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Schwerpunkte der Außenpolitik neu überlegen

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Noch ist die Geschichte der Grenzen und ihre Bedeutung für das Leben der Völker nicht geschrieben. Und doch: Wie lange wurden sie - Ausdruck nationalstaatlichen Denkens - als oberstes Prinzip staatlicher Souveränität angesehen, als unverletzlich, ja heilig. Und wie oft wurden im Namen von „natürlichen“ oder „sicheren“ Grenzen Kriege geführt - zu ihrer Veränderung oder zu ihrer Erhaltung.

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Noch ist die Geschichte der Grenzen und ihre Bedeutung für das Leben der Völker nicht geschrieben. Und doch: Wie lange wurden sie - Ausdruck nationalstaatlichen Denkens - als oberstes Prinzip staatlicher Souveränität angesehen, als unverletzlich, ja heilig. Und wie oft wurden im Namen von „natürlichen“ oder „sicheren“ Grenzen Kriege geführt - zu ihrer Veränderung oder zu ihrer Erhaltung.

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Es ist eine fast zwangsläufige Folge der Europäischen Einigungsbewegung seit dem Ende des letzten Krieges, daß durch das Bestreben nach grenzüberschreitender Zusammenarbeit auf regionaler Ebene ein fast radikales Umdenken eingeleitet wurde. Getragen wurde diese Entwicklung vom Europarat, dersich schon im Jahre 1949 für die volle Bewegungsfreiheit aller Europäer aussprach und immerhin in kurzer Zeit die Abschaffung des Visumzwanges erreichte.

Im Mittelpunkt aber blieb das Bemühen um die Verwirklichung echter Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Regionen: Ein Grundsatzprogramm des Europarates aus dem Jahre 1968 empfahl allen Mitgliedsstaaten, für eine baldige Realisierung des „Europa der Regionen“, einer direkten Zusammenarbeit der grenznahen und grenzüberschreitenden Regionen, zu sorgen. Leider hat diese Empfehlung für eine neue Form der Europapolitik bisher noch wenig Niederschlag gefunden - auch in Österreichs Außenpolitik nicht. Trotzdem: In vielen Bereichen war die Macht des Faktischen stärker, waren die Initiativen grenznaher Kommunal- und Regionalverantwortlicher bestimmend.

Beispiel Vorarlberg

Dies sei dargetan am Beispiel Vorarlbergs. Zugegeben - die historischen, geographischen, ethnologischen und auch bewußtseinsmäßigen Voraussetzungen mögen besonders günstig gewesen sein. Die wirtschaftliche und verkehrsmäßige Entwicklung des Landes ging zwangsläufig mit Blickrichtung nach Westen und Norden vor sich. Siedlungsgeschichtlich bedingte Stammesverwandtschaften mit Schweizern und Schwaben erleichterten eine seit Beginn der Industrialisierung bestehende wirtschaftliche Verflechtung mit den Regionen jenseits der Grenzen. Freundnachbarliche Beziehungen führten seit langem zu einem intensiven, selbstverständlichen Austausch in wirtschaftlichen, kulturellen und auch sportlichen Belangen.

Die wirtschaftlichen Beziehungen zur Schweiz stellen sich schon fast als Verflechtung dar. Mehr als ein Viertel des hohen Vorarlberger Exportvolumens, mehr als drei Viertel der gesamten EFTA-Exporte gehen über den Rhein. Tausende von Arbeitskräften überschreiten die Grenze. Der Einkauf über die Grenze ist für Grenzbewohner hüben und drüben seit langem üblich, wenn auch nicht problemlos. Ähnlich selbstverständlich entwickelten sich kulturelle und sportliche Zusammenarbeit: Schweizer und Liechtensteiner Kulturdarbietungen mit Vorarlberger Kräften sind genauso alltäglich wie umgekehrt - und wenn etwa die Handballer oder die Ringer aus dem Ländle ihre Meisterschaftsrunden in „Bodensee-Ligen“ abwik- keln, wenn die Fußballer Südbadens, der Ostschweiz und Vorarlbergs um den traditionellen „Bodensee-Cup“ kämpfen, dann empfindet dies jeder mehr als regionsinternes denn als zwischenstaatliches Geschehen.

Daß Vorarlberg schließlich vielfach in mehr oder weniger institutionalisierte zwischenstaatlich-regionale Aktivitäten eingebunden ist, entspricht dieser besonderen Lage. Fragen der Raumordnung und Regionalplanung, des Natur- und Landschaftsschutzes, des Umweltschutzes und der Wasser wirtschaft gehören genauso zu den zentralen, grenzüberschreitenden Lebensanliegen wie Ausbau der Infrastrukturen, Wirtschaftsforderung, grenzüberschreitende Hilfeleistungen in Not- und Kataströphenfällen und dergleichen.

Überregionale Zusammenarbeit - eine Notwendigkeit

Aktive und tragende Mitarbeit Vorarlbergs in der „Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (ARGE ALP)“ ist daher genauso selbstverständlich wie die Mitgliedschaft zur „Internationalen

Bodensee-Verkehrs-Vereinigung“, zum „Arbeitskreis der Industrie- und Handelskammern des Bodensees“, der „Deutsch-Österreichischen

Raumordnungskommission“, dem „Internationalen Rheinschiffahrts- Verband“, der „Bodensee-Gewässer- schutz-Kommission“ und ähnlichen. Das heißt, daß für Vorarlberg die regionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu einer dichten, in alle Lebensbereiche hineingreifenden Notwendigkeit geworden ist. Damit wird eine maßgebliche Vorleistung für jene Rahmenkonvention des Europa-

rates über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit erbracht, der auch Österreich beigetreten ist.

Im November 1976 hatte der Europarat die für Gemeindeangelegenheiten zuständigen europäischen Minister nach Athen eingeladen. Dabei wurde eine Konvention beschlossen, in der die einzelnen Staaten - unter Betonung der großen Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen den Behörden und Gebietskörperschaften in Grenznähe - übereinkamen, diese Zusammenarbeit zu erleichtern und zu fördern. Die auch von Österreich gebilligte Konvention verpflichtet die Staaten, nach Wegen zur Lösung der rechtlichen, administrativen und technischen Schwierigkeiten zu suchen, durch die der reibungslose Ablauf grenzüberschreitender Zusammenarbeit behindert wird.

Österreich hat sich damit zu einer Intensivierung unmittelbarer Kontakte über die Staatsgrenzen hinweg bekannt. Das ist sachlich wohl nur möglich im Wege einer Erweiterung der den Regionen, den Bundesländern zustehenden Befugnisse bei Kontakten über die Grenzen. Anders gesagt, der Begriff der „Außenbeziehungen“ wäre neu zu überdenken, das Monopol des Bundes hiefür wäre wohl im Lichte dieser europäischen Regionalisierungstendenzen aufzulockem.

Den Ländern Rechte einräumen w

So sind zum Beispiel „Staatsbesuche“ etwa der Vorarlberger Landesregierung bei benachbarten Kantons und Länderverwaltungen längst regionalpolitische Selbstverständlichkeit - wenn auch formal noch nirgens vorgesehen, nirgends gedeckt. Was spräche weiters etwa dagegen, bei Staatsbesuchen österreichischer Regierungsmitglieder in Nachbarstaaten auch Vertreter der Landesregierungen der jeweils angrenzenden Bundesländer beizuziehen? Und würden nicht jene Vorschläge dieser neuen Zusammenarbeitsdimension entsprechen, die den Ländern ein Recht einräumen wollen, in den Abschluß von Staatsverträgen, die ihren Wirkungsbereich tangieren, eingeschaltet zu werden? Vielleicht wären im Lichte dieses Bekenntnisses zu verstärkter regionalpolitischer Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg überhaupt gewisse Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik ernsthaft neu zu überlegen.

Um das Ansehen Österreichs

Die derzeitigen außenpolitischen Ambitionen Österreichs - nämlich Drehscheibe oder Vermittler sein zu wollen in verschiedenen weltpolitischen Konfliktbereichen - wirken für einen kleinen, der Neutralität verpflichteten Staat oft allzu hochgestochen, im Lichte ausländischer Reaktionen manchmal sogar nachgerade peinlich. Wäre es nicht sinnvoller, hautnaher und vor allem mehr im Interesse der Bürger unseres Landes gelegen, wenn sich unsere Außenpolitik mehr auf Wahrnehmung und Pflege möglichst guter und intensiver Beziehungen zu den Nachbarstaaten und vor allem auch - Regionen bekennen würde?

Österreichs und Vorarlbergs neutraler westlicher Nachbar, die Schweiz, hat sich seit je dieser eher bescheidenen, aber realistischen Zielsetzung verschrieben. Sie würde sicher auch für Österreich von Vorteil sein - nicht nur im Sinne der anerkannten Zielsetzungen des Europarates und zum Wohle der Millionen von Bürgern in den Grenzregionen, sondern sicher auch im Interesse des Ansehens und der außenpolitischen Stabilität Österreichs.

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