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Schwere Geschütze

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Wenn eine Regierung ungefähr ein Jahr vor Parlamentswahlen beträchtliche Steuererhöhungen verkündet, so scheint dies ein Zeichen beachtlichen Muts zu sein. In Bonn demonstrierten Sozial- und Freidemokraten jetzt allerdings, daß ein solcher Schritt, der eher nach einem politischen Harakiri aussieht, relativ ungefährlich sein kann, ja vielleicht noch den Fortbestand der sozialliberalen Koalition sichert: Schmidt und Genscher, beziehungsweise ihre Wirtschafts- und Finanzminister Friederichs (FDP) und Apel (SPD), sprachen zwar offen den Beschluß zur Steuererhöhung aus — die Mehrwertsteuer soll um zwei Prozent hinaufgesetzt werden —, doch soll diese einschneidende Maßnahme erst zum 1. Jänner 1977 wirksam werden, also erst nach den nächsten Bundestagswahlen. Auch eine massive Anhe-bung von Branntwein- und Tabaksteuern steht für 1977 ins Haus. Die Begründung für derartige massive Steuererhöhungen zu einem taktisch geschickt gewählten Zeitpunkt sind ebenso einleuchtend, wie sie in letzter Zeit bis zum Überdruß wiederholt wurden, und lassen sich unter dem einfachen Wort „Finanz- und Wirtschaftskrise“ zusammenfassen.

Die Bonner Regierung hat mit ihrem Beschluß, die staatlichen Einnahmen zu verbessern, dem Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben parallel gehen, auf die in den letzten Wochen besonders deutlich gewordene Misere der Staatsfinanzen reagiert. Erst kürzlich hatte ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirates des Finanzministeriums ungeschminkt festgestellt, daß in der Bundesrepublik der Staat ständig über seine Verhältnisse lebe, die Einnahmen nicht mehr in Einklang mit den Ausgaben stünden und dieses Mißverhältnis, unabhängig von der Wirtschaftsentwicklung, sich in Zukunft noch verschärfen werde. Dazu kamen die immer alarmierenderen Zahlen über das Steueraufkommen. Wirtschaftlicher Rückgang, Arbeitslosigkeit, aber auch die zu einem höchst ungelegenen Zeitpunkt realisierte Einkommensteuerreform, brachten enorme Steuerausfälle. Die SPD/FDP-Regierung, die lange Zeit gehofft hatte, das Jahr bis zur Bundestagswahl noch ohne die Bevölkerung belastende Sanierungsmaßnahmen durchstehen zu können, sah sich schließlich zum Handeln gezwungen.

Dabei gelang ihr das Meisterstück, hinter einer Nebelwand von Nachrichten über unmittelbar bevorstehende Sparmaßnahmen, vor allem im öffentlichen Dienst und in der Landwirtschaft, das schwere Geschütz der Steuererhöhungen unbemerkt in Stellung zu bringen. Durch diesen taktischen Schachzug erreichte sie es, eine Diskussion über die bereits im kommenden Jahr beabsichtigen Ausgabekürzungen völlig in den Hintergrund treten zu lassen, weil inzwischen die viel weitreichendere Maßnahme auf dem fiskalischen Sektor getroffen ist und nun die Auseinandersetzung zu beherrschen beginnt.

Neben den steuerlichen Maßnahmen zum 1. Jänner 1977 bleiben die Einsparungsmaßnahmen im öffentlichen Dienst und bei der Landwirtschaft. Zwar sind diese im Endeffekt nicht ganz so massiv, wie es zunächst ausgesehen hatte, doch bleibt der Nachgeschmack, daß hier Gruppen getroffen werden, die der SPD nicht eben nahe stehen. Es spricht für die Stärke Schmidts in der Koalition, daß die FDP, die mit dem Innenminister auch den „Beamtenminister“ stellt, diesen Plänen zugestimmt hat. Auch durch die Einschränkung der Sparförderung, die bereits zu Beginn des kommenden Jahres wirksam werden soll, werden eher FDP-Wähler getroffen und verärgert. Dafür mußte die Gewerkschaft einer Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge zustimmen, mußte also die SPD hier Zugeständnisse machen.

Wenn auch zur Zeit der Mut der Regierung Schmidt/Genscher allgemein als relativ hoch eingeschätzt wird, als allzu heroisch wird das Anziehen der Steuerschraube durch die sozialliberale Koalition nicht angesehen. Denn abgesehen von der günstigen Wahl einiger Termine, wie vor allem jenen der Steuererhöhung, bleibt der schale Beigeschmack, daß alle Maßnahmen kaum eine generelle Gesundung der Staatsfinanzen erreichen werden können. Die Staatsverschuldung wird weiter beträchtlich sein. Und nicht nur das; ihre Finanzierung wird weiterhin schwierig sein. Der Zins soll, sowohl des Staats wie auch der Wirtschaft wegen, niedrig bleiben, aber die Anleihen sind zur Zeit bei dem von der Regierung gewünschten Zinssatz nicht mehr unterzubringen. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird voll auf die Verbraucherpreise durchschlagen, ein Preisschub ist unvermeidlich.

Vor allem muß sich die Bonner Regierung vorwerfen lassen, die unsozialste Form der Steuererhöhung gewählt zu haben, indem sie die Verbrauchssteuern erhöhte, die jeder zu zahlen hat. Die Kritik vom linken Flügel der SPD gegen die Maßnahme ihres Kanzlers ist daher massiv und auch die Unionsparteien verweisen, nicht ohne Schadenfreude, auf diese unsoziale Maßnahme einer sozialdemokratischen Regierung.

Vor allem tragen aber alle Maßnahmen, die jetzt angekündigt wurden, nur teilweise zu einer Sanierung des Staatshaushaltes bei und sie helfen überhaupt nicht bei der Überwindung der Wirtschaftskrise, sondern tragen eher noch zu deren Verschärfung bei, indem sie die Konsumfreudigkeit einschränken. Offensichtlich konnte sich aber das SPD/ FDP-Kabinett zu keinen die Belastungen der Wirtschaft mindernden und damit ankurbelnden Maßnahmen entschließen. So sehr Friederichs als FDP-Wirtschaftsminister dies gewollt hätte, ein solches Vorhaben, das wirtschaftlich wohl notwendig wäre, wäre zum jetzigen Zeitpunkt taktisch unmöglich gewesen. Das große Meisterstück, die Bewältigung der Wirtschaftskrise, hat diese Regierung, die nun nur nach dem Prinzip des Sparens und Geldeintreibens vorgegangen ist, noch zu leisten.

Die Opposition wiederum ist aufgerufen, jetzt zu zeigen, wie nach ihren Vorstellungen Haushalts- und Wirtschaftspolitik alternativ zu der von ihr abgelehnten der sozialliberalen Koalition zu betreiben wäre. Viel hat sie hier noch nicht angeboten. Ihr Wunsch, erst müsse die Regierung gleichsam den Offenbarungseid leisten und die Karten des Versagens offen auf den Tisch legen, ist zwar psychologisch verständlich, aber wenig realistisch. Diese Freude, kurz vor der Wahl das Handtuch zu werfen, macht die Regierung der CDU und CSU nicht. Nachdem Schmidt/Genscher, im Gegenteil, offensiv geworden sind, werden auch die Unionsparteien ihre Zurückhaltung aufgeben müssen und zu zeigen haben, wie nach ihrer Vorstellung der nach den Worten von Franz Josef Strauß durch SPD und FDP angerichtete „Saustall“ auszumisten ist.

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