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Schwere Beben in Bonner Koalition

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Bundeskanzler Helmut Kohl hat wirklich Pech. Fast immer dann, wenn die Bonner Koalition eigentlich einen Erfolg zu feiern hätte, platzt eine unangenehme Sache dazwischen. So auch dieses Mal.

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Bundeskanzler Helmut Kohl hat wirklich Pech. Fast immer dann, wenn die Bonner Koalition eigentlich einen Erfolg zu feiern hätte, platzt eine unangenehme Sache dazwischen. So auch dieses Mal.

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Gerade war der EG-Gipfel in Fontainebleau bewältigt, das schwierige Problem der britischen Beitragszahlungen aus der Welt geschafft und damit die Funktionsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft gesichert, wurde der deutsche Kanzler zum Telefon gerufen. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff und teilte Kohl mit, daß er seinen Rücktritt einreiche.

Während Kohl ungeachtet dieser Mitteilung noch auf europäisehen Wolken schwebte — war er doch neben dem französischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand der (zahlende) Vater des Gipfelerfolges —, sickerte in Bonn die Nachricht vom bevorstehenden Rücktritt des Wirtschaftsministers durch.

Das Landgericht Bonn, so wurde im Regierungsviertel kolportiert, wird nun endgültig das Hauptverfahren gegen Graf Lambsdorff wegen Bestechlichkeit oder Vorteilsannahme in der Flick-Parteispenden-Affäre eröffnen. Das war die Voraussetzung für den Kanzler, seinen Wirtschaftsminister nicht länger im Amt zu behalten.

Nun überschlugen sich in Bonn die Ereignisse, Vor allem hatte sich die Lage dadurch kompliziert, daß seit Wochen der Koalitionspartner FDP — nicht nur wegen Lambsdorff—tief in der Krise steckte. Seit der Wende vom Oktober 1982 hatten die bundesdeutschen Liberalen keine Ruhe mehr gefunden. Das Ereignis wirkt bis heute nach und entlud sich im Vorfeld des FDP-Parteitages Ende Mai in Münster immer mehr in scharfer Kritik am Parteivorsitzenden Hans Dietrich Genscher.

Die FDP wollte einen Neuanfang — ohne die Koalition in Fr age zu stellen, aber möglichst auch ohne den langjährigen Chef Genscher, dem man immer häufiger autoritären Führungsstil vorwarf. Genscher sah seine Felle da-vonschwimmen und handelte: Uber das Fernsehen teilte er der überraschten Nation mit, daß er seine Partei nicht mehr in die Bundestagswahl 1987 führen wolle, sondern diese Aufgabe einem Jüngeren überlasse.

Der Durchfall der FDP bei den Europawahlen brachte dann die Ereignisse endgültig ins Rutschen. Genscher verkündete seinem Parteivorstand, er werde spätestens im Frühjahr 1985 schon sein Amt als Vorsitzender abgeben. Er nannte auch erstmals einen Kandidaten für die Nachfolge: Martin Bangemann, eben erst aus dem Europaparlament ausgeschieden — was freilich am wenigsten an Bangemann lag.

Kohl konnte diese Aussicht nur recht sein, denn Bangemann hatte schon zu einer Zeit sich für eine Koalition zwischen CDU/CSU und FDP stark gemacht, als das sozialliberale Bündnis noch in höher Blüte stand. Bangemann selbst signalisierte seine Bereitschaft, den FDP-Vorsitz zu übernehmen. Allerdings müsse er dann auch einen Kabinettsposten haben, sozusagen des Einflusses auf beiden Seiten wegen.

Das Karussell der Personalspekulationen, das sich in Bonn immer schneller und intensiver als anderswo dreht, war wieder einmal in Gang gekommen. Auch einflußreiche Politiker der CDU/ CSU bedrängten den Kanzler, die Gelegenheit wahrzunehmen, ein größeres Kabinettsrevirement durchzuführen.

Ablösekandidaten gäbe es in Bonn genug. Lambsdorff vor allem, aber auch der FDP-Justizminister Engelhard, der seiner Partei viel zu brav und spröde ist. Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) gehört dazu, der sich von der Affäre Kießling nicht erholt hat.

Postminister Christian Schwarz-Schilling (CDU) könnte ersetzt werden, der mit seinen milliardenschweren Verkabelungsplänen für die Republik auch in der eigenen Partei heftig kritisiert wird. Auch Außenminister Genschers Vertrauter, Staatsminister Jürgen Möllemann (FDP), war gerade erst wieder heftig ins Gerede gekommen, nachdem ihm das Nachrichtenmagazin „Spiegel" die Verquik-kung von Amt und Geschäften vorgeworfen hatte.

Kohl, dessen Unlust an einer größeren Kabinettsumbildung seit längerem bekannt war, blockte auch diesmal alle derartigen Forderungen und Wünsche ab. Der Fall Lambsdorff wurde dafür mit atemberaubender Schnelligkeit erledigt. Am Morgen nach der Einreichung seines Rücktritts signalisierte der Kanzler der FDP freie Hand bei der Besetzung des Amtes. Zwei Stunden später nominierte die FDP Martin Bangemann.

Daß das sattsam bekannte Spiel „Kommt Strauß - oder kommt er nicht?" diesmal ausblieb, lag an dem tragischen Tod seiner Frau. Da verboten sich Spekulationen schon aus Pietätsgründen. Aber was in drei oder vier Monaten ist, steht auf einem anderen Blatt.

Für die Koalition ist es nun dringend notwendig, sich wieder mit sachlicher Arbeit bei der Bevölkerung zu empfehlen. Nach der schlimmen Sache mit der geplanten Amnestie für Parteispen-den-Sünder war das Ansehen des Bonner Regierungsbündnisses tief nach unten gesackt. Das und andere Pannen verdüstern das Bild einer Koalition, die eigentlich recht erfolgreich ist:

Die Konsolidierung des Staatshaushalts ist schon weiter vorangekommen, als selbst die größten Optimisten erwartet hatten. Gleichzeitig hat man eine Steuerreform zustande gebracht. Im Umweltschutz ist in einem Jahr mehr auf den Weg gebracht worden als vorher in fünfzehn Jahren.

Die Wirtschaftspolitik hat mitgeholfen, den konjunkturellen Aufschwung zu stabilisieren, wenn auch der Streik neue Ungewißheiten geschaffen hat. Und in der Deutschlandpolitik hat es diese Regierung geschafft, trotz aller Ost-West-Vereisung die Beziehungen zu Ost-Berlin nicht nur freundlich zu halten, sondern sogar zu verbessern.

Alles in allem könnte sich Bundeskanzler Helmut Kohl also zufrieden in seinen Amtssessel zurücklehnen. Doch immer wieder kratzen Pannen und Affären am Lack der Koalition. Daß sie zeitweise sogar das Bündnis ins Trudeln bringen, das hat auch etwas mit der Führungskraft des Kanzlers zu tun.

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