werner Ogris betont in seiner Abhandlung „Der mittelalterliche Leibrentenverträg“, daß es naheliegend erscheine, den Verpfrün-dungsvertrag als Ausgangspunkt für die Entwicklung des Leibrentenvertrages anzunehmen.

Ursprünglich war Verpfandung gleichbedeutend mit Eintritt ins Kloster und Ablegung der Gelübde. Die Klosterverpfründung fand eine Entsprechung in den Ver pf ründungsvertr ägen der mittelalterlichen Spitäler, die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in immer stärkerem Maße aufkamen. Ganz so wie bei der Klosterverpfründung wurde auch bei Aufnahme in das Spital verlangt, daß der Pfründner sich seines Vermögens entledige, sich und sein Gut dem Spital übergebe. Zwar fiel hier die Profeßable-gung weg, doch war Aufnahme ins Spital gleichbedeutend mit Eintritt in eine geistliche Bruderschaft, als welche die Gesamtheit der Spitalsinsassen noch lange im Mittelalter angesehen wurde.

Der spirituelle Charakter der Kloster- und Spi-talsverpfründung überdeckte den materiellen Zweck der Diesseitsversorgung und ließ die Gewährung des Lebensunterhaltes gleichsam als Nebenzweck eines zur Erreichung des ewigen Seelenheils abgeschlossenen Rechtsgeschäftes erscheinen. Dennoch darf die weltliche Seite des Institutes nicht übersehen werden.

Verpfründung bedeutete Aufnahme in eine Gemeinschaft. Dem Pfründner stand ein Anspruch auf lebenslänglichen Unterhalt zu. Er erhielt von und in der Gemeinschaft Wohnung und Kleidung, Speise und Trank, im Alter und bei Krankheit Pflege, nach seinem Tode Begräbnis und „Jahrtag“.

Aus dem Ver-pfründungsver-trag konnte im Spätmittelalter auch ein Dritter begünstigt werden. Alte, kranke und schwache Personen wurden auf diese Weise von ihren Anverwandten in die Pflege eines Klosters oder Spitals übergeben.

Der Pfründbegriff wurde mit dem ausgehenden Mittelalter immer mehr ausgehöhlt. Zuerst wurden die religiösen Aspekte und personenrechtlichen Bindungen vernachlässigt; dann suchte man Sonderwünsche des Pfründners in Rentenform zu befriedigen, bis man letztlich die ganze Pfründe in Rentenform realisierte.

Gefördert wurde diese Entwicklung im Zeitalter der frühkapitalistischen Neuzeit durch Klöster und Spitäler selbst. Sie betrachteten den Verpfründungsvertrag vielfach nicht mehr unter dem religiösen Aspekt der Selbstübergabe eines Gläubigen mit Leib und Gut; der Pfründverkauf war zu einem kreditwirtschaftlich .orientierten Geschäft geworden.

Der Autor ist Lektor am Institut für Wirtschaftsgeschichte an der Universität und der Wirtschaftsuniversität Wien sowie Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der Austria Versicherungs AG.

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