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Schwere Scheidung

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Die jetzt vom ungarischen Parlament verabschiedete Novelle des 1952 eingeführten und vor zwölf Jahren teilweise abgeänderten Familienrechtes sorgt im Nachbarland für immer wieder aufflammende Diskussionen. Im Landtag selbst hatten mehr als vierzig Abgeordnete ein Veto gegen die Vorlage vorbereitet, und obwohl sie schließlich doch für das Gesetz stimmten, gab es Debatten.

Allein diese Tatsache ist schon bemerkenswert, da sie die ersten Früchte der im vergangenen Jahr durchgeführten Wahl- und Parlamentsreform, andeutet, die eine aktivere Rolle der Landesversammlung in der Gesetzgebung vorsieht. Hinzu kommt aber auch noch, daß die Kritik an der Novelle von den Massenmedien aufgegriffen wurde.

Das Fernsehmagazin „Hirhät-ter“ (Nachrichtenhintergrund) stellte vor kurzem die gesamtgesellschaftliche Effektivität des Gesetzes in Frage, indem es darauf hinwies, daß die der Verabschiedung vorangegangene, fast einjährige Diskussion des Projektes in der Öffentlichkeit von der Regierung kaum beachtet worden sei. Manche — auch zahlreiche Funktionäre — beklagten sogar „die unzureichende Berücksichtigung der vom sozialistischen System dargebotenen demokratischen Dimensionen“. Nach Expertenmeinung stellt das Gesetz einen unberechtigten Eingriff des Staates in die Privatsphäre der Bürger dar.

In Ungarn nahm die Zahl der Eheschließungen in den vergangenen zehn Jahren um 25 Prozent ab; zugleich gab es einen Anstieg der Scheidungen (im Vorjahr wurden 29.000 Ehen geschieden). Davon sind mehr als 30.000 Kinder betroffen.

Die unabsehbaren Folgen dieser für ein Zehneinhalb-Millio-nen-Volk alarmierenden Statistiken veranlaßten die Regierung zur Novellierung des Familiengesetzes, dessen Scheidungsparagraphen wohl am umstrittensten sind. Dabei geht es vor allem darum, die im gegenseitigen Einvernehmen eingereichten Scheidungen (rund 90 Prozent der Fälle) durch bestimmte Maßnahmen zu erschweren — wie Vorgespräch der Partner mit dem Richter, Verlängerung der Scheidungsprozedur auf zwei Jahre und die Verpflichtung, vor Gericht die Funktionsunfähigkeit der Ehe nachweislich darzulegen.

Diesem Ziel dient die Installation des Ehevertrages, der eine gesetzliche Registrierung der mit in die Ehegemeinschaft getragenen Besitz- und Eigentumsverhältnisse zum Zwecke ihrer gerechten Klärung nach einer Scheidung vorsieht

Die bisherige Praxis kennt Fälle, bei denen ein Partner die durch Eheschließung gemeinsam erworbenen Güter — so auch die Wohnung — nach der Scheidung entschädigungslos dem anderen überlassen muß. Fraglich ist, wie weit das neue Gesetz zu einer gerechten Lösung beizutragen vermag, wenn es zugleich Möglichkeiten für eine wiederholte Revision des Vertrages bietet.

Auf diese Weise werden erneut langwierige und erschöpfende juristische Vorgänge unvermeidlich, die die Partner wieder einmal auf Verlierer und Gewinner aufteilen. Die Gesetzgebung geht vom Prinzip der Stärkung der zwischenmenschlichen Beziehungen aus. Ein Abgeordneter dazu im Parlament: „Glaubt denn die Regierung ernsthaft, diese durch Erschweren der Scheidung verbessern zu können?“

Es gab in den Parlamentarischen Arbeitsausschüssen Stimmen, die der Regierung Kapitulation vor den sich nunmehr unlösbar darstellenden Problemen vorwarfen und sie zum raschen Umdenken vor allem in bezug,auf die Situation der Mütter aufforderten.

Ungarns Produktionsstrukturen schließen schon längst eine Befreiung der Mütter von der Erwerbstätigkeit aus, trotzdem wird äußerst wenig für eine Arbeitszeitverkürzung der Frauen oder für den Ausbau der Struktur der Heimarbeiten getan. Denn in Wirklichkeit handelt es sich um Preis- und Lohnverhältnisse, um Beschäftigungs- und Wohnungspolitik und in bezug auf den Alkoholismus auch um Freizeitprobleme; um Faktoren, die zwar außerhalb des Familienrechtes stehen, deren Zusammenwirken jedoch unvermeidlich zum Scheitern zahlreicher Ehen führt, da die Partner weder wirtschaftlichsozial noch moralisch-geistig in der Lage sind, die auf sie zukommenden Belastungen zu lösen.

Das Resultat ist dann die zunehmende Desintegration des Menschen, die letztlich das gesamtgesellschaftliche Gefüge gefährdet. Man kann die jüngste Maßnahme der Regierung freilich auch als eine Ersatzhandlung werten. Unter Zugzwang geraten, versucht sie nun eine Wirkung zu kurieren, statt Ursachen anzugehen.

Zugleich ist es jedoch nicht notwendig, das Problem auf seine wirtschaftlichen Komponenten zu reduzieren, um zu wissen, daß auf der gegenwärtigen Entwicklungsetappe der Reform die Regierung tatsächlich nicht in der Lage ist, kurzfristig Voraussetzungen zu schaffen, die zur Lösung der Krise der ungarischen Familie beitragen könnten.

Wenn sie jedoch mit ihrem Reformwerk auch nur annähernd erfolgreich fortfahren will, sind Schritte in diese Richtung dringend notwendig, zumal die auf Förderung individueller Interessen abgestimmte Wirtschaftspolitik nur in einem auch moralisch funktionsfähigen sozialen Gefüge wirksam und effektiv sein kann.

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