Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Schweres Kopfweh für Westeuropa
Die Situation für die bosnischen Moslems ist ausweglos. Die Vertreibung Hunderttausender, die Schleifung ganzer Dörfer und vor allem die Tausenden Toten haben den friedfertigen Präsidenten eines international fiktiven Staates veranlaßt, der Gewalt zu weichen. Gewalt hat dem jungen selbständigen Staat Bosnien-Herzegowina den Garaus gemacht. Plan- und perspektivenlos mußten die Vereinten Nationen, mußte Westeuropa -der Doktrin der Abwehr von Gewalt verpflichtet - zusehen, wie ein legitimes Kind postnatal zu Tode gemartert wurde.
Einsicht in die Notwendigkeit blieb dem der Gewaltlosigkeit verpflichteten bosnischen Staatspräsidenten Alija Izetbegovic als einziger Ausweg. Und jetzt, vor dem Winter, ist ein Kriegsende für die Moslems überlebensnotwendig. Der G'scheitere gibt wieder einmal nach. Was der jüdische Schriftsteller Arnos Oz vor kurzem bemerkte, noch schlimmer als Gewalt sei Kapitulation vor dieser, bleibt europäische Realität.
Die von Serben und wohl auch von Kroaten erzwungene Aufteilung Bosnien-Herzegowinas wird den Westen verbal zwar kurz schockieren, dann von ihm aber achselzuk-kend zur Kenntnis genommen werden. Beugt sich auch das höchsten menschenrechtlichen und sicherheitspolitischen Standards verschriebene Europa der Idee des Serbenführers in Bosnien, Radovan Karadzic", daß „unsere Seele und Identität nur durch Separation überleben kann" und selbst eine kleine moslemische Einheit zu einem „Kopfweh für Europa" geraten kann? Kann Europa einem Mate Boban, selbsternannter Präsident der kroatischen „Republik Herzeg", folgen, der sein in der Region Mostar bestehendes Gebilde mittels Gewalt bis Sarajewo ausweiten, dann in „Friedensverhandlungen" mit
Serbien eintreten will?
Zwar wird Europa und der Westen um Worte nicht verlegen sein; eine diplomatische Sprachregelung, die Lage in Bosnien-Herzegowina einzuordnen, wird wohl rasch gefunden werden. Doch kommt kein Politiker, der jetzt über die Neuordnung Europas sinniert, an der Frage vorbei, wie er sich denn eine Ordnung im ehemaligen Jugoslawien vorstellt - und wie sie verwirklicht werden könnte.
Vor nicht allzu langer Zeit hat Außenminister Alois Mock gegenüber der FURCHE davor gewarnt, daß Europas Ordnung den Fluß hinuntergeht, anerkennt man die Folgen der Gewalt. Bleibt Mock der einsame Warner in der westeuropäischen Runde?
Gewalt führt in Europa noch zum Erfolg -eine bittere Lehre für alle, die auf neue Sicherheitsstrukturen setzen; gleichzeitig aber auch ein Imperativ, diese möglichst zielstrebig zum Leben zu erwecken, damit nicht noch mehr Elend diesen Kontinent beherrscht.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!