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Schutzlos

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Nehmen wir einmal den Ernstfall an: In einem der 13 „Atom-Zeitbomben" in unseren Nachbarstaaten kommt es zu einem Unfall. So- fort ergeht eine Meldung an die Bundeswarnzentrale des Bun- desministeriums für Inneres, die wiederum mit einer soge- nannten „Ringleitung" diese Warnung zu den Landeswarn- zentralen weiterleitet. Die un- mittelbare Alarmierung an die Bevölkerung erfolgt mittels Si- renen. Derzeit sind im gesam- ten Bundesgebiet zirka 6.500 Sirenen vorhanden. Damit können, umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung und ab- hängig von der Bevölkerungs- dichte, ungefähr 60 bis 70 Pro- zent der Bevölkerung erreicht werden. Die Mitwirkung des ORF, der die notwendigen In- formationen an die Bevölke- rung ausstrahlen soll, ist vor- bereitet. Es ergeht die Auffor- derung, die Schutzräume auf- zusuchen. Doch ist unser Land wirklich für diesen, zum Glück noch fiktiven Fall gerüstet? Wird genug zum Schutz der Bevölkerung getan?

Sehr rosig würde es für die Österreicher nämlich im Falle des Falles nicht aussehen. Bloß für 18 Prozent der Bevölkerung wäre Platz in einem der öffentlichen Schutzräume. Doch auch dann sind die Überlebenschancen gering. Größtenteils fehlen die Einrichtung, Filteranlagen und Luftschleusen. Daß man zum Überleben auch Lebensmittel braucht, wird in den meisten Fällen ignoriert. Dieses Zi- vilschutzproblem, nämlich für den Ernstfall wirklich gerüstet zu sein, wird anscheinend vollkommen un- terbewertet. Trotz Top-Aktualität dieses Themas stoßen viele Forde- rungen auf taube Ohren. „Die Leu- te wollen nicht einsehen, daß wir etwas tun müssen, und daß ein Bedarf da ist", meint der Leiter für Katastrophenschutz in Tirol Otto Schimpp. Genaue Zahlen über die Anzahl der öffentlichen Schutzräu- me und über die vorhandenen Plät- ze gibt es nirgends - weder von den einzelnen Bundesländern noch vom dafür zuständigen Bundesministe-

lediglich die bauliche Vorkehrung. Bei Neubauten des Bundes werden aufgrund der Ministerratsbeschlüs- se von 1976 beziehungsweise 1981 in der Regel Schutzräume einge- baut. Einige Landesregierungen haben für Landesbauten analoge Beschlüsse gefaßt. Es wird offen zugegeben, daß der Schutzraum- bau in Österreich nicht in einem wünschenswerten Umfang in Gang gebracht werden konnte. Doch eine Beseitigung des bestehenden Schutzplatzdefizites ist in abseh- barer Zeit leider auch nicht zu erwarten.

Die neun Bundesländer im ein- zelnen betrachtet bringen wirkli- che Horrorzahlen, wenn konkrete Zahlen überhaupt vorhanden sind, zutage, die nur hoffen lassen, daß es nie zu einem Atomunfall kom- men möge, von dem Österreich un- mittelbar betroffen sein würde. Im gesamten Bundesgebiet ist, wie gesagt, für 18 Prozent der Österrei- cher ein Schutzraumplatz vorhan- den. In Niederösterreich ist schät- zungsweise für sieben bis zehn Prozent der Bevölkerung Platz in einem öffentlichen Schutzraum. Die Funktionstüchtigkeit ist fast nicht gegeben, die Lebensmittelbevorra-

rium. So nach dem Motto: „Uns wird schon nichts passieren, daher tun wir auch nichts!" Oder besser gesagt, viel zu wenig im Vergleich mit anderen europäischen Staaten.

Der Schutzraumbau in Österreich wird nicht bundeseinheitlich, son- dern durch unterschiedliche Vor- schriften in den Baugesetzen der Bundsländer geregelt. Durch diese Differenzen schwankt die Anzahl der vorhandenen Schutzräume und deren Ausbaugrad, und damit auch deren unmittelbare Einsatzfähig- keit von Bundesland zu Bundes- land beträchtlich.

