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Schweigen uber die Nachbarschaft

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Die regionale Zusammenarbeit der kleinen Völker an der Donau ist mehr als ein Traum. Wird die junge Generation auf diese neue Form der geistigen Kooperation vorbereitet?

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Die regionale Zusammenarbeit der kleinen Völker an der Donau ist mehr als ein Traum. Wird die junge Generation auf diese neue Form der geistigen Kooperation vorbereitet?

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Was wissen die Österreicher vom Donauraum? Obwohl der Begriff seit langem existiert, in politischen Reden immer wieder verwendet wird und sogar Gegenstand der Tätigkeit von wissenschaftlichen Institutionen ist, kann die Frage nur schwer beantwortet werden. Bis heute befaßt sich keine Enquete der öffentlichen Meinung mit dem Donauraum, die hier ein genaueres Bild zeigen könnte. Von einem „Donauraumbewußtsein“ im Sinne der Entwicklung eines Gefühls des Zusammenlebens der verschiedenen Völker und Volksgruppen in einer gemeinsamen geographischen, historischen und •kulturell gewachsenen Einheit kann vorläufig nicht die Rede sein.

Mit der Heranbildung eines solchen Bewußtseins müßte bereits in der Schule begonnen werden. Wie aber zeigt sich ein Bild des Donauraumes in den Büchern, die heute im Unterricht für die Fächer Geschichte, Geographie, Literatur, Religion, Philosophie und so weiter benützt werden?

Für die Schulbücher seit den siebziger Jahren bis heute ist festzustellen, daß von 35 konsultierten Schulbüchern nur ein einziges den Begriff „Donauraum“ wörtlich erwähnt (Morawietz-Neme-cek: Zeiten, Völker und Kulturen, 6. Klasse). Auch nur in einem einzigen dieser Bücher ist die Rede vom Minderheitenproblem in diesem Gebiet, das jedoch nicht als Donauraum bezeichnet ist (Kra-mer-Hitz-Zach: Raum, Gesellschaft, Wirtschaft, 6. Klasse).

Die Lage der Minderheiten ist in diesem Buch nur für Jugoslawien dargestellt; ihre Lage in den anderen Donauländern bleibt unerwähnt. Außer in diesen Werken, deren Autoren sich bemühen, die Vergangenheit und die Gegenwart der heutigen Donaustaaten von einem breiteren regionalen Standpunkt her zu betrachten, befassen sich keine anderen Schulbücher mit der Thematik.

Der Großteil dieser Bücher ist fast ausschließlich auf die Rolle Österreichs konzentriert. Das ist vor allem in den Lehrbüchern für Geschichte bemerkbar. Obwohl man den Verfassern eine gewisse Objektivität gegenüber historischen Prozessen im Donaugebiet zubilligen muß, ist es auffallend, daß man in den vier letzten Klassen der Gymnasien die Geschichte hauptsächlich als politische Geschichte der europäischen Großmächte darstellt, sodaß die Schüler den Eindruck bekommen können, daß nur die westeuropäischen Großstaaten eine Geschichte haben. Daß der Geschichte der Habsburger-Monarchie kaum mehr Platz zugeordnet ist als den anderen europäischen Großmächten, mildert dieses westeuropazentrierte Bild keineswegs.

Es ist gewiß ermunternd, daß diese Bücher von allen nationalistischen Mythen befreit sind; die Autoren versuchen keineswegs, die Haltung Österreichs in der Vergangenheit um jeden Preis zu rechtfertigen.

Die Ereignisse in den nicht deutschen Teilen der Monarchie sind allerdings bloß angedeutet, und dies meist im Bezug zu verschiedenen Widerstandsbewegungen gegen die Zentralmacht. Eine solche vereinfachte Darstelhing, die die ökonomischen, sozialen, nationalen und politischen Motivationen der antihabsburgi-schen Aufstände nicht genügend ausführlich erklärt, führt leicht zu einer negativen Vorstellung von diesen Völkern und deren nationaler Geschichte. Glücklicherweise sind Diffamierungen der politischen Persönlichkeiten der Vergangenheit, wie zum Beispiel bei der Darstellung von Kossuth als „ungarischnationaler Fanatiker“, außer im Buch von Ebner-Majdan-Soukop „Geschichte für die Oberstufe 3“, nicht auffindbar.

