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Schwäche schwächt

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Kissingers Drohung an die Araber für den „Fall der Fälle”, nämlich militärisch die Ölversorgung des Westens (im übrigen auch der Dritten Welt) sicherzustellen, könnte das Ende der Sehwächeperiode der US-Administration andeuten; es könnte aber auch ein Zeichen sein, daß Washington mit dem normalen Instrumentarium der Diplomatie der größten Macht der Erde am Ende des Lateins ist.

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Kissingers Drohung an die Araber für den „Fall der Fälle”, nämlich militärisch die Ölversorgung des Westens (im übrigen auch der Dritten Welt) sicherzustellen, könnte das Ende der Sehwächeperiode der US-Administration andeuten; es könnte aber auch ein Zeichen sein, daß Washington mit dem normalen Instrumentarium der Diplomatie der größten Macht der Erde am Ende des Lateins ist.

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Es ist zweifellos schwierig, die in verschiedenem Grad von der Erdöl- erpressumg betroffenen westlichen Staaten unter einen Hut zu bringen. Aber der Westen wäre wohl bereits früher zu einer Koordination der Energiepolitik gelangt, wenn sich die amerikanische Regierung und der Kongreß auf eine gemeinsame Linie geeinigt hätten. Nach dem ersten Eklat des Ölembargos hatte noch Präsident Nixon stolz erwidert, das Projekt „independen.ee” würde die USA von Energieimporten unabhängig machen. Nun liegt dieses Ziel durchaus im Bereich des Erreichbaren. Es setzt aber eine starke Politik voraus, den Autarkiebestrebungen keinerlei politische oder ökologische Hindernisse in den Weg zu legen.

Es befehden sich im Augenblick zwei Schulen: die eine sucht durch außenpolitische Koordination des WTestens das arabische Ölkartell zu bekämpfen (und wenn möglich zu zerbrechen), um eine Reduzierung der ölpreise zu erreichen. Die andere würde zunächst hohe Energiepreise akzeptieren, damit die Rentabilität zur Erschließung neuer Energiequellen gesichert wird. Irgendwo dazwischen laviert die amerikanische Regierung. Denn so löblich es auch ist, den Energiekonsum zu drosseln, so kann dieser Weg auf die Dauer doch zu keiner endgültigen Lösung führen. Eine moderne Industrie braucht ausreichende Energie, sie muß aus dem Vollen schöpfen können.

Die Regierung Ford ist sich aber auch noch nicht im klaren, ob sie die Inflation oder die Rezession bekämpfen will. Zugegeben: es ist schwierig, in einer Demokratie der Inflation mit wachsender Arbeitslosigkeit zu begegnen. Aber nach den jüngsten Erfahrungen müßte es sich schon herausgestellt haben, daß es leichter ist, die Konjunktur wieder anzufachen, als die Lohn-Preis- Spirale zu zerbrechen. Daß der Kongreß angesichts einer 7prozentigem Arbeitslosigkeitsrate bereit ist, der artifiziellen, Belebung der Konjunktur Priorität über die Bekämpfung der Inflation einzuräumeh, ist durchaus verständlich. Abgeordnete sind im allgemeinen in kürzeren Abständen dem Wähler verantwortlich als der Präsident. Überdies kennen die den Gewerkschaften nahestehenden Politiker in einer inflationären Konjunkturphase ihre Sozial- und Lohnmacht. Wenn aber die US- Regierung auf die Linie des geringeren politischen Widerstandes einschwenken sollte, ‘ wenn all die bitteren Opfer der letzten Monate eine noch höhere Inflation in den kommenden Jahren bringen sollten, dann wird sie die politische Erbitterung hinwegfegen..

Es hat den Anschein, als ob Bundeskanzler Schmidt bei seinem Besuch in der amerikanischen Hauptstadt Präsident Ford überzeugt hätte, es sei an der Zeit, wieder die Konjunktur anzufachen. Schmidts Anliegen sind verständlich. Die deutsche Inflation ist halb so hoch wie die amerikanische. Die deutsche Sozialdemokratie steht vor einer schweren politischen Bewährungsprobe. Präsident Ford kann aber 1976 nur wiedengewählt werden, wenn er jetzt eine rigorose Wirtschaftspolitik macht. Begibt er sich auf die Ebene kurzfristiger Wirtschaftsmanäpula- tion, wird er nicht nur von jenen geschlagen, die weit besser als er manipulieren können, sondern er leistet einen tragischen Beitrag zum Ende der amerikanischen Wirtschaftsmacht und der Marktwirtschaft in der freien Welt.

Aber auch außenpolitisch leiden die USA unter einer Verkennung der eigenen Stärke. Ein klassischer Fall sind die peinlichen Ausrutscher im Bereich der Detentepolitik mit der Sowjetunion. Diese Detentepolitik, ursprünglich von Nixon und Kissin- ger mit der sowjetischen Regierung abgesprochen, basiert auf der Erkenntnis der amerikanischen Regierung, daß sie sich eine Konfrontationspolitik nicht mehr leisten kann. Auch der Sowjetunion bringt diese Detentepolitik Vorteile, weil sie dem zivilen Sektor Autorität einräumen kann. Während aber die USA eine Alternative zur Detente hat, ist die Sowjetunion sehr wohl in der Lage, auf den Kalten Krieg zu schalten.

Ein wichtiger Faktor dieser Dėten- tepolitik ist der Ausbau der amerikanisch-sowjetischen Handelsbeziehungen, die Liberalisierung der amerikanischen Zollbestimmungen und die Gewährung amerikanischer Exportkredite. Um diese Außenhandelsvoraussetzungen zu schaffen, war die Sowjetunion bereit, jenen Kreisen im amerikanischen Kongreß Konzessionen in der Emigrationspolitik für sowjetische Juden zu machen, die eine solche Liberalisierung in den parlamentarischen Körperschaften blockieren können. Statt sich aber mit inoffiziellen mündlichen Zugeständnissen zufriedenzugeben, forderten diese Parlamentarier — allen voran Senator Jackson, ein demokratischer Präsidentschaftskandidat — formelle sowjetische Erklärungen. Ein rarlamentarischer Ausschuß soll nun darüber wachen, ob Emigrationsquoten — die von der Sowjetunion öffentlich niemals zugestanden wurden — eingehalten werden oder nicht.

Diese arrogante Haltung gewisser amerikanischer Parlamentarier hat Moskau sichtlich verärgert. Man war in Moskau wohl bereit, gärende Be- völkerungselemente abzusächern. Aber man dst nicht bereit, sich bescheinigen zu lassen, daß man zu Konzessionen gezwungen wurde; und man will vor altem vor den Arabern nicht bloßgestellt werden. Schon gar nicht von Politikern, die offenbar das wirkliche Kräfteverhältnis in der Welt nicht abschätzen können.

Führt man sich nun all diese Ungereimtheiten, Widersprüche und den Mangel an politischer Linie vor Augen, dann wird man auch verstehen, daß das amerikanische Volk seinen gewohnten Optimismus und gesunden Instinkt zumindest temporär verloren hat. An seinen eigenen Institutionen zweifelnd, im unklaren über die Position in der Welt, inmitten der Amtsperiode ohne gewählte Regierung, wird es zum Spielball aller möglichen Gerüchte, Ängste und selbstzerfleischender Komplexe.

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