Die meisten Bundesländer schrei- ben nicht einen funktionsfähigen, fertigen Schutzraum vor, sondern

tung praktisch nicht vorhanden. Im Burgenland ist in 15 Bundes- be- ziehungsweise Landesbauten Platz für rund 1.000 Personen - im Bur- genland leben 269.771 Menschen! (letzte Volkszählung 1981). In Ober- österreich waren bis 1986 125.000 Schutzraumplätze vorhanden, von denen ein Drittel voll funktionsfä- hig ist. Das Land Salzburg verfügt über 7.300 Schutzraumplätze, doch die Einrichtung fehlt meistens. In den Mönchsbergparkgaragen in der Stadt Salzburg gibt es etwa 30.000 Plätze. Doch die Filterung und der Innenausbau fehlen. Allgemein gibt es keine Versorgung.

In der Steiermark besteht seit 1. Jänner 1970 Schutzraumbau-

pflicht. Genaue Zahlen sind auch hier nicht vorhanden.Eine öffentli- che Bevorratung gibt es nicht, doch steht die Landesregierung in per- manentem Kontakt mit Großhan- delszentralen. „Eine flächendek- kende Versorgungspflicht würde si- cherlich Schwierigkeiten bereiten, doch könnten wir die Bevölkerung im Notfall für 14 Tage mit Lebens- mitteln versorgen", so Kurt Kal- cher von der Landesregierung Stei- ermark.

Kärnten hat 8.000 Schutzraum- plätze in öffentlichen Gebäuden, doch wie weit sie standhalten können, ist fraglich. Klagenfurt schreibt für jedes Einfamilienhaus einen Schutzraum vor. Es gibt kei- ne Lebensmittelversorgung. In Ti- rol ist die Schutzraumbaupflicht seit 1974 in der Bauordnung veran- kert. Es gibt 150.000 Schutzraum- plätze. Die Hälfte der Bevölkerung könnte für 14 Tage mit Lebensmit- teln versorgt werden. In Vorarlberg können 20 Prozent der Bevölke- rung in Schutzräumen (öffentlich und privat) untergebracht werden.

Angesichts dieser Zahlen und Versorgungsmängel ist der Fall eines atomaren Unfalls mehr als beängstigend. Österreich könnte sich ein Beispiel an so man- chen anderen europäischen Staaten nehmen. Dort wird dem Zivilschutz weit mehr Beachtung geschenkt. Die Schweiz ist das Musterland des Zivilschutzes.

Dort gibt es für 6,4 Millionen Einwohner rund sechs Millio- nen Schutzplätze, die mit Fil- tern ausgestattet sind und künstlich belüftet werden kön- nen. Also Schutzräume für 95 Prozent der Bevölkerung! Eine öffentliche Lebensmittelbe- vorratung ist hier Pflicht. In weiterer Folge sind es beson- ders die skandinavischen Staa- ten, die im Schutzraumbau Vorbild sein könnten. Nach der Schweiz kommt Schweden, das über 6,740.000 Schutzraum- plätze verfügt und somit 90 Prozent der Bevölkerung schützen könnte. Neben dem öf- fentlichen Schutzraumbau ist es in erster Linie die weitaus höhere Zahl privater Schutzräume, die Norwegen zu einem Vorbild macht. Zu Jahresende 1988 standen etwa 280.000 öffentliche und 2,070.000 private Schutzräume zur Verfügung - für rund 67 Prozent der Bevöl- kerung. Finnland hat Plätze für 70 Prozent und Dänemark für 51 Pro- zent der Bevölkerung.

In Österreich wird zum Schutz der Bevölkerung zu wenig getan. Ändern wird sich an dieser Situa- tion in absehbarer Zeit leider auch nichts. Wir können wirklich nur hoffen, daß wir unsere Schutzräu- me nie brauchen werden.

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