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Schwache Lira

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Schatzkanzler Giovanni Malagodi dürfte gegenwärtig der meistkritisierte Minister des zweiten Kabinetts Andreotti sein. Dem ehemaligen Generalsekretär der Liberalen Partei Italiens und Präsidenten der Liberalen Weltunion wird vorgeworfen, er habe als Unterhändler seines Landes weder in Paris noch in Brüssel der Isolierung Italiens in der Wirtschaftsgemeinschaft um den Vierzehnerklub der Industriestaaten einen Riegel vorgeschoben und sie mit seinem eigenmächtigen Vorgehen — Anpassung der Lira an den entwerteten Dollarkurs statt des Versuchs einer Angleichung an die Wirtschaftspolitik der Bündnispartner der EWG — noch vorangetrieben.

Daß die EWG aus wirtschaftlich starken und schwachen Mitgliedern besteht, ist eine Tatsache, über die man sich seit ihrer Gründung viele Jahre lang hinweggesetzt hat. In den endfünfziger und sechziger Jahren tat man so, als wäre der Abstand zwischen dem fortgeschrittenen Nord-und Westeuropa und dem Süden, genauer: zwischen der Wohlstandsgesellschaft der Bundesrepublik und dem armgebliebenen Mezzogiorno, ein Provisorium, daß sich verhältnismäßig schnell überwinden lasse. In diesem Sinne wurden dann von Seiten der Bündnispartner, auch beispielsweise der Schweiz, in Süditalien Fabriken errichtet, hat man dem Mezzogiorno auch sonst unter die Arme gegriffen, während die norditalienische Industrie besonders in Frankreich, Belgien und Großbritannien, aber auch in Holland und Westdeutschland expansiv wurde, mit ihren damals noch verhältnismäßig geringen Arbeitskosten auch manchen Markt geradezu erobern konnte. Hätte diese Entwicklung über die fünfziger Jahre hinaus eine Zukunft gehabt, wer weiß, ob da das sogenannte Zivilisationsgefälle zwischen Nord- und Südeuropa, wenigstens im Falle Italiens, allen Schwierigkeiten zum Trotz, sich nicht erheblich hätte vermindern lassen. 1959 war die Lira jedenfalls Anwärter auf den Oskar der härtesten Währung der Welt und 1960 hatte die Arbeitslosigkeit den tiefsten Stand der Nachkriegszeit erreicht. Doch jene Entwicklung erfuhr zwei große Unterbrechungen.

Mit der Verstaatlichung der Elek-trizitätsindustrie und der Durchführung des Kurses links von der Mitte, wurde die inländische und ausländische Privatwirtschaft seit 1962 in zunehmendem Maße verängstigt. Statt ihre Kapitalien in Italien einzusetzen, flüchtete sie mit ihnen ins Ausland, nicht zuletzt in die Schweiz.

Der zweite Rückschlag erfolgte 1969 mit dem sogenannten heißen Herbst. Ungeachtet der Tatsache, daß drei Millionen Italiener als Fremdarbeiter im Ausland tätig sind und rund achthunderttausend keine Arbeit finden, ertrotzten die Gewerkschaften mit Aufständen aller Art massive Lohnerhöhungen. Bei dreihundertsechzig Millionen durch Streiks verlorenen Arbeitsstunden erhöhte sich das Lohnniveau um ungefähr zehn Prozent. Mit den gesteigerten Arbeitskosten und teilweise veralteten Anlagen war selbst die norditalienische Industrie im Verhältnis zu den Schweizer und den nordeuropäischen Betrieben immer weniger konkurrenzfähig.

Als Washington im Dezember 1971 den Dollar zum erstenmal abwertete, kam für Rom nur eine kleine Aufwertung der Lira gegenüber der amerikanischen, nicht aber eine Aufwertung im Einklang mit den Währungen der europäischen Bündnispartner in Betracht. Gleichsam mit Händen und Füßen wehrte sich das Kabinett Andreotti vor neun Monaten gegen die Abwertung der Lira, die wegen der enormen Preissteigerungen nötig schien, um der Exportindustrie bei erhöhten Arbeitskosten eine zusätzliche Chance zu geben. (Bekanntlich kommt eine Abwertung der eigenen Exportindustrie zugute, weil die Käufer im Ausland die exportierten Produkte nun billiger erstehen können.) Als Präsident Nixon anfangs Februar zur zweiten Abwertung schritt, benützte Schatzkanzler Malagodi die Gelegenheit, um die Lira ebenfalls abzuwerten. Durch das Floating der eigenen Währung hat dabei die Lira seither, je nach Standort, eine Werteinbuße bis zu zwölf Prozent erfahren. Verteuern sich also die Importgüter für Italien sehr erheblich, so verbilligen sich für das Ausland seine Ausfuhrgüter.

Trotz beträchtlich gestiegener und durch Streiks immer weiter steigender Arbeitskosten bleibt die italienische Exportindustrie, dank der Abwertung, vorderhand konkurrenzfähig, wenigstens gegenüber den europäischen Industrienationen, die durch Washington oder — sagen wir gerechter: durch ihre wirtschaftlich starke Position entweder zur ausdrücklichen oder aber stillschweigenden Aufwertung genötigt sind. Dieser Alleingang Italiens ist in Brüssel seitens der übrigen Bündnispartner bereits vor vierzehn Monaten und, vermehrt, seit Anfang Februar auf harte Kritik gestoßen, wobei das harte Wort von der aufgelösten oder in zwei Teile zerfallenen EWG gefallen ist.

Wieweit Malagodi in Übereinstimmung mit der rückständig gebliebenen süditalienischen und durch hohe Arbeitskosten bedrohten norditalienischen Wirtschaft gehandelt hat, ist umstritten. Politisch bedeutsam ist jedenfalls der Umstand, daß Mala-godis Währungspolitik auch in Italien auf heftige Kritik stößt, freilich besonders auf Seiten der Linkssozialisten und Kommunisten, die zu bedenken geben, daß bei diesem Manövrieren mit der Lira einseitig Interessen der Ausfuhrindustrie im Vordergrund gestanden seien. Was dieser nutzt und frommt, nämlich die ihre Güter konkurrenzfähig erhaltende Abwertung, sei berücksichtigt worden, wobei man die sich ergebende erhebliche Verteuerung der Importgüter übersehen habe. Diese werde sich dann ihrerseits nachteilig auf die Wirtschaft, nicht zuletzt auch auf die Exportchancen auswirken, sodaß sich Italiens Alleingang in Sachen Währung schließlich gar nicht gelohnt habe.

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