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Schwere Krise der italienischen KP

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Wenn die Kommunistische Partei Italiens am 2. März dieses Jahres in Mailand ihren 16. Kongreß abhalten wird, dann wird dieser - soviel ist gewiß - keiner der ,,Rosen und Blumen“ sein.

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Wenn die Kommunistische Partei Italiens am 2. März dieses Jahres in Mailand ihren 16. Kongreß abhalten wird, dann wird dieser - soviel ist gewiß - keiner der ,,Rosen und Blumen“ sein.

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Armando Cossutta, der das sagte, wußte wovon er sprach. Denn als Integrationsfigur des prosowjetischen Parteiflügels („afghani“, „filosovietici“,… ) wird er bei diesem Kongreß auch ohne Rosen für Dornenreichtum sorgen. Letztendlich ausschlaggebender Grund für die angekündigte Konfrontation ist für den von ZK-Mitglied Cossutta repräsentierten Mitgliedersektor eine Resolution der Parteidirektion vom 30.12.81 mit dem für die kommunistische Diplomatie unge-

wohnlich provokanten Titel: „Reflexion der dramatischen Ereignisse in Polen — Eine neue Phase des Kampfes für den Sozialismus eröffnen“.

Dieser Begriff der „neuen Phase“ deutet das ketzerische Moment des beanstandeten Dokuments bereits an. Denn .er ist Ausdruck der für konservative Parteimitglieder unfaßbaren, zuletzt durch den Staatsstreich in Polen bekräftigten Einsicht, daß die „Phase der Entwicklung des Sozialismus, die ihren Ausgangspunkt in der Oktoberrevolutiöh hatte, in ihrer Triebkraft erschöpft ist“.

Die innerparteiliche Reaktion auf den Entschluß der Parteiführung, den Beziehungen zur Sowjetunion den privilegierten Charakter zu nehmen, ließ auch nicht lange auf sich warten: Cossutta, der als einziges ZK-Mitglied gegen die Verurteilung des Putsches und das darauffolgende Dokument gestimmt hatte, befürchtete einen Riß („strappo“) im Parteikörper wie in der KPI- Tradition und sprach erstmals ausdrücklich yon vorhandenen Mehrheiten und Minderheiten in dieser Frage, die es auf dem nächsten Parteitag zu konfrontieren gelte.

Paradoxerweise kommt ihm dabei die von seinem Erzkontrahenten, Generalsekretär Enrico Berlinguer geförderte parteiinterne Demokratie entgegen.

Doch die entscheidende Ursache für die Besorgnis, daß der Dissens eine breite Basis finden könnte, liegt in der Nachkriegsentwicklung der Partei selbst: weite Kreise der Parteimitglieder können und wollen den Prozeß der sukzessiven Distanzierung der Parteileitung von den Prinzipien und der praktischen Politik des kommunistischen Weltzentrums nicht nachvollziehen.

Tatsächlich verwirft die KPI seit 1956 (dem berühmten 20. Parteitag der KPdSU) auf allen Linien, was bis dahin als unantastbare Prinzipien des Weltkommunismus gegolten hatte:

• Die organisatorischen Grundsätze „proletarischer Internationalismus“ und „demokratischer Zentralismus“ wurden aufgegeben, bzw. modifiziert. Stattdessen spricht die KPI von innerparteilicher Demokratie und einem „neuen Internationalismus“, der sich an verschiedenste politische Kräfte wendet, innerhalb derer er den kommunistischen Parteien der Warschauer Pakt-Staaten eine bloß gleichberechtigte Rolle konzediert.

• Demgemäß verschob sich der Bezugspunkt der internationalen Politik der KPI von der Sowjetunion nach Europa, was in dem verstärkten Engagement innerhalb der Institutionen der Europäischen Gemeinschaft ebenso zum Ausdruck kommt wie in der Neueinschätzung der NATO, die nicht mehr als rein aggressives Instrument des US-Imperialis- mus gesehen wird. i

• Zunehmend drückten sich die ideologischen Differenzen mit der Sowjetunion auch in der Einschätzung ihrer Außenpolitik aus und tangierten damit deren Machtinteressen unangenehm.

• Auch dogmatisch und revolutionär eingestellte Kommunisten können angesichts der konsequenten Entwicklung der Partei nicht umhin, das Bekenntnis zu demokratischen Verkehrsformen für bare Münze zu nehmen und die Hoffnung auf eine eventuelle Doppelstrategie der Parteiführung aufzugeben.

Praktisch ist die größte KP des Westens, die einzige, die eine poli

tische Neuorientierung ohne Spaltung überlebte, drei Monate vor ihrem 16. Kongreß in der größten Krise seit ihrer Neugründung 1944. Der Alleinerbe des „Eurokommunismus“ wird im März unsanft an sein anderes Erbe erinnert werden: an sein revolutionäres, durch ehemals gute Beziehungen zur Sowjetunion geprägtes. Träger der Kritik werden dabei hauptsächlich Repräsentanten zweier Gruppen sein:

• der prosowjetisch fühlenden und denkenden Genossen, die den ideologisch geschlossenen Weltkommunismus der Vergangenheit noch heute als Glaubensgemeinschaft auffassen. Und das dürften so wenige nicht sein: Gemäß den Ergebnissen der Umfrage eines der KPI nahestehenden Meinungsforschungsinstitutes bescheinigten 1978 79 Prozent der Mitglieder und 60 Prozent der Sektionssekretäre der So

wjetunion, sozialistisch zu sein; 52 Prozent der Mitglieder und 27 Prozent der Sekretäre erklärten ihre ausdrücklich feindliche Haltung gegenüber den sowjetischen Dissidenten. Und noch Ende 1980 empfanden 28 Prozent der Sekretäre die Invasion in Afghanistan als „gerechtfertigt“.

• Einer anderen Gruppe, die — glaubt man einer Untersuchung der linksliberalen Tageszeitung „la Republica“ vom Frühjahr 82 — in ihrer Kritik die Befürchtung ausdrückt, daß der Verlust des Bezugspunktes „Sowjetunion“ die Preisgabe der Identität der KPI als gegen „Kapitalismus“ und „Imperialismus“ kämpfende Kraft bedeuten könnte — womit eine „Sozialdemokratisierung“ eingeleitet wäre.

Doch im einst monolithischen Block KPI ist die „Einheit in der

Vielfalt“ — wie es parteioffiziell gerne genannt wird — durch mehr als nur den prosowjetischen „cor- rente“ (Strömung) gefährdet, wenngleich sich dieser als einziger als solcher bezeichnet sehen will.

Derweil rubrizieren die Strömungen noch unter „Änderungsanträge zum Dokument des Kongresses“. Während der Sitzung des Zentralkomitees Ende November, die mit der Ausarbeitung des Kongreßdokuments befaßt war, machte Cossutta seinen Dissens in fünf — vom ZK allsamt abgelehnten — Abänderungsanträgen deutlich, womit das Konfliktpotential des kommenden Parteitages Konturen anzunehmen beginnt:

• Während das offizielle Dokument Verstaatlichung und Bürokratisierung ablehnt und stattdessen „demokratische Wirt

schaftsplanung“ und „Selbstverwaltung“ befürwortet, spricht Cossutta vom notwendigen „Heraustreten Italiens und Westeuropas aus dem Kapitalismus“.

• Die „Triebkraft der Oktoberrevolution“ sei nicht erschöpft, sondern außer Fehlern „im Bereich der persönlichen Freiheiten wie auch der Ökonomie“ bestünden sehr wohl „Bedingungen und Energien, um in diesen Gesellschaften die initialen Antriebski äfte der Oktoberrevolution erneut zu stärken“.

• Dervorgeschlagenen„Wieder- vereinigung der europäischen Arbeiterbewegung“, einem von der KPI unter dem Stichwort „Eurolinke“ seit einiger Zeit betriebenen Programm, hält Cossutta entgegen, daß die europäische Sozialdemokratie die „Erhaltung des Kapitalismus und nicht seine Überwindung betreibe“.

• Schuld an einer Kriegsgefahr im internationalen Maßstab sei nicht, die Großmachtpolitik beider Blöcke, sondern die gegenwärtige amerikanische Regierung „mit ihrer imperialistischen Politik und ihrer Suche nach militärischer Übermacht“.

In der Parteiterminologie wird die Existenz von „Strömungen“ nach wie vor verneint und noch immer ist die Zugehörigkeit zu einer solchen offiziell ein Ausschlußgrund. Kaum geleugnet werden jedoch „Tendenzen“, von denen niemand Voraussagen kann, ob sie nicht den Charakter von Fraktionen annehmen werden. Denn zu uneinheitlich ist selbst die Parteiführung in den meisten Fragen von Belang, wie den Traditionen der Partei und deren praktischen Konsequenzen, dem demokratischen Zentralismus, der Bündnispolitik auf nationaler und internationaler Ebene, der Haltung der UdSSR gegenüber, etc.

All diese Themen sind potentielles Spaltmaterial, denn leicht können sich die Konflikte der letzten ZK-Sitzung in den Sektionen wiederholen, wo selbst die Themen des 16. Parteitages während der nächsten Monate diskutiert werden sollen.

Einig war sich die Parteiführung vorwiegend in der Frage der Koalitionspolitik: die angestrebte „Alternative“ zur Christdemokratischen Partei werde nicht mehr nur eine Alternative zum „Machtapparat der Democristiani“ sein, sondern müsse bei kommenden Regierungsbildungen die DC ausschließen.

Dieser Entschluß kommt einer Revision des „historischen Kompromisses“ gleich, der seit 1975 die Democristiani als mögliche Koalitionspartner sieht. Denn erneut scheiterte der Versuch der KPI, aus der innenpolitischen Isolation herauszufinden, in der sie seit Ausbruch des Kalten Krieges steckt, als Staatspräsident Sandro Pertini mit Amintore Fanfani einen den Kommunisten traditionsgemäß zweckpessimistischen gegenüberstehenden Politiker mit der Regierungsbildung beauftragte.

Vom Umgang der KPI mit ihrer bisher schwersten innerparteilichen Krise wird es abhängen, ob sie nach ihrem 16. Kongreß als Italiens neue „innenpolitische Hoffnung“, als „Sicherheitsrisiko“ oder aber als gespalten präsentieren wird.

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