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„Schweizer Modell” nur ein Provisorium

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Der Vorschlag des steirischen Landeshauptmannes Niederl, die österreichische Verfassung zu ändern und das „Schweizer Modell” einer Kon- zentrationsregierunig einzuführen, ist zwar aktuell, aber nicht neu. Schon Niederls Amtsvorgänger Krainer sprach sich nach 1970 einige Male dafür aus.

Tatsächlich ist anzunehmen, daß es keiner Partei gelingt, bei den nächsten Nationalratswahlen die absolute Mehrheit zu erreichen; das ,.Englische Modell” scheidet also aus. Das „Deutsche Modell” einer Kleinen Koalition hat den Nachteil, in einer Zeit der wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht den „Blut- und Tränenikonsens” der Großen zu bewirken; bleibt das „Schweizer Modell”, will man nicht das „österreichische Modell” der Großen Koalition bis 1966 exhumieren.

Und doch; Wer sich mit den Verfassungstraditionen, der politischen Wirklichkeit der Schweiz und der so andersartigen Beteiligung des Volkes am politischen Willensbildungsprozeß auseinandersetzt, weiß um die Schwierigkeit einer Übertragung auf Österreich. Das Schweizer Regie- inungssystem würde wohl eine Totaländerung der österreichischen Bundesverfassung — mit allen Konsequenzen — bedeuten: die Regierung würde weniger regieren, vielmehr die Pyramidenspitze der öffentlichen Verwaltung sein; das Mißtrauensvotum gegen Regierungsmitglieder und damit die parlamentarische Kontrolle würden fallen; das Auflösungsrecbt des Nationalrates wäre reduziert.

Der wohl wesentlichste Einwand aber ist: die politischen Strukturen müßten versteinern, Wechsel könnte wirklich nur über „Revolutionen” erreichbar werden, aus Politikern müßten zwangsläufig Bonzen mit lebenslanger Amtsgarantie werden. Vor allem aber: Entscheidungen über heikle Materien würden in Österreich allein damit nicht garantiert erscheinen.

Heikle Entscheidungen aber wird die nächste österreichische Regierung treffen müssen; sie sind wohl der wichtigste Impetus für jede Kombination. Es gilt doch, große Probleme zu bewältigen: eine Verbesserung der Situation der Staatsfinanzen, (unpopuläre) Einsparungen im Budget, wahrscheinliche Steuererhöhungen, eine Eindämmung der Inflation. Solche Probleme kann wahrscheinlich nur eine große Koalition auf Zeit lösen; ein „Waffenstillstand” zwischen den großen Lagern also, der Befriedungen” auf zusätzlichen Kriegsschauplätzen bringen könnte; etwa als wünschbare gemeinsame Medienpolitik, als Rückkehr zu einer gemeinsamen Außenpolitik, als Regelung der Par- teienfinanzierung, als Realisierung großer Rechtsvorhaben, aber auch dringlicher Verfassungsreformen.

Es hat den Anschein, als ob es in den beiden Großparteien immer mehr Anhänger eines solchen „Waffenstillstands” gebe; er hätte den Vorteil, nur ein Provisorium zu sein. Und das ist in Österreich ja besonders beliebt.

Man kann auch vergröbernd sagen, daß gerade in den Parteien die Tendenz groß ist, den Einfluß der Sozialpartner wieder etwas zu verringern. Eine große Koalition bringt mit siCh, daß Links und Rechts wieder direkter reden können — ohne „Nebenregiemngen” aus Kammern und ÖGB.

Kommt es aber zu dieser begrenzten Koalition, dann stellt sich die viel wichtigere Präge nach dem „Wie”. Man braucht sich nur an die Zeit vor 1966 erinnern: Entscheidungen wurden kaum mehr erzielt, der Koalitionsaussdhuß ließ Materien, über die keine Einigung möglich war, einfach liegen; das Parlament wär nur mehr Statist, die Abgeordneten Marionetten ihrer Parteichefs. Der Souverän Wähler konnte sich nicht artikulieren, durch gut 20 Jahre war sowieso klar, daß wieder eine Koalition gebildet werden würde. Der „Proporz total” siegte auf allen Ebenen.

Damit ist der Rahmen vorgegeben, über den es zu diskutieren gilt: wenn wieder eine große Koalition, weil man alle anderen Kombinationen ausschüießen kann oder aus nationalem Interesse sollte —, dann mit welchem Instrumentarium, auf welcher Grundlage?

Es stellen sich mehrere Fragengruppen:

• Ist für eine Große Koalition 1975 ein eigener Pakt nötig, der den Staat in zwei Hälften teilt? Kann man sich schon in der gemeinsamen Regierungserklärung auf die Lö- sungsgrundsätze wichtiger Materien einigen? Ist so etwas wie der Koali- tionisausschuß entbehrlich?

• Kann es — etwa bei Nichteinigung — zu freien M ehrh e itsbildun - gen im Parlament kommen? Ist dann etwa die FPÖ dennoch auf Umwegen das Zünglein an der Waage? Oder ist der Fraktionszwang wirklich ein geheiligtes Tabu? Muß man im Ministerrat am System der starren Einstimmigkeit festhadten — oder gibt es denkbare Varianten (qualifizierte, „einfache” Ministerratsbeschlüsse usw.), ohne vorn Prinzip der Ministerverantwortlichkeit abzugehen?

• Kann man das Volk — die Wählerschaft — nicht stärker in den Willensbildungsprozeß einschalten? Sollte nicht einfach von der Möglichkeit der Volksabstimmung, wie es sie jetzt schon gibt, für wichtige Gesetze öfter Gebrauch gemacht werden?

• Kann man dem Proporz durch ein Bündel van Maßnahmen entgehen? Etwa durch eine generelle Öffentlichkeit von Beschlußebenen, durch ein rigoroseres Ausschrei- bungsgesetz, durch stärkere Einschaltung richterlicher Instanzen in pers analpolitische Entscheidungen? Ist ein Ombudsmann nicht gerade hier brauchbar — wenn es gilt, Benachteiligungen aus einem möglichen Proporz zu verhindern?

Eine überwältigende Mehrheit der Österreicher will wieder das, was kryptisch als „Zusammenarbeit” umschrieben zu werden pflegt; unter vier Augen leugnet kaum ein Politiker von Format derzeit die Zweckmäßigkeit einer .großen” Regelung. Man fürchtet nur die Konsequenzen; und die Erinnerung an die Zeit, als man das Alleinregierungssystem als das beste aller denkbaren Systeme pries.

Doch die Zeit drängt. Man sollte nicht erst bei Regierungsverhandlungen das künftige Modell erfinden. Man sollte sich dann nur mehr entscheiden müssen.

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