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Die „Westeuropäische Union“ ist eine der am wenigsten aktiven europäischen Institutionen; sie vegetiert im Schatten von dynamischeren Einrichtungen, wie dem Parlament der EWG, der OECD und dem Europarat.

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Die „Westeuropäische Union“ ist eine der am wenigsten aktiven europäischen Institutionen; sie vegetiert im Schatten von dynamischeren Einrichtungen, wie dem Parlament der EWG, der OECD und dem Europarat.

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Der Zweck dieses Gremiums in den heutigen Tagen ist nicht ganz klar. Die wichtigen militärischen Beschlüsse werden bei den jährlichen Ratssitzungen der NATO gefällt und die für Europa entscheidenden wirtschaftlichen Probleme erörtern und lösen der Ministerrat, die Kommission und das Parlament der EWG.

Vom 19. bis zum 22. Juni 1973 fand nun in Paris die Vollsitzung derUEO — wie die französische Abkürzung landläufig lautet — statt. Unter anderem hielt der Generalsekretär der NATO, der Holländer Luns, ein Referat, wie auch der Oberkommandierende der NATO-Streitkräfte in Europa, der amerikanische General Goodpaster. Da die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft soeben in Kopenhagen ihre Politik abgestimmt hat, wäre im Prinzip die Zusammenkunft der „Westeuropäischen Union“ kaum erwähnenswert. Aber ein Umstand zwingt die Beobachter der internationalen Politik, diesem Kongreß eine gewisse Wichtigkeit in der Entwicklung der westlichen Politik zuzuordnen: denn unter den Abgeordneten weilten drei Vertreter der französischen Kommunistischen Partei als aufmerksame Zuhörer. Neben Repräsentanten der anderen im Palais Bourbon vertretenen Parteien zierten sie zum erstenmal die Sitze im Haus der UEO an der Place Jena.

Seit dem Bestehen europäischer Einrichtungen vermieden es die beiden Staaten Frankreich und Italien peinlichst, die zahlenmäßig starke Fraktion ihrer kommunistischen Parteien in die europäischen Ausschüsse zu schicken. Die Italiener brachen allerdings schon vor einiger Zeit dieses Tabu. In Paris mußte erst die Frühjahrssession 1973 der Kammer abgewartet werden, bevor die Namen der Delegierten für das europäische Parlament der EWG, für den Europarat und die Vollversammlung der „Westeuropäischen Union“ bekannt wurden. Alle französischen Parteien waren sich darüber einig, daß die Repräsentanten der zweitstärksten politischen Kraft des Landes nicht ständig von den internationalen parlamentarischen Körperschaften ausgeschlossen bleiben sollen.

Bisher wurde der europäische Parlamentarismus im wesentlichen von den Christlich-Demokraten, den Sozialdemokraten und den Liberalen beschickt. Ohne Zweifel standen die christlich-demokratischen Parteien an der Basis Europas.

Und doch erwarben sich gerade westliche Sozialisten größte Verdienste um die Einigung Europas, wie etwa der belgische Außenminister Spaak. Auch die französische SFIO betrieb — von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen — stets eine bewußt positive Europapolitik.

Inzwischen lösten die sozialistischen Parteien in einer Reihe von Staaten die christlichen Demokraten ganz oder teilweise ab und übernahmen trotz gewisser Mental-Reser-ven, das europäische Erbe. Dieses rosa Europa der Sozialisten sieht natürlich anders aus als jenes der großen Väter der modernen christlichen Demokratie. Dem Beobachter dieser Fragen sei anempfohlen, die Vorschläge zu analysieren, die Bundeskanzler Brandt anläßlich der europäischen Gipfelkonferenz im Oktober 1972 dem Forum der neun europäischen Staats- und Ministerpräsidenten vorlegte. Während die christlichen Demokraten von der menschlichen Persönlichkeit ausgingen, das Individuum in den Mittelpunkt stellten und das Subsidiari-tätsprinzip als vorbildliches Instrument der Selbstverwaltung kleiner Einheiten priesen, gehen die Vorstellungen Willy Brandts und seiner Gesinnungsfreunde von eher kollektivistischen, große Gemeinschaften fördernden Projekten aus. Nun existieren in der europäischen Sozialdemokratie deutliche Neigungen zur Kontestierung der bisherigen liberalen, vielfach neokapitalistischen gesellschaftlichen Organisationen. Diese Tendenzen — durch den schwedischen Ministerpräsidenten Palme und die deutschen Jusos vertreten — beeinflußten in letzter Zeit sichtlich die Ideen der französischen und italienischen Sozialisten.

Die kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs setzten seit Beginn der europäischen Integrationspolitik allen Versuchen, die freien Staaten des Westens zumindest in einer Konföderation aneinander zu binden, ein permanentes Veto entgegen. Die Position der Italiener — Herolde des Polyzentris-mus — zeigte sich aber um vieles flexibler als die, welche Thorez, Waldeck-Rochet und deren Freunde proklamierten. Die französischen Kommunisten folgten willig und kritiklos den Weisungen des Kremls. Mit ihren Genossen von der KPdSU glaubten sie, in der europäischen Union ein die Erfolge des Sozialismus in Mittel- und Osteuropa bekämpfendes Instrument des Kalten Krieges zu sehen.

Anfang Mai reiste der Generalsekretär der KPF, Georges Marchais, nach Rom, um zwar nicht dem Heiligen Vater, aber seinem Amtskollegen Berlinguer eine Aufwartung zu machen. Bis dahin zeichneten sich die Beziehungen dieser beiden größten kommunistischen Parteien des Westens nicht durch besondere Herzlichkeit aus. Bei den Verhandlungen zwischen Marchais und Berlinguer konnte eine gemeinsame Front hergestellt werden, um eine kommunistische Fraktion im europäischen Parlament zu bilden und eine Taktik in den europäischen Gremien auszuarbeiten. Die Stoßrichtung der europäischen Kommunisten läßt sich aus verschiedene Enunziationen ablesen: Sie wollen in erster Linie die multinationalen Unternehmen bekämpfen und diese — nach ihren Worten — „Auswüchse des Monopolkapitalismus“ unter Kontrolle bringen. Es darf auch angenommen werden, daß soziale Kämpfe in diesen internationalen Großkonzernen künftighin einheitlich abgestimmt und von einer Zentrale aus gelenkt werden. Und manche bewußten Europäer befürchten nun, daß der Kreml mit dem Einzug kommunistischer Abgeordneter sein trojanisches Pferd in die Ställe von Luxemburg, Brüssel und Straßburg gebracht hat.

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