7214236-1992_43_07.jpg
Digital In Arbeit

Schwerhörig: welche Last!

19451960198020002020

Eine Beratungsstelle für Schwerhörige und Spätertaubte lädt zu einem Pressegespräch: Wen interessieren schon die Probleme dieser Randgruppe?, dachte ich zunächst, um dann aber zu erkennen: Hier handelt es sich um ein großes Leiden von vielen. .

19451960198020002020

Eine Beratungsstelle für Schwerhörige und Spätertaubte lädt zu einem Pressegespräch: Wen interessieren schon die Probleme dieser Randgruppe?, dachte ich zunächst, um dann aber zu erkennen: Hier handelt es sich um ein großes Leiden von vielen. .

Werbung
Werbung
Werbung

Es war dann ein Telefonat mit Christa Köpruner, das mich betroffen gemacht und nachdenklich gestimmt hat. Selbst stark schwerhörig, ist sie für die Öffentlichkeitsarbeit des „Österreichischen Hilfswerks für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte" (ÖHTB) zuständig. Im Gespräch mit ihr wurde mir klar: Hörbehinderung ist weitverbreitet. In Österreich dürften 400.000 Menschen unter Hörbehinderung leiden. Für die USA schätzt man, daß bis zehn Prozent der Bevölkerung betroffen sind.

Die meisten von ihnen haben früher ganz normal gehört, waren voll im gesellschaftlichen Leben integriert. Mit zunehmender Schwerhörigkeit aber geraten sie immer mehr an den Rand. Und noch etwas wurde mir bei diesem Gespräch bewußt: Mit Hörbehinderung zu leben, muß wirklich besonders schwer sein.

Wer kennt nicht die ungeduldigen Reaktionen, wenn ein schwerhöriger Gesprächspartner zum xten Mal „Wie bitte?" gefragt hat? „Paß halt besser auf!" bekommt er dann ärgerlich gesagt, „Terrischer". Man hat nun einmal mit Schwerhörigen weit weniger Verständnis als mit Blinden. Ohne die eine Behinderung gegen die andere ausspielen zu wollen, ist doch eines offenkundig: Den Blinden sieht man ihr Handikap sofort an, sie erwecken viel leichter Hilfsbereitschaft und Mitgefühl. Wer aber schwerhörig oder taub ist, der wirkt nach außen hin wie jedermann.

Magdalena Aigner, eine spätertaubte Mitarbeiterin des ÖHTB, berichtet über ihre Erfahrungen: „Was mir persönlich nach wie vor sehr weh tut - und schwerfällt - ist, daß ich immer auf meine Behinderung hinweisen muß. Um beim Einkaufen, beim Arzt, auf einer Behörde irgendwie zurechtzukommen, muß ich also daraufhinweisen, daß ich gehörlos bin und ich muß gleichzeitig darum bitten so zu sprechen, daß ich eventuell auch verstehen kann."

Es stimmt, was Aigner formuliert: „Blindheit trennt von den Dingen, Taubheit aber trennt von den Menschen!" Sie selbst hat das schmerzhaft miterlebt, als sie als 22jährige Mutter zweier Kinder plötzlich schwerhörig wurde: „„Alles war plötzlich ganz anders, sehr vieles plötzlich unmöglich geworden. Ich hörte die Stimmen meiner Kinder nicht mehr -auch nicht ihr Lachen, nicht ihr Weinen, ja nicht einmal mehr meine eigene Stimme. Ich hörte die Türglocke nicht mehr und konnte auch nicht mehr telefonieren. Mit einem Schlag war es mir unmöglich geworden den spontanen Kontakt zur Außenwelt, zu Freunden, Eltern, Geschwistern herzustellen."

Wie schwer muß es sein, psychisch mit dieser Situation zurechtzukommen! Viele dürften an der Vereinsamung, in die sie da geraten, einfach verzweifeln. Christa Köpruner nennt Zahlen: Bei Ertaubten sei die Selbstmordratezehnmal höher als im Durchschnitt der Bevölkerung. „Mitten unter den Menschen zur Einsamkeit verdammt", so hat Ludwig van Beethoven sein Schicksal als Ertaubter beschrieben.

Und hier will die von Christa Köpruner und Barbara Zittner (auch sie ist ertaubt) geleitete Beratungsstelle zuhilfekommen. In Selbsthilfegruppen, im Erfahrungsaustausch läßt sich die Last der Umstellung auf die Behinderung und das Leben mit ihr leichter bewältigen. Außerdem werden Erfahrungen mit den notwendigen Behördenwegen und Informationen über medizinische, therapeutische und schulische Einrichtungen gerne weitergegeben. Auch über technische Hilfe sowie finanzielle Unterstützungen und Vergünstigungen weiß man hier Bescheid.

Zwei technische Neuerungen erleichtern den Hörbehinderten in besonderer Weise das Leben: Telefax und Teletext. Lesen und Schreiben als Mittel der Kommunikation über weite Entfernungen. Denn, so stellte Magdalena Aigner fest: „Was nützte es mir, zum Beispiel die Nachrichten im Fernsehen zu sehen, wenn ich sie nicht verstand. Was nützte es mir zu sehen, wenn sich bei Festen und Veranstaltungen alle gut unterhielten -und ich praktisch danebenstand, angewiesen darauf, daß man mir hin und wieder ein paar Brocken zuwarf..."

Ja, das nehme ich mir vor: Mehr Geduld mit denen, die schlecht hören. Und außerdem: Deutlich artikulieren. Denn viele Schwerhörige können mit einiger Übung immerhin 40 Prozent aller gesprochenen Silben von den Lippen ablesen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung