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Schwedens Führungskräfte zwischen Wirtschaft und Politik

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Die Erhaltung der Privatwirtschaft und die Bewahrung ihres Einflusses in Staat und Gesellschaft spielt in Schweden eine größere Rolle, als allgemein angenommen wird. 44 Jahre sozialdemokratischer Regierung haben daran nichts Wesentliches geändert, ein Jahr bürgerlicher Regierung hat diese Maxime nachdrücklich unterstrichen.

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Die Erhaltung der Privatwirtschaft und die Bewahrung ihres Einflusses in Staat und Gesellschaft spielt in Schweden eine größere Rolle, als allgemein angenommen wird. 44 Jahre sozialdemokratischer Regierung haben daran nichts Wesentliches geändert, ein Jahr bürgerlicher Regierung hat diese Maxime nachdrücklich unterstrichen.

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Es ist erst wenige Monate her, daß vier Führungspersönlichkeiten der Wirtschaft im Spiegelsaal des Grand Hotel zu Stockholm bekannt- gaben, die Leitungen der zwei größten Autountemehmen des Nordens hätten beschlossen, sich in einem Konzern zusammenzuschließen. Die Unternehmen VOLVO und SAAB-SCANIA beschäftigen etwa 105.000 Personen; an ihrem Gedeihen sind 400.000 bis 500.000 Menschen direkt interessiert, aber auch für die Gesamtwirtschaft ist das, was in den Direktionsräumen dieser beiden Konzerne beschlossen wird, von größerer Bedeutung als die Entscheidung dieses oder jenes Ministeriums in Stockholm. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß der Beschluß zu dieser Fusion von nur vier Herren gefaßt worden ist: von beiden Generaldirektoren und den beiden Vorsitzenden der Verwaltungsräte. Die Regierung soll erst einen Tag vor der Beschlußfassung verständigt worden sein. Nur einer der vier Mana- ger verfügte über ein größeres Ak- t tienpaket.

Der Umstand, daß die Führungskräfte der schwedischen Wirtschaft über Macht und Einfluß verfügen, die weit über das eigene Unternehmen hinausreichen, ist in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes begründet, zu der es kaum Parallelen in einem anderen Land der industrialisierten Welt gibt. Man muß sie zumindestens in großen Zügen kennen, um manche Erscheinungen der Gegenwart begreifen zu können.

Die Entwicklung der schwedischen Industrie - die gleich zu Beginn auch schon eine Exportindustrie war- kann bis in das 14. und 15. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Der Erzbergbau in der Provinz Dalama begann schon zu Beginn des zweiten Jahrtausends unserer Zeitrechnung und die älteste noch vorhandene Bergwerksurkunde der Stora Kopparberg - der ältesten Aktiengesellschaft der Welt - stammt aus dem Jahre 1288. Handwerksmäßige Schmelzversuche, mit primitiven Mitteln durchgeführt, begannen schon viele Jahrhunderte vorher. Die Lagerstätten des Erzes, das Vorhandensein unerschöpflicher Holzvorräte und die mechanische Kraft der Wasserfalle bestimmten die Standorte der Industrie. Es kam zum Entstehen vieler selbständiger Einheiten, deren Führungskräfte, den Umständen der Zeit entsprechend, nicht nur über technische Kenntnisse, sondern auch über umfangreiches verwaltungsmäßiges Geschick, und bald auch über weitreichendes politisches Urteilsvermögen verfügen mußten. An einer Unterstützung durch die weitabgelegene staatliche Zentralmacht war nicht zu denken: das Reich der sogenannten „Hüt-

tenbarone“ ähnelte oft einem Staat im Staate, der eine eigene Wirtschaftsordnung, ein eigenes Sozialsystem, ja sogar eigene Sicherheitskräfte besaß. Die Konzentration zu industriellen Schwerpunkten, wie sie vor allem in England, in Deutschland und in den USA zu beobachten war, blieb in Schweden aus. Der wirtschaftliche Führungstyp, der in Schweden entstand, verfügte über große Selbständigkeit, aber auch über ein der Außenwelt zugewandtes Verantwortungsbewußtsein. Die Grenzen zwischen dem Einzelunternehmen, der Allgemeinheit und dem Staat wurden fließend; viele Male war die wirtschaftliche Führungskraft in allen Bereichen beheimatet und wirksam. Und dieser Erscheinung kann man heute noch in Schweden begegnen. Das ist auch der Grund dafür, daß die Bezeichnung „Manager“ hier keinen guten Klang hat. Man wollte mehr sein als nur der Kommandant eines Heeres von Untergebenen, die für die Besitzer des Unternehmens einen möglichst hohen Gewinn erwirtschaften sollten. Man betonte immer wieder seine Verbundenheit mit und seine Verpflichtung gegenüber dem Volksganzen. Und mein ist nicht schlecht dabei gefahren: werweiß schon, daß dieses System in der Mitte des 16. Jahrhunderts für mehr als die Hälfte der gesamten Eisen- und Kupferproduktion der Welt gesorgt hat? Die Entwicklung zum modernen Industriestaat setzte das Vorhandensein einer hochqualifizierten Führungsschicht in der Wirtschaft voraus. Und es war wahrhaftig nicht nur das Vorhandensein der Rohstoffe Erz und Holz, was die Entwicklung Schwedens zu einem hochindustrialisierten Land ermöglicht hat. Die Effektivität des wirtschaftlichen Managements machte es möglich, die Produktion pro Kopf in den letzten hundert Jahren zu verzehnfachen; außer Schweden kann nur Japan auf eine ähnliche Entwicklung hinweisen.

Es braucht deshalb kaum betont zu werden, daß eine gute, auf Universitäten oder Handelshochschulen erworbene Bildung selbstverständliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Weg durch die Untemehmensinstanz ist. Anpassungsfähigkeit an gegebene Situationen und ein gutes Verhältnis zu den Gewerkschaften sind ebenso notwendig wie Ausdauer, Unverdrossenheit und eine recht robuste Konstitution, denn wenn von irgendeiner

Funktion, so wird in Schweden von wirtschaftlichen Führungskräften verlangt, daß sie sich jederzeit für das Unternehmen und die Angestelltenschaft einsetzen.

Eine Eigenheit des schwedischen Managements ist zweifellos das Ineinandergreifen der wirtschaftlichen, politischen, diplomatischen und staatlichen Machtsphären. Ein gutes Beispiel dafür ist die Person des aus dem diplomatischen Dienst kommenden langjährigen Generaldirektors der Erzgesellschaft LKAB, Ame S. Lundberg, der auch stellvertretender Vorsitzender der staatlichen Kreditbank war und der als erster Manager der gesamtstaatlichen (die private Gränges- berg Ab einschließenden) „Erzexport AB“ alljährlich mit den Großverbrauchern des schwedischen Erzes in Deutschland, Großbritannien und Belgien über die Exportbedingungen für das Schwedenerz verhandelt hat.

Nach Bildung der neuen bürgerlichen Koalitionsregierung ist die enge Bindung zwischen dem wirtschaftlichen Management und der Staatsführung noch offensichtlicher geworden als vorher. Der Regierungschef Thorb- jöm Fälldin selbst galt ja als „Kronprinz“ des früheren Führers der Zentrums- und Bauernpartei Gunnar Hed- lund, des Generaldirektors der nord- schwedischen Zellulosegesellschaft der Waldbauem. Auch der Staatssekretär im Industrieministerium, Gunnar Söder, war einer der ersten Führungskräfte in dieser Zellulosegesellschaft und engster Mitarbeiter Gunnar Hedlunds, bevor er im Herbst des vergangenen Jahres überraschend in die hohe Politik übersiedelte. Die Frau Gunnar. Söders mit dem Vornamen Karin ist derzeit Schwedens Außenminister.

Uber eine erste Führungsposition im Zelluloseuntemehmen NCB kam auch der frühere Landwirt und Waldbesitzer Nils Asling in die neue Regierung, in der er nun das Ministerium für Schwerindustrie leitet. Asling, ein bis zum Vorjahr politisch völlig unbeschriebenes Blatt, hat es verstanden, sich in der kurzen Zeit seiner Regierungsmitgliedschaft ein sehr klares politisches Profil zu schaffen.

Was den Waldbauern des Nordens recht ist, ist jenen des Südens nur bil lig. So entsandte das große Holzverwertungsunternehmen der Waldbauem Südschwedens, „Södra Sveriges Skogsägare“, seinen stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrates, Anders Dahlgren, in die Regierung, in der er den Posten des Landwirtschaftsministers innehat. Soviel über Übersiedlungen aus der Wirtschaft in die Politik. Es gibt aber auch Führungskräfte, die den entgegengesetzten Weg gehen.

Viele Spitzenmanager sind auch Besitzer von Aktien des eigenen Unternehmens. Das schafft natürlich die Möglichkeit eines Mißbrauchs von Insider-Informationen, was in Schweden als sehr schlimme Sache gilt. Um Versuche in dieser Richtung schon im Stadium des Uberlegens zu ersticken, veröffentlichen einige große Zeitungen jeden Monat einmal alle jene Aktienbewegungen, die von Führungskräften des eigenen Unternehmens veranlaßt worden sind.

Curt Renė Nicolin, eine der ersten wirtschaftlichen Führungskräfte Schwedens, heute, nach einer langen Wanderung durch verschiedene ASEA-Untemehmen, Vorsitzender des Kontroll- und Aufsichtsrates dieses Konzerns, hat in einem Buch mit dem Titel „Macht und Verantwortung“ sehr eindringlich unterstrichen, daß jede führende Persönlichkeit in einem Großunternehmen ständig über die Grenzen des engeren eigenen Tätigkeitsbereiches hinausblicken und die großen Fragen des Volksganzen im Auge behalten müsse. Das Gefühl der Verantwortung und der Mut auch zu unpopulären Maßnahmen ist bei Nicolin so stark entwickelt, daß in Kreisen bekümmerter Wirtschaftler mehr als einmal der Stoßseufzer zu hören ist: „Hier brauchte es einen Nicolin!“ Den Grund zu diesem Ansehen legte der einstmals erfolgreiche Flugingenieur in der Schwedischen Luftwaffe 1961 und 1962 während seines „Gastspiels“ in der Fluggesellschaft SAS, während dem es ihm gelang, das arg herabgewirtschaftete Unternehmen wieder auf festen Boden zu stellen. Die Verschwendung in vielen Bereichen eindämmen, nicht mehr verbrauchen als man produziert hat, Standarderhöhungen sich nur nach Produktivitätserhöhungen gestatten, dem Raubbau unersättlicher Naturgüter ein Ende bereiten - das sind die Hauptforderungen, die nach Nicolin eine Führungskraft der Wirtschaft sich und allen anderen zu stellen hat. Soziales Verantwortungsbewußtsein und eine gute Portion staaatsmänni- scher Weisheit sollten nicht nur den Politiker, sondern auch dem Management der Wirtschaft zu eigen sein. Schweden besitzt da einige Persönlichkeiten von Rang, deren Stimme gehört werden sollte.

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