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Schwarzes Land des Uran

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Als am 3. August 1960 die Bepublik Niger ihre Unabhängigkeit erklärte, schien es, als sei sie von totaler Zersplitterung bedroht; Niger litt unter einem völligen Mangel an natürlicher Einheit. Im Gegensatz zur Elfenbeinküste oder Obervolta besaß keiner der eingeborenen Volksstämme zur Gänze sein eigenes Gebiet.

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Als am 3. August 1960 die Bepublik Niger ihre Unabhängigkeit erklärte, schien es, als sei sie von totaler Zersplitterung bedroht; Niger litt unter einem völligen Mangel an natürlicher Einheit. Im Gegensatz zur Elfenbeinküste oder Obervolta besaß keiner der eingeborenen Volksstämme zur Gänze sein eigenes Gebiet.

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So reichten die zahlenmäßig vorherrschenden Ahoussa im Süden weit über die Grenze nach Nigerien hinein, im Westen die Djerma-Sonrhai nach Dahome, und vor allem zur Republik Mali. Im Norden nomadisierten 290.000 Tuareg nach Algerien hin. Der Stamm der Fulbe umfaßt 600.000 Menschen, deren Lebensweise der Idee eines an die Geographie gebundenen Nationalismus unzugänglich war. Schließlich befindet sich die neue Republik ähnlich wie Mauretanien, Mali, Tschad und der Sudan in jener Unruhezone des schwarzen Erdteils, wo die schwarze Bevölkerung des Südens und die arabisierten Moslems des Nordens seit mehreren Jahrhunderten aufeinanderstoßen. Das geringste Gefecht um einen Brunnen zwischen Angehörigen nomadisierender und seßhafter Volksstämme konnte zu kriegerischen Wirren führen.

Angesichts dieser inneren Schwierigkeiten mit den völlig verschiedenen Stämmen zeigt die Regierung Nigers seit zehn Jahren große Geschicklichkeit. Sie leugnete keineswegs die Existenz des traditionellen Stammestums, wie dies nahezu alle Regierungen der Nachbarstaaten taten. Sie zwang die Stämme auch nicht in politische Institutionen und lief deshalb auch nicht Gefahr, eine Tragödie nach dem Beispiel Biafras zu schaffen.

Sparsamkeit der Verwaltung

Zur Zeit des Überganges von der französischen Kolonialverwaltung zur unabhängigen Republik spielte der Führer der Freiheitspartei, Djibo Bakary, der den politischen Tendenzen des Präsidenten von Guinea, Sekou Toure, folgte, eine bedeutende Rolle. Bei den Parlamentswahlen im Jahr 1958 erhielt jedoch der Führer der Fortschrittspartei, Diori Hamani, eine überwältigende Mehrheit, die ihm bei den letzten Wahlen bestätigt wurde.

Gleich anderen Politikern, die an die Spitze besitzloser Staaten gestellt wurden, hätte auch Staatspräsident Diori den ehemaligen Machthaber für seine Nöte verantwortlich machen und das im Land herrschende Elend der „kolonialen Ausbeutung“ in die Schuhe schieben können. Von Natur aus jedoch jeder Art von Demagogie abhold, war er sich durchaus bewußt, daß er mit dem Fremdenhaß sein Volk in unabsehbare Abenteuer stürzen würde. Es kam ihm vielmehr darauf an, die technische und finanzielle Unterstützung der Europäer zu gewinnen.

Präsident Diori vermochte durch eine vernünftige Wirtschaftspolitik die innere politische Stabilität herbeizuführen. Eine Politik größter Sparsamkeit in der Staatsverwaltung gehört zu den Grundpfeilern seines Regierungsprogramms.

In religiöser Hinsicht setzt sich die Bevölkerung zum überwiegenden Teil (85 Prozent) aus Moslems zusammen; rund 13 Prozent sind Ani-misten und nur 2 Prozent sind Christen, die hauptsächlich aus den christianisierten Gegenden Dahomes und Togos als Arbeiter eingewandert sind. Präsident Diori selbst ist ein strenggläubiger Moslem mit großer Toleranz gegenüber der katholischen Minderheit, die erst vor kurzem auf einem der größten Plätze Niameys eine Kathedrale modernen Stils gebaut hat.

Mit der EWG assoziiert

Schon frühzeitig trat Präsident Diori für eine enge Verbindung seines Landes mit Europa ein und gehörte so zu den treibenden Kräften eines Assoziierungsvertrages afrikanischer Länder mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Dieses Ziel wurde mit dem Abschluß der Konvention von Jaunde erreicht.

Mit Unterstützung des Entwicklungfonds der EWG verwirklichte er eine große Anzahl von Projekten; so etwa ließ er tausende Brunnen in jenen dürren Landstrichen graben, wo die Frauen mitunter zehn Kilometer zu Fuß zurücklegen mußten, um einen Krug voll Wasser in ihre Hütte heimzubringen. Freilich verzögerte dieser erhebliche Aufwand bisweilen die weitere Ausgestaltung der Hauptstadt Niamey und anderer Städte.

Die Entwicklung der letzten zehn Jahre bestätigte, wie richtig diese Rechnung gewesen war. Heute erscheint der Niger in Afrika als das einzige gemeinsam von Schwarzen und Moslems arabischen Ursprungs bewohnte Land, das von rassischen Wirren verschont geblieben ist. Vor seinen Toren wurden jeweils die Republiken Mali, Nigerien und Tschad von blutigen Revolten heimgesucht. Wie durch ein Wunder verebbten all diese Stürme an seinen kaum von einigen Gendarmen bewachten Grenzen.

Niger ist ein wirtschaftlich sehr armes Land und zählt deshalb auch bei den Beratungen der OECD über Entwicklungshilfe zur Gruppe der „geringst entwickelten Länder“.

Auf der Einfuhrseite nimmt Frankreich nach wie vor den wichtigsten Platz ein, obwohl sein Anteil in letzter Zeit, besonders im vergangenen Jahr, zugunsten der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zurückgegangen ist.

Devisenbringer Fremdenverkehr

Durch die Zollbegünstigung für die EWG-Länder ist der Zugang zum Markt Nigers für Nichtmitglieder der EWG sehr erschwert. Dies trifft vor allem bei Konsumgütern des täglichen Bedarfs zu. Während für Waren aus den EWG-Ländern volle Liberalisierung besteht, sind Drittländer auch durch das Erfordernis von Importlizenzen benachteiligt. Dieser Lizenzzwang hält in vielen Fällen vom Kauf von Waren aus Nicht-EWG-Staaten ab, da die damit verbundenen administrativen Hindernisse beträchtlich sind. Ferner bietet sich für EWG-Außenseiter keine Möglichkeit, sich bei Ausschreibungen über Investitionsgüterlieferungen zu beteiligen, die aus den beträchtlichen Mitteln des Entwicklungsfonds der EWG finanziert werden und EWG-herkunftsgebunden sind. Lediglich Japan konnte bisher auf Grund seiner bekannt günstigen Wettbewerbsposition auch im Niger Fuß fassen. Dagegen sind auf dem Markt und in den Auslagen der Geschäfte kaum Waren aus den Ländern des COMECON und der Volksrepublik China zu sehen.

Die Regierung des jungen Staates bemüht sich auch um die Entwicklung des devisenbringenden Fremdenverkehrs. Niamey mit einem sehr modernen Flugplatz — die Superjets der französischen Afrikalinie UTA fliegen ihn von Paris aus regelmäßig an — bildet den Ausgangspunkt für Reisen ins Landesinnere, so nach Agades mit seiner überaus sehenswerten Moschee. Niamey selbst bietet für den Freund farbenprächtiger Photoaufnahmen ein vielfältiges Marktleben. Die Tierparks im Norden und Süden der Hauptstadt zählen zu den Anziehungspunkten des immer größer werdenden Touristenstroms.

An bilateraler Entwicklungshilfe kommen immer noch die meisten Gelder aus Frankreich, doch auch aus den USA, der Bundesrepublik Deutschland, sogar von Formosa und in letzter Zeit in zunehmendem Maß vom reichen nördlichen Nachbar Libyen.

Seit 1958 machten französische Geologen des Kommissariates für Atomenergie mit einheimischen Technikern beharrliche Anstrengungen, um in dem riesigen Felsgeröll der Wüste von Air im Nordosten des Landes Spuren von Uran zu entdecken. Neun Jahre mußten sie arbeiten, ehe es ihnen im Jahr 1967 endlich gelang, nordöstlich von Agads auf ein Uranerzlager von mehr als 20.000 Tonnen Metall zu stoßen, das als eines der ergiebigsten von ganz Afrika gilt. Dieses Uranvorkommen verbessert nun sehr wesentlich die wirtschaftliche Ausgangsposition Nigers im Vergleich zu den relativ reichen Schwesterstaaten Elfenbeinküste und Gabon. Dadurch beginnen sich nun in Niger Voraussetzungen für einen industriellen Aufschwung zu entwickeln, der sicher ausländisches Investitionskapital anlocken wird. So machte schon die japanische Atomindustrie das Angebot, sich mit den Franzosen zur Ausbeutung der Uranerzlager zu assoziieren. Kurz darauf erhielt die amerikanische Gesellschaft US Steel eine sich auf 101.000 Quadratkilometer erstrekkende Schürflizenz. Im Zuge des Uranerzabbaues entstanden mitten in der Halbwüste von Air am Rande der Sahara eine Industriezone und eine Stadt, die heute schon 5000 Einwohner zählt.

Die Urangewinnung der im Zentrum von Arlit erbauten Werke wird jedoch bereits im Jahre 1973 mehr als 1200 Tonnen betragen. Schon im Jahre 1974 wird das ins Ausland verkaufte Uran beinahe 40 Prozent des gesamten Ausfuhrwertes Nigers erreichen. Damit wird zum erstenmal seit der Unabhängigkeit die Handelsbilanz ausgeglichen.

Das Vorhandensein eines für die französische Atomstreitmacht so wichtigen strategischen Erzeugnisses verstärkt natürlich die Interessengemeinschaft zwischen Niamey und Paris.

Wenn man in Betracht zieht, wie die Anfänge der Republik waren und welchen Aufschwung sie inzwischen genommen hat, so kann man die Wirtschaftspolitik der Regierung Nigers als Modell für ein Entwicklungsland betrachten.

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