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Schwarzarbeit: Eine Wachstumsbranche

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Nicht nur in Österreich florieren Pfusch, Ohne-Rechnung-Geschäfte und Wirtschaftskriminalität. Ein kürzlich erschienenes Buch zeichnet ein tristes Sittenbild unseres wirtschaftlichen Alltags.

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Nicht nur in Österreich florieren Pfusch, Ohne-Rechnung-Geschäfte und Wirtschaftskriminalität. Ein kürzlich erschienenes Buch zeichnet ein tristes Sittenbild unseres wirtschaftlichen Alltags.

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Es ist lesenswert, wie die Autoren die heutigen Zustände in der Wirtschaft schildern: In allen Bereichen entwickelt sich ein Markt neben dem Markt, eine Wirtschaft neben der Wirtschaft. Vieles wird doppelbödig.

So schätzt etwa die OECD, daß die Schattenwirtschaft in Österreich rund 8,5 Prozent des Brutto-nationalprodukts oder 90 Milliarden Schilling umsetzt. Das entspricht etwa der Leistung des gesamten österreichischen Fremdenverkehrs. Ernst Hofbauer und Wolfgang Schüssel kommen sogar zu einem noch höheren Schätzwert für 1982, nämlich auf 110 Milliarden Schilling.

Die Palette der Tätigkeiten in der Schattenwirtschaft ist groß: Pfusch, Eigenregiebauten, Ohne-Rechnung-Geschäfte, Nebenbeschäftigung von Beamten, Diebstahl am Arbeitsplatz, Steuerhinterziehung, Naturaltauschsyste-me...

Hier sind alle Berufe und sozialen Schichten zu finden: Der Professor, der schwarz Nachhilfe gibt, der Arzt, der ohne Rechnung Honorare kassiert, der Maurer, der pfuscht, die Hausfrau, die eine Bedienung annimmt (ohne angemeldet zu sein, versteht sich), der Vermieter von Zimmer mit Frühstück, der den Gast nicht anmeldet, der Mechaniker, der eine zu niedrige Rechnung ausstellt...

Wie weit Schwarzarbeit verbreitet ist, zeigt eine Fessel-Untersuchung: 1983 gaben zwölf Prozent an, selbst schwarz gearbeitet zu haben, und weitere acht Prozent hatten einen Pfuscher in der Familie. Noch höher liegt der Anteil derjenigen, die Pfuscharbeit in Auftrag gegeben hatten. Er liegt bei 20 Prozent. Weitere zehn Prozent haben einen Schwarzarbeit-Auftraggeber in der Familie. Je mehr einer verdient, umso eher engagiert er Pfuscher.

Kein Wunder daher, daß Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung in Österreich als Kavaliersdelikt gelten: Sechs von zehn Befragten meinen, man müsse bei Schwarzarbeit kein schlechtes Gewissen haben. Und 55 Prozent sind der Ansicht, ein Eigenheim könne man überhaupt nur im Pfusch bauen.

Angenehm lesbar, vielleicht etwas zu ausführlich wird dargestellt, wie sich die Dinge so in der Praxis abspielen: „Der moderne Schwarzarbeiter kommt im Auto, überprüft die Stätte seines vorübergehenden Wirkens gründlich auf ihren Komfort und auf humane Arbeitsbedingungen, leistet rasche Arbeit und verlangt danach Bares." Meistens ist die Hälfte im voraus zu zahlen.

Es gibt sogar Vermittler von Pfuscherteams. „Diese Pfuscherteams sind technisch hervorragend ausgerüstet. Sie haben mehr und bessere Maschinen und Werkzeuge als ein kleines Bauunternehmen. Ein Teil davon ist gestohlen", wird ein Insider zitiert.

Allein im Wohnungsbau dürften jährlich 17 Milliarden schwarz fließen. Im gesamten Bausektor dürften die Schwarzumsätze etwa doppelt so hoch liegen. Im Vergleich dazu nehmen sich die 12 Milliarden im Fremdenverkehr geradezu bescheiden aus, ebenso wie die fünf Milliarden bei Kfz-Reparaturen. Gerade da ist die Versuchung auch wirklich zu groß! Das Lackieren eines Kotflügels kostete 1982 in der Werkstatt etwa 2000, beim Pfuscher maximal 900 Schilling.

Die Liste der „Schattenleistungen" ist lange und eindrucksvoll: Friseure 1,4 Milliarden, Fotografen 500 Millionen, Bedienerinnen 1,8 Milliarden, Nachhilfestunden 300 Millionen, Freiberufler zwei Milliarden. „Fleißige Friedhofsänger kommen auf 80.000 Schilling im Monat... Wissenschaftler lassen sich Gutachten unter der Hand schwarz bezahlen. Journalisten entwerfen Exposes für Werbekampagnen ..."

All das wird so attraktiv, weil die Steuern und Sozialabgaben die Kosten der regulären Wirtschaft so stark in die Höhe treiben. Installateure und Kfz-Me-chaniker müssen ihren Kunden oft gut zureden, damit sie eine Rechnung nehmen. Viele Geschäfte sind überhaupt nur zu machen, wenn sie ohne Rechnung über die Bühne gehen.

Zu all dem kommen noch die eindeutig kriminellen Handlungen. Ihre Dunkelzahl liegt sehr hoch. Dementsprechend sind die Schäden durch Wirtschaftskriminalität in der Höhe von fünf Milliarden Schilling nur eine sehr grobe Schätzung, ebenso wie die 3,5 Milliarden für Ladendiebstähle, Computerkriminalität und Wirtschaftsspionage.

Spätestens hier ist der Hinweis notwendig, daß all dies keine österreichische Spezialität ist. Die zweifelhaften Praktiken erfreuen sich weltweit größter Beliebtheit: „In Taipeh erhält man .nackte' Uhren angeboten, und der Kunde kann frei wählen, welches gefälschte Markenzeichen seine neue Uhr tragen soll."

Sogar „die Seeräuberei ist nach einem Bericht der Vereinten Nationen sowohl auf offenen Meeren als auch in Häfen wieder auf dem Vormarsch und wird für die Handelsschiffahrt zu einem immer ernsteren Problem".

Es floriert aber auch die organisierte Pkw- und Lkw-Plünde-rung: „Im .Bermuda-Dreieck' für Lastkraftwagen zwischen Brenner, Modena und Mailand verschwinden Lastkraftwagen samt Ladungen serienweise."

Sicher ist all das schockierend. Schwerer wiegt aber die großangelegte Steuerhinterziehung. In Steueroasen werden Banken und eigene (meist Schein-)Firmen gegründet. Uber sie läßt sich sauer in Ländern mit hohem Steuersatz verdientes Geld in Steuerparadiese absaugen. Als Mittel dienen dabei: Zahlung für „Leistungen" von Marktforschungs-, Bera-tungs- und Werbegesellschaften in den Oasen, Zahlungen für das Abtreten von Markenzeichen,

Manipulation von Import- und Exportpreisen...

Der US-Senat schätzt, daß j ährlich 40 Milliarden Dollar über solche Spezialbanken geschleust werden. Etwa 700 Milliarden Schilling gelten als „versickerte Zinszahlungen" auf dem Euro-Dollar-Markt. Die Oasen heißen Panama, Monaco, Andorra, Liechtenstein, Bahamas...

Und die Ursache für all diese Misere? Nun, vereinfacht ausgedrückt, sehen Hofbauer und Schüssel den hypertrophen Staat als Quelle allen Obels an. In vieler Hinsicht haben sie damit recht, denn er verlangt allzu hohe Abgaben, verwendet die Mittel vielfach schlecht, erläßt zu viele Gesetze, produziert für Schwarzarbeit anfällige Arbeitslose...

Im Buch wird dieser Aspekt aber überbetont. Auch wird dem Thema Schwarzarbeit zu viel Raum gewidmet. Da stimmt es sicher, daß hoher Steuern- und Abgabendruck sowie Uberfülle von Regulierungen zum Untertauchen verleiten. Wenn man vor allem die Bekämpfung der Schwarzarbeit anstrebt, mögen Steuersenkung und Entbüro-kratisierung zu einer Verbesserung der Lage und zu weniger Entfremdung zwischen Staat und Bürger führen.

Nur, liegen die Probleme nicht viel tiefer? Wird hier nicht ein kompletter Werteverfall auf allen Ebenen geschildert? Ist nicht das amoralische Grundprinzip der Wirtschaft der eigentlich Schuldtragende? Was soll anderes herauskommen, wenn Gewinn und Wirtschaftswachstum alleinige Erfolgskriterien sind?

Vor Jahrzehnten stellte Wilhelm Röpke, ein neoliberaler Theoretiker, fest, die Marktwirtschaft sei eine moralverzehrende Einrichtung. Noch deutlicher Lord Maynard Keynes, Vater der Nachkriegswirtschaftspolitik: „Geiz, Wucher und Mißtrauen müssen noch für eine kleine Weile unsere Götter sein. Denn nur sie können uns aus dem Tunnel wirtschaftlicher Notwendigkeit in die Helligkeit führen."

Wie diese Helligkeit aussieht, zeigen die Autoren. Wir werden aber nicht so sehr mehr Markt und Wettbewerb, sondern vor allem mehr Moral brauchen, um aus dem Schlamassel herauszukommen.

SCHATTENWIRTSCHAFT IN OSTERREICH. Von Ernst Hofbauer und Wolfgang Schüssel. Österreichischer Wirtschaftsverlag. Wien 1984.304 Seiten. 318 Schilling.

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