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SchwereVerfassungskrise in Jugoslawien

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Jugoslawien droht ein Verfassungschaos bis hin zu einer Putschaktion unzufriedener Generäle. Nachdem zum Wochenende Staatspräsident Borisav Jovid demonstrativ zusammen mit zwei seiner Stellvertreter zurückgetreten war, ist der Balkanstaat ohne Staatsoberhaupt und vor allem ohne Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Der Serbe Jovic, Nenad Bucm aus Montenegro und Dragutin Zelenovid aus

ROLAND HOFWILER berichtet aus Belgrad der Vojvodina begründeten ihren Schritt lediglich mit den Worten, sie wollten nun keine Mitverantwortung mehr tragen für den drohenden Zerfall Jugoslawiens und der wachsenden Bürgerkriegsgefahr.

Hinter dem formellen Rücktritt verbirgt sich eine äußerst explosive Machtprobe. Alle drei hatten in der vergangenen Woche im achtköpfigen „kollektiven Staatspräsidium”, das bei folgenschweren Entscheidungen - wie Ausrufung des Ausnahmezustandes oder wie bei der augenblicklichen Ausarbeitung eines neuen „All-Unions-Vertrages” zwischen „abtrünnigen” Republiken und der Belgrader Zentrale -um Spitzenpolitiker der Bundesregierung und hoher Militärs erweitert wird, eine schwere Niederlage einstecken müssen.

Nachdem es Jovid am vorletzten Wochenende gelungen war, Panzer in die Hauptstadt zur Herstellung von „Ruhe und Ordnung” einzusetzen, verweigerte das kollektive Staatspräsidium ihm und der Generalität dann aber die Gefolgschaft, den Ausnahmezustand über das gesamte jugoslawische Staatsterritorium auszurufen. Für Serbien hat das kollektive Staatspräsidium aufgehört zu existieren und den Kroaten Stipe Mesic, der dem Rotationsprinzip zufolge neuer Präsident werden könnte, wird man kaum als solchen anerkennen.

Zwar ist die jugoslawische Verfassung in unzähligen Fragen bis ins kleinste Detail ausgearbeitet worden, um so eine Ausgewogenheit zwischen allen Völkern zu erreichen, doch in der Frage, was nun werden könnte, gibt die Verfassung von 1974 keine Antwort. Die Gesetzesväter hatten außer Acht gelassen, daß es eines Tages zu einer Blockierung der politischen Tätigkeit des obersten Machtgremiums kommen könnte. Man ging stets davon aus, daß an den Schaltstellen der Macht zumindest in Fragen der Landesverteidigung und der territorialen Einheit des Vielvölkerstaates Einvernehmen bestehen müsse. Dies war bis vor kurzem auch der Fall.

Denn obwohl es im Lande seit Jahren brodelt, gingen doch selbst so dramatische Entscheidungen wie die Entsendung von Truppen zur Niederschlagung der Albaner-Unruhen in der Kosovo-Provinz mit einer Mehrheitsentscheidung vom Staatspräsidium aus.

Selbst als in den experimentierfreudigen Nordrepubliken Kroatien und Slowenien demokratisch gewählte Regierungen die Vorherrschaft der Kommunisten im vergangenen Jahr stürzten, verhielten sich die neuen Demokraten auf Präsidialebene recht loyal. Und als vor einer Woche Truppen in Belgrad auffuhren, stimmten die „abtrünnigen” Republiken nicht offen gegen den Aufmarsch, sondern enthielten sich einfach der Stimme. Auch bei manch anderen Konflikten heizte man zwar verbal und über die jeweils unter eigener Kontrolle stehenden Medien die Stimmung an, suchte aber hinter verschlossenen Türen nach einem Minimalkonsens.

Das alles gehört nun der Vergangenheit an - so der Tenor eigentlich aller Zeitungen dieser Woche. Jetzt auf einmal bedauert die Presse, daß überall im Lande Truppen, paramilitärische Poüzeieinhei-ten, Reservisten in Armee und Sicherheitsorganen in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt wurden. Die Medien sprechen voller Bedauern von einer „Libanonisierung”, cie jeden Augenblick den Bürgerkrieg auslösen könnte, Doch waren gerade sie es, die nationale Konflikte mit Vorliebe aufpeitschten und zu mancher Eskalation beitrugen.

Nun scheinen Haß und Wut alle Seiten erfaßt zu haben. Weder auf offizieller Seite noch unter Oppositionellen scheint man nationale Grenzen überschreiten zu wollen. Vuk Draskovic”, jener serbische Oppositionsführer, den Milosevic” und Jovid während der Belgrader Unruhen einfach seiner Immunität beraubten und ins Gefängnis steckten, gab zwar am Sonntag eine Pressekonferenz, auf der er die Entpoli-tisierung der Armee forderte - doch fehlte es nicht an doppeldeutigen Aussagen.

Sein Ziel sei, Jugoslawien mit einem „demokratischen Serbien” zu befreien. Draäkovic” schlug auch Neuwahlen im ganzen Lande vor, weil seiner Meinung nach auch in Zagreb und Ljubljana keine Demokraten, sondern „Separatisten” in den neuen Sesseln der Mehrparteienparlamente sitzen. Wen wundert es da, daß nicht nur aus dieser Nordwestecke auf Draäkovid die gleiche Kritik niederprasselte wie auf die Dogmatiker im Staatspräsidium.

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