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Schwierige BalanceaKte

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Das Dilemma dieser Mittelamerikareise lag für Johannes Paul II. darin, gleichzeitig unpolitisch und ,.Stimme der Ohnmächtigen" sein zu wollen.

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Das Dilemma dieser Mittelamerikareise lag für Johannes Paul II. darin, gleichzeitig unpolitisch und ,.Stimme der Ohnmächtigen" sein zu wollen.

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Die alte unlösbare Frage, wie sich eine Kirche mit den Übeln der Welt auseinandersetzen und zugleich aus der Politik heraushalten soll, verfolgte Papst Johannes Paul II. auf seiner Reise durch Mittelamerika auf Schritt und Tritt. So hat sein Besuch in Nikaragua am 4. März die Kluft zwischen dÄi naiv-romantischen Revolutionären, auch den katholischen, und jenen politischen und kirchlichen (nicht nur konservativen) Kräften vertieft, die in der Revolution eine neue Diktatur befürchten. Glaubte der Papst, diesen Zwist, der auch die Kirche des Landes spaltet, durch die bloße Aufforderung, sich aller Politik zu enthalten, überwinden zu können?

„Es gibt Fälle, in denen man die Einheit nur rettet, wenn jeder fähig ist, auf eigene Ideen, Pläne und Engagement, einschließlich gute (!), zu verzichten — zumal wenn ihnen der nötige kirchliche Bezug fehlt", so sagte er mit trok-kener Strenge und berief sich dabei auf das „höhere Gut der Gemeinschaft mit dem Bischof, dem Papst und der ganzen Kirche".

Was konnte dies konkret bedeuten für Hunderttausende von erwartungsvollen, zwischen Furcht und Hoffnung hin- und hergerissenen Menschen, unter denen die wenigsten Priester waren?

Hier in Managua, unter den farbig schreienden Plakaten mit dem Revolutionsmärtyrer Sandino, die den Altar fast zu erdrücken schienen, forderte der Papst seinen Klerus auf. das Evangelium

..frei von Deformationen gleich welcher menschlichen Ideologie, gleich welchen politischen Programms" zu verkünden und die Menschen „für das ewige Leben" vorzubereiten.

..Wir wollen in diesem Leben Frieden", unterbrachen ihn darauf Sprechchöre und brachten Hochrufe auf die ..Volksmacht", aber auch auf den von Rechtsextremisten in El Salvador ermordeten Erzbischof Romero aus. „Silenzio - Ruhe", rief seine Stimme über den Platz, auf dem die Gruppen derer, die „Viva el Papa" brüllten, nicht gegen die ßandinisten aufkommen konnten, die ihre Mikrophone an die

Altarlautsprecher angeschlossen hatten.

Schwarz gekleidete Mütter streckten dem Papst die Bilder ihrer in Grenzkämpfen mit Guerillas gefallenen Söhne entgegen -traurige Kindergesichter. Unter den Augen eines fassungslosen, erstarrten Pontifex verwandelte sich der Gottesdienst in eine politische Kundgebung.

Gewiß, der Versuch, den Gast politisch für die Junta zu vereinnahmen, war gescheitert — aber auch die Hoffnung Papst Wojty-las, Einheit und Frieden zu stiften. Da er weiß, wie sehr sein Mittelamerika-Besuch auch als Test für seine geplante Polen-Reise betrachtet wird, hätte er durch ein schlichtes, ganz unpolitisches Gebet für die Toten die Atmosphäre entspannen können. Durch die ungewohnte Kritik verletzt, brachte er dies nicht über sich.

Bei seinem Besuch in El Salvador am 6. März entschloß sich der Papst, gleich mit einem Schritt zu beginnen, von dem ihm die Regierung und auch die meisten Bischöfe des Landes abgeraten hatten — vor allem in dieser Form: Auf den Knien, den Sarkophag umarmend, ehrte er in der Kathedrale den 1980 am Altar erschossenen Bischof Romero, die Symbolfigur der Linken, nicht nur der ni-karaguensischen „Volkskirche". Des eifrigen Hirten Opfer für seine Herde dürfe jedoch für „kein ideologisches Interesse instrumentalisiert werden", fügte er behutsam hinzu.

Klingt aber in den Ohren vieler rechter wie linker Fanatiker Lateinamerikas nicht sogar der Ruf nach Versöhnung, nach Uberwindung von Haß und Gewalt schon wie falsche Ideologie?

Gute Vorsätze besonderer Art bekam der Papst aber auch in Guatemala zu hören. Staatsoberhaupt General Montt, zu einer kalifornischen Sekte übergetreten, wollte den Papst im richtigen Gebrauch der Bibel belehren und verwandelte die protokollarischen Kanonenschüsse auf. dem Flugplatz in ein Feuerwerk, das die Papst-Ansprache fast unhörbar machte.

Vor fast einer halben Million Indios, die oft in tagelangen Fußmärschen nach Qezaltenango gekommen waren, forderte der Papst „in feierlicher Form" die Regierung zu einer „entsprechenden Gesetzgebung" auf, die der eingeborenen Bevölkerung normale Entwicklung und religiöse Freiheit sichern müsse.

Die Menschen, denen der Bote aus Rom begegnet, erwarten keine Wunder. Eben weil er nicht in der Rolle eines ideologischen Heilsverkünders, eines geschäftstüchtigen Medizinverkäufers oder militärischen Nothelfers auftritt, sondern als eine Art Schutzpatron, mobilisiert er ihre Gefühle: als einer, dessen Ohnmacht ihrer eigenen gar nicht so unäl\plich ist.

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