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Schweizer Sieger — wieso, bitte?

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Anfang Juni wurden im Nationalrat stundenlang und zum Teil sehr heftig die beiden Berichte debattiert, die Bundeskanzler Kreisky und Finanzminister Androsch am Tag vorher den Abgeordneten über die wirtschaftliche Lage erstattet hatten. Wie nicht anders zu erwarten, wurden diese Berichte, die die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs in einem durch die tatsächliche Situation in diesem Maße keineswegs gerechtfertigten optimistischen Licht zeigten, von den Oppositionsparteien heftig unter Beschuß genommen.

Auf der einen Seite wurde als Hauptargument ins Treffen geführt, daß Österreich nur dank der von der Regierung getroffenen Maßnahmen besser als andere Staaten über die härteste Rezession der letzten Jahrzehnte hinweggekommen sei. Die Sicherung der Arbeitsplätze sei nur möglich gewesen, weil der Staat zur Erhaltung der Vollbeschäftiung ungeheure Mittel zur Verfügung gestellt habe, was logischerweise gewaltige Budgetdefizite und damit eine entsprechende Staatsverschuldung bedeuten mußte.

Ohne die grundsätzliche Richtigkeit dieser Maßnahmen zu bestreit

ten, führt die Opposition die katastrophale Situation des Staatshaushaltes und der Staatsfinanzen und die daraus resultierenden Belastungswellen, die seit Beginn des Jahres auf die Bevölkerung zurollen, in erster Linie darauf zurück, daß die Regierung in den Jahren der Hochkonjunktur gegen alle Regeln wirtschaftlicher Vernunft eine grundsätzlich falsche Politik gemacht habe. Als dem Finanzminister Einnahmen in noch nie gekanntem Ausmaß zuflössen, wurde, statt vorzu-sorgen und Reserven anzulegen, oder den Haushalt zumindest ausgeglichen zu halten, das Geld mit vollen Händen geradezu zum Fenster hinausgeworfen. Nicht nur das, während einer einmaligen Hochkonjunktur seien, so die Opposition, Jahr für Jahr ganz bewußt und unverzeihlicherweise gewaltige Budgetdefizite in Kauf genommen worden. Die Ge-fälligkeitsdemokra'tiie habe Orgien gefeiert. Schon damals sei klar erkennbar gewesen, daß die Rechnung für das, was viele Österreicher als großzügige Geschenke einer wahrhaft fortschrittlichen und sozialen Regierung empfunden und bei Wahlen auch entsprechend gewürdigt hatten, eines Tages auf Heller und Pfennig präsentiert werden mußte. Jetzt sei dieser Zeitpunkt gekommen.

Wäre ich am 10. Juni noch Mitglied des Nationalrates gewesen, hätte ich an diesem Tage selbstverständlich auch am Rednerpult gestanden. In dieser Debatte hätte ich mich nur mit einer einzigen Frage beschäftigt, und zwar mit der Frage, die sich wahrscheinlich nicht nur mir aufdrängt, wenn ich immer wieder davon höre, wie glänzend gerade Österreich die Krise der letzten Jahre im Vergleich mit anderen Staaten bewältigt habe: Wie ist es zu erklären, daß es ausgerechnet der Schweiz gelungen ist, des Problems der Inflation innerhalb des letzten Jahres weitgehend Herr zu werden,

während Österreich nach wie vor eine Inflationsrate in der Höhe von etwa 7,5 Prozent registriert? Dabei war die Entwicklung der Verbraucherpreise in der Schweiz von 1971 bis 1974 zum Teil sogar wesentlich ungünstiger als in Österreich. So lag der Index in der Schweiz 1973 bei 8,7, in Österreich bei 7,6 Prozent, in der Schweiz im Jahre 1974 bei 9,8, in Österreich bei 9,5 Prozenit. Die entscheidende Wende trat 1975 ein. östereich wies im Jahresdurchschnitt 1975 eine Inflationsrate von 8,4 Prozent auf, in der Schweiz sank sie auf 6,7 Prozent.

Vollends distanziert wurde Österreich 1976. Noch immer weist Österreich heuer eine Inflationsrate von durchschnittlich 7,5 Prozent auf — wobei der Bundeskanzler von einer Traumziffer von 7,4 Prozent für 1976 spricht —, während es der Schweiz gelungen ist, auf die geradezu unglaubliche Marke von etwa 2,5 Prozent zu kommen. Eine Inflationsrate, wie sie Österreich im dritten Jahr der Alleinregierung der ÖVP aufgewiesen hat.

Ohne im einzelnen auf die Ursachen näher eingehen zu wollen, die zum Ergebnis, wie es sich in den wiedergegebenen Ziffern und Zahlen widerspiegelt, geführt haben, muß doch mit aller Deutlichkeit festgestellt werden, daß es sich hier keinesfalls um Zufallsprodukte oder einen besonderen Glücksfall für die Schweiz handeln kann, sondern um das ganz und gar nüchterne Ergebnis der Politik der letzten Jahre, wie sie bei uns und in der Schweiz gemacht wurde.

Um nur ein einziges Beispiel anzuführen, das jedoch viel erklärt und das zum Nachdenken anregen sollte: Von 1971 bis 1974, somit in der Zeit einer einmaligen Hochkonjunktur, wie sie nicht so bald wieder kommen wird, betrugen die Budgetdefizite in Österreich 46,793 Millionen Schilling. Im gleichen Zeitraum betrug der Abgang in der Schweiz 2,360 Millionen Schweizer Franken, das sind ungefähr 16,500 Millionen Schilling.

Allein diese beiden Zahlen sagen in einer untrüglichen und unmißverständlich klaren Sprache eine Menge darüber aus, welche Konsequenzen einerseits mit einem politischen System, wie es in der Schweiz praktiziert wird, verbunden sind, während anderseits offenkundig wird, welche Auswirkungen die Gefälligkeitsdemokratie hat, wie sie in Österreich seit der Alleinherrschaft der Sozialisten gehandhabt wird.

Es hat einige Jahre gedauert, bis sich auch bei uns die Erkenntnis Bahn gebrochen hat, daß alles seine Ursachen und natürlich auch seine Konsequenzen hat, im Positiven und im Negativen. Weder im menschlichen Leben noch schon gar nicht in der Politik kommt irgend etwas so ganz von ungefähr. Es gibt keine Geschenke des Staates, die sich der Staatsbürger letzten Endes nicht selbst bezahlen muß. Diese Erkenntnis mag bitter sein, doch handelt es sich hier um eine immer wieder bestätigte Binsenwahrheit, die der Österreicher nun, da die Wahlen vom 5. Oktober 1975 vorbei sind, am eigenen Leib zu spüren bekommt.

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