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Schwefel frißt Dom

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In wenigen Wochen werden Experten des Bundesdenkmalamtes und des Dombauamtes die Entscheidung über Erhaltungs- und Restaurierungsmaßnahmen fällen, die in den nächsten Jahren am Zweitältesten Bauteil von St. Stephan, am sogenannten Albertini- schen Chor, vorzunehmen sind. Die Langzeit-Baustelle St. Stephan, zu dessen Rettung Erzbischof Hans Hermann Groer und Bürgermeister Helmuth Zilk vor zwei Jahren gemeinsam aufgerufen haben, wirft nicht nur finanzielle, sondern auch konservatori- sche Probleme auf.

Nach Aussage des Leiters der Abteilung für Restaurierung und Konservierung im Bundesdenkmalamt, Manfred Koller, stellen die teilweise noch mit originalen Steinmetzzeichen aus dem 14. Jahrhundert versehenen Steinquader restauratorisch hohe Anforderungen. Das unterschiedliche Material der Steinquader macht vermutlich unterschiedliche Vorgangsweisen notwendig.

Für die fortschreitende Umweltverschmutzung gibt es seit einiger Zeit am Dom eigene Meßstationen. Ist die Steinoberfläche einmal zerstört, das Bindemittel ausgelaugt, bleibt nur die sukzessive Auswechselung der Steine.

Bei der Entscheidung über die Konservierungs- und Restaurierungsmethoden sei ausschlaggebend, das äußere Erscheinungsbild so wenig wie möglich zu verändern. Mit der Verwendung chemischer Konservierungsmittel sei man auch international sehr vorsichtig, meint Koller. Häufig würden unschädliche Schutzschichten aus einem Kalk-Sand-Ge- misch aufgebracht, die die darunterliegende Bausubstanz nicht veränderten, aber in zwanzig oder dreißig Jahren wieder erneuert werden müßten. „Betriebswirtschaftlich gesehen wäre einmal durchzurechnen, ob nicht solche Eingriffe im letzten Moment aufwendiger sind als regelmäßig durchgeführte Pflegemaßnah

men“, sagt Koller.

Gleichzeitig mit der Erhaltung (=Konservierung) und der Restaurierung wird erstmals eine quadergerechte Aufmessung der Fassade in diesem Teil stattfinden. Wie bei den meisten Bauwerken dieses Alters existieren auch , von St. Stephan keine Baupläne, mit Hilfe zweier Forschungsaufträge an der Hochschule für Bodenkultur soll nun Stein für Stein der heutige Ist-Zustand des Domes planmäßg erarbeitet werden. Dabei entsteht auch gleichsam ein Schadenskataster aller zerstörten Teile. Als fast noch alarmierender

sieht der Denkmalschützer den Geschichtsverlust durch die fortschreitende Verwitterung der Grabdenkmale am Außenbau von St. Stephan an: Im Jahr 1628 existierten rund 400 Grabplatten am Stephansdom, 1824 waren es nur mehr 314,1920 zählte man etwa 200. Jetzt sind es außen nur mehr 80. „Wenn bei einem Epitaph die Inschrift verwittert, ist eine historische Quelle tot!“ (Koller).

Auch das fotografische Festhalten setze die Reinigung und Restaurierung voraus, Daten und Details seien sonst nicht auszunehmen: vier verschiedene Steinmaterialien, 45 Einzelteile und Reste einer Originalvergoldung seien an einem zuletzt restaurierten Grabstein feststellbar gewesen.

Im Dominneren haben die Denkmalschützer anläßlich der Steinreinigung konstatiert, daß mehr als die Hälfte der Pfeilerfiguren aus dem 15. Jahrhundert noch die Originalbemalung — mit kostbaren Details — aufweisen. Sie verlängern nun die Liste der schutzwürdigen Objekte im Dom.

Mit dem Wiener Neustädter Altar, der vor hundert Jahren aus Wiener Neustadt übertragen

wurde, besitzt der Stephansdom den frühesten erhaltenen großen Flügelaltar Österreichs.

Auch für die Glasfenster des Domes läuft ein wichtiger Restaurierungsabschnitt. Bis Ende 1989 soll das zweite der drei Chorfenster fertiggestellt sein, das dritte wird demnächst ausgebaut. Wie der im Bundesdenkmalamt zuständige Generalkonservator Hofrat Ernst Bacher betont, habe die aggressive Umweltbelastung der letzten Jahrzehnte den im Krieg geborgenen und nachher wiedereingesetzten mittelalterlichen Fenstern arg zugesetzt. (An Glasfenstern in Judenburg seien bereits vor fünfundzwanzig Jahren Umweltschäden solchen Aus- masses festgestellt worden, deren Veröffentlichung damals verhindert wurde!)

Von den ausgebauten Fenstern werden in den Glaswerkstätten die schädlichen Verwitterungskrusten entfernt (siehe Bild) — sie bestehen bis zu 20 Prozent aus reinem Schwefeldioxid. Vor dem Wiedereinsetzen tritt an die Stelle des Glasfensters eine Schutzverglasung aus Fensterglas, das historische Glasfenster wird etwa zehn Zentimeter weiter nach innen versetzt, das Gewände des Fensters wird dadurch kaum merkbar beeinträchtigt. An Glasfenstern, die etwa seit 1900 in Museen aufbewahrt werden, wird das krasse Fortschreiten des Zerstörungsprozesses deutlich.

Derzeit läuft — auch an St. Stephan — ein Spezialversuch mit Testplättchen aus synthetischem Glas, das infolge seiner Zusammensetzung beschleunigt verwittert und so über den Ablauf künftiger Zerstörungsprozesse Aufschluß geben kann, berichtet Hofrat Bacher. „Nach Auswertung dieser Versuche könnten Verbesserungen in der Glasrestaurierung, etwa was den Abstand betrifft, notwendig werden“, sagt Bacher. Internationale Zusammenarbeit ist dabei selbstverständlich.

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