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Schwer verdaulich, aber wertvoll

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Schon nach wenigen Seiten der Lektüre von Kardinal Joseph Ratzingers ,Zur Lage des Glaubens“ war mir klar: Da wird widersprochen werden, heftig sogar. Da steht einfach zu vieles dem Zeitgeist entgegen. Heutige Tabus macht er offenkundig. Mehrmals wurde mir bewußt, wie vieles uns heute unreflektiert zur Selbstverständlichkeit geworden ist.

So sind wir etwa gewöhnt, alles zu relativieren. Und dann betont einer die Existenz zeitlos gültiger Wahrheit und stellt auch noch fest, es gebe eine Instanz, sich auch zu artikulieren! Da sagt jemand einer Welt, die alles durchforscht, um alles nach Belieben zu gestalten, daß es Unverfügbares gibt, daß die Kirche zwar Aufgabe des Menschen, aber letztlich Werk Gottes sei — und damit nicht beliebig veränderbar.

Da fordert Ratzinger die Anerkennung von Prinzipien in einer Zeit, die Emanzipation predigt, spricht er von Autorität, die von Gott kommt, zu einer Gesellschaft, die der Demokratisierung huldigt: Schwer verdaulich, zweifellos — aber wertvoll. Es öffnet die Augen für moderne Klischees.

Man kann Ratzinger sicher nicht vorwerfen, daß er von oben herab und apodiktisch dekretiere. Vielmehr versucht er, auf gestörte Gleichgewichte aufmerksam zu machen, und das zu betonen, was in den letzten Jahrzehnten zu kurz kam. Mag sein, daß er die Lage der Kirche zu pessimistisch sieht. Viele werden zuversichtlicher sein.

Wie sehr aber unterscheidet sich der Kommentar des Schweizer Theologen Hans Küng zu Ratzingers Äußerungen in Stil und Ausdruck („Die Zeit“ 41/85)! Er wolle keine Polemik, stellt Küng zwar einleitend fest — aber was kommt dann! Da wird Ratzinger als reaktionärer Buhmann karikiert, als Machtmensch, der seine Ängste nach außen projiziere und die Inquisition neu beleben wolle.

Ich habe hier zu wenig Platz, um Inhaltliches wiederzugeben, würde aber die Lektüre sowohl von Ratzinger als auch von Küng empfehlen. Schon Küngs Zugang ist aufschlußreich: Er argumentiert mit politischen und soziologischen Kategorien, spricht von Macht und Unterdrückung, aber nie vom Reich Gottes. Er zitiert bestenfalls Satzteile von Ratzingers Äußerungen, nie längere Passagen. So läßt sich jede Kritik untermauern. Diese Schelte hätte auch ein der Kirche Fernstehender schreiben können. Wer Küngs Beitrag liest, versteht Ratzingers Sorgen besser.

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