Uber die anderen Donaustaaten, die nicht Teile der Monarchie waren, können die Schüler leider nicht mehr erfahren als aus einem gängigen Lexikon. Die einzige Ausnahme bildet Serbien, aber nur für die Zeit des Attentats von Sarajevo 1914. Da dieses Ereignis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte, haben sich alle Autoren bemüht, die Wurzel der damaligen serbischen Politik zu erhellen. Ihre objektive und unparteiische Erklärung ist geradezu Vorbild einer positiven Darstellung der Vorgeschichte des Konflikts aus der Sicht beider Seiten.

Vom Donauraum als Idee und kulturelle Einheit, von historischen Initiativen, diesen Raum politisch und geistig zu vereinen, ist in den Schulbüchern wenig zu erfahren. Lediglich bei Mora-wietz-Nemecek „Zeiten, Völker und Kulturen“ und im Buch ,„Neuzeit“ von Adam Wandruszka (für die 7. Klassen) sind die Versuche verschiedener mittelalterlicher Herrscher, den Donauraum politisch zu vereinigen, und die Ideen von Kossuth, eine Donauföderation zu gründen, erwähnt. Uber die anderen Pläne ist in diesen Büchern nichts zu finden.

Es wäre eine logische Vermutung, daß das Bewußtsein der geistigen Umgebung im gesamten Donauraum eher in den Fächern Literatur, Kunst, Musikerziehung, Religion und Philosophie zum Ausdruck kommt. In diesen Schulbüchern ist jedoch bemerkbar, daß die Beziehung zum deutschsprachigen Gebiet und der deutschen Kultur in höherem Maße betont ist. Obwohl die Bedeutung dieser kulturellen Verbindungen sehr wichtig ist, muß man sich fragen, ob die Beziehungen zu den anderen Donauvölkern nicht vernachlässigt wurden. Der größte Teil der Künstler unserer Nachbarländer wirkte auf heutigem österreichischen Boden und hier besonders in Wien. Die Kulturschaffenden aus dem Donauraum beeinflußten auch die österreichische Kultur. Das bloße Abschreiben lexikonartig verfaßter Biographien in den Schulbüchern genügt nicht, um diese Symbiose darzustellen.

Den Weg, den man beschreiten könnte, zeigen die Lehrbücher der nationalen Minderheiten in Österreich, und hier vor allem das von Konrad Mersich geschriebene „Velika citanka“ („Das große Lesebuch“) für die kroatischen Schulen im Burgenland. In diesem Buch erfährt der Schüler eine Menge über Persönlichkeiten, die der österreichisch-kroatischen kulturellen Vergangenheit gemeinsam mit der deutschen, ungarischen und böhmischen Volksgruppe angehörten. Ähnliche Tendenz ist in den Schulbüchern der österreichischen Slowenen in Kärnten bemerkbar. Mehr als alle anderen österreichischen Schulbücher behandeln jene von den nationalen Minderheiten ein Zusammenleben im Donauraum und bieten so einen Zugang zum Aufbau eines Donauraumbewußtseins. Sie eröffnen dem Geist das Gefühl von der Gemeinsamkeit der Geschichte und Kultur aller Donaunationen, was leider in den deutschsprachigen österreichischen Schulbüchern zu wenig betont ist.

Die Schulbücher sollten die Problematik des Donauraumes als Einheit darstellen. Dies ist umso wichtiger, da die gegenseitigen kulturellen Einflüsse innerhalb der Donauvölker sehr intensiv waren. Denken wir daran, wieviele Germanismen es in den slawischen Sprachen gibt oder wieviele Ortsnamen im heutigen Österreich slawische Sprachwurzeln haben; denken wir an die Ausstrahlung des österreichisehen oder — wie es der französische Kunsthistoriker Victor Ta-pie nennt — „Donaubarock“, der alle Donauvölker prägte Und geistig einigte, unabhängig davon, ob sie Katholiken, Protestanten, Juden oder Orthodoxe waren; denken wir an den Beitrag Österreichs auf die Reintegration in den europäischen Kulturkreis jener Donauvölker, die bis zur zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts unter ottomanischer Herrschaft waren.

Es ist ermutigend festzustellen, daß man beginnt, sich des Donauraumes mehr und mehr bewußt zu werden. Bei den österreichischen, ungarischen, deutschen, italienischen und jugoslawischen Intellektuellen stärkt sich die Uberzeugung, daß eine Annäherung der Donauvölker ein wahrhaft historischer Prozeß ist, der einer gemeinsamen Prosperität nur nützen kann. Soll man nicht die jüngere Generation darauf vorbereiten?

Der Autor ist Assistent am Forschungsinstitut für den Donauraum in Wien.

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