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Schweden auf Europakurs

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Schwedens Finanzminister Allan Larsson - kürzlich Gast der Wiener Städtischen Versicherung - ist sicher, daß die regierenden Sozialdemokraten die Wahlen im September wieder gewinnen werden. Die Frage ist allerdings, ob die Wähler den überraschenden EG-Beitrittsantrag Stockholms bis dahin schon verdaut haben.

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Schwedens Finanzminister Allan Larsson - kürzlich Gast der Wiener Städtischen Versicherung - ist sicher, daß die regierenden Sozialdemokraten die Wahlen im September wieder gewinnen werden. Die Frage ist allerdings, ob die Wähler den überraschenden EG-Beitrittsantrag Stockholms bis dahin schon verdaut haben.

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Mit ihrem Beitrittsantrag am 1. Juli dieses Jahres hat die schwedische Regierung eine radikale Kehrtwendung vollzogen. Bis zu diesem Zeitpunkt blickte das nordische Land eher mißtrauisch-überlegen auf Brüssel herab. Für die Schweden war die Europäische Gemeinschaft eigentlich immer nur das kapitalistische Gegengewicht zum Ostblock und konnte mit der extrem wohlfahrtsstaatlichen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik Stockholms nicht,.konkurrieren".

Entsprechend stolz war auch die Bevölkerung auf ihren - vom Ausland gebührend bewunderten - „Modellstaat". Er sei einzigartig, predigten oft und gern die Sozialdemokraten und meinten damit immer auch eine Überlegenheit ihres politischen Weges. Wachstum, Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit - in die Verwirklichung dieser Ziele wurde alles investiert. Dazu wurde das Volk darauf eingeschworen, sich auf die Neutralität und die eigenen Streikräfte zu verlassen.

Diese (Wirtschafts-)Politik war zwar allen recht, aber keineswegs billig. Jahrelang konnten die Sozialdemokraten aus dem vollen schöpfen, um die Wünsche ihrer verwöhnten Bürger zu erfüllen. Doch jetzt ist alles ganz anders.

Für den nordischen Musterstaat kam das böse Erwachen. Schwedens Wirtschafts- und Sozialpolitik ist nicht mehr „einzigartig", auch nicht überlegen. Im Gegenteil. Das Land steckt in tiefen wirtschaftlichen Problemen. Und was wohl viele Sozialdemokraten - ähnlich wie in Österreich - besonders schmerzen wird: Ministerpräsident Ingvar Carlsson verkauft ihnen jetzt die einst verachtete Europäische Gemeinschaft sogar als einen sicheren Anker im rauh gewordenen Wirtschaftsklima des Landes.

Ob die Regierung in Stockholm dafür bei den Wahlen am 15. September einen Denkzettel bekommt, ist trotzdem nicht sicher. Zwar rechnen Kenner der politischen Lage fest mit dem Wechsel zu einer bürgerlichen Mehrheit von Konservativen, Liberalen, das Zentrum sowie der bislang nicht im Parlament vertretene christlich-demokratische Partei. Das lassen die Meinungsumfragen mit tiefen Sympathiewerten für die Regierung vermuten. Das Vertrauen in eine „rote Führung" scheint emsthaft erschüttert zu sein. Allerdings ist es den Sozialdemokraten - darauf wies auch Finanzminister Allan Larsson bei seinem Wien-Besuch hin - schon öfter gelungen, noch im letzten Moment das Ruder herumzureißen und mit einem Wahlsieg heimzusegeln.

Probleme hat die schwedische Regierung jedenfalls mehr als genug. Das engmaschige Sozialnetz wird allmählich löchrig, die vorbildliche Alten- und Krankenpflege ist laxer geworden. Die Arbeitslosenrate liegt zwar bei einem Prozent, aber dieser -statistisch eindrucksvolle - Erfolg täuscht etwas. Der Staat schluckt

immer noch großzügig frei gewordene Arbeitnehmer, sodaß heute bereits jeder dritte Schwede im öffentlichen Sektor arbeitet. Außerdem müssen die schwedischen Steuerzahler für eine relativ hohe Zahl von Frührentnern und künstliche Beschäftigungsprogramme für Arbeitslose aufkommen. Dazu kommen Sorgen mit einer Rezession und relativ hohen Inflation. Das BIP geht zurück, die Weltmarktanteile der Wiertschaft ebenfalls, dazu kommen fehlende Mobilität der Arbeitnehmer und eine sinkende Arbeitsmoral. Auch das schlechte Image Schwedens als Industriestandort ist nicht besser geworden. Potentielle Investoren schrecken vor den immer noch starken Gewerkschaften, den hohen Lohnnebenkosten und der etwas unsicheren Energiesituation des

Landes zurück.

Letzteres dehalb, weil immer noch nicht ganz klar ist, wie der geplante Total-Ausstieg aus der Kernkraft kompensiert werden soll. Atomstrom deckt immerhin rund die Hälfte des enormen schwedischen Energiebedarfes. Zur Diskussion stehen Ausbau der Wasserkraft, Umstieg auf Erdgas, aber auch Nutzung eines massiven Einsparpotentiales.

Dieser Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2010 hat Schweden im Grunde eigentlich schon fast wieder zu einem Modellstaat werden lassen. Immerhinwerabschiedet sich durch eine Volksabstimmung erstmals ein Industrie- und Wohlfahrtsstaat freiwilig von einem großangelegten Kemenergieprogramm.

Der schwedischen Wirtschaft kann trotzdem nur mehr eine schnelle Radikalkur helfen. Radikal heißt: Abkehr vom ineffizient und unfinan-zierbar gewordenen Wohlfahrtsstaat, einer erdrückenden Steuerlast und einem aufgeblähten öffentlichen Sektor.

Ob die Bevölkerung allerdings damit einverstanden ist, daß die so lange gehätschelten heiligen Kühe jetzt so schnell auf dem Altar der Europäischen Gemeinschaft geschlachtet werden sollen, wie die Regierung das vorhat und sogar vorhaben muß, bleibt offen.

Zumindest bis zu den Wahlen am 15. September.

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