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Schwieriger Hürdenlauf

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Frankreichs problemgeladene wirtschaftliche Situation zwingt Präsident Mitterrand zu einer strengen Stabilisierungspolitik. Diese Politik stößt allerdings auf erhebliche Widerstände: nicht nur im eigenen sozialistischen Lager, sondern auch von Seiten der kommunistischen Regierungspartner.

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Frankreichs problemgeladene wirtschaftliche Situation zwingt Präsident Mitterrand zu einer strengen Stabilisierungspolitik. Diese Politik stößt allerdings auf erhebliche Widerstände: nicht nur im eigenen sozialistischen Lager, sondern auch von Seiten der kommunistischen Regierungspartner.

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Präsident Mitterrand hat den Franzosen versprochen, die globale Steuer- und Soziallast 1985 um einen Punkt zu verringern. Er erteilte gerade allen seinen Ministern die Anweisung, bei der Ausarbeitung des kommenden Haushalts die für die Erfüllung dieses Versprechens notwendigen Einsparungen vorzunehmen.

Dies dürfte umso schwerer fallen, als laufend neue Ausgaben angekündigt werden. Und der Präsident hat vorläufig offensichtlich nicht die Absicht, auf einige kostspielige Prestigeprojekte zu verzichten, noch die durchaus mögliche massive Verringerung des Haushaltes des Kulturministeriums zuzulassen.

Problematisch ist zum Beispiel die Finanzierung eines großzügigen Gedankens des französischen Premierministers, der den überzähligen Arbeitskräften verschiedener Branchen, vor allem der Stahlwerke, der Schiffswerften und der Kohlegruben, einen zweijährigen beruflichen Umstellungsurlaub mit Fortzahlung des Lohnes gewähren will. Die interessierten Unternehmen arbeiten ausnahmslos mit hohen Defiziten. Die Last hätte demnach direkt oder indirekt die Staatskasse zu tragen.

In die gleiche Richtung läuft die von der Regierung unverändert auf Um- oder Abwegen angestrebte Eingliederung der privaten Schulen in ein einheitliches staatliches System. Der erste Schritt wäre die Verbeamtung des Lehrpersonals. Sie verbindet sich zwangsläufig mit zusätzlichen Ausgaben.

Inzwischen ist die Wirtschaftslage alles andere als rosig. Die seit Jahren von allen Regierungen verzögerten Entlassungen sind kaum noch aufzuschieben. Für eine sozialistische Regierung ist es eine sehr bittere Pille, hierfür die Verantwortung zu übernehmen.

Die Stahlindustrie muß voraussichtlich über 30.000 Arbeitskräfte freisetzen, um wieder rentabel arbeiten zu können, die Schiffswerften mindestens 10.000, der Automobilsektor 30.000, die Kohlegruben kaum weniger.

Es wäre falsch, aus diesen Zahlen auf eine mangelnde globale Leistungsfähigkeit der französischen Industrie zu schließen. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Regierung ist ihr Produktionsapparat nicht überaltert. Ihre bedenklichste Schwäche ergibt sich aus einer antiwirtschaftlichen Beschäftigungspolitik.

Die beiden größten französischen Stahlwerke in Dünkirchen und bei Marseille arbeiten durchaus konkurrenzfähig, ebenso wie ein Walzwerk in Lothringen. Daneben gibt es aber eine größere Zahl kleinerer Anlagen, deren Schließung immer wieder verhindert wurde.

Für die Erschöpfung der Kohlevorkommen gibt es andererseits kein Heilmittel, während unter der Krise des Schiffsbaus alle europäischen Länder schwer leiden. Die Automobilindustrie verfügt ihrerseits über eine Reihe neuer, vollautomatisierter Fabriken und würde mit einer geringeren Zahl an Arbeitskräften auskommen als ihr die Regierung aufzwingt.

Die französische Industrie benötigt weit weniger den immer wieder herausgestellten Anschluß an die moderne Technologie als die praktische und nicht nur theoretische Anerkennung der Priorität der Rentabilität. Mitterrand bestätigte ihr übrigens ihre Leistungsfähigkeit mit seiner offiziellen Feststellung, daß sie in den letzten Monaten 1983 im Export einen absoluten Rekord erreicht hat.

Es ist eine Binsenwahrheit, daß die Arbeitslosigkeit allein durch ein stärkeres Wachstum eingedämmt zu werden vermag, allerdings nicht, um dadurch die überzähligen Arbeitsplätze zu retten, sondern um neue anderswo zu schaffen. Hierzu bedarf es ausreichender Investitionen. Sie sind durch die mangelnde Rendite gehemmt, ferner durch eine ebenso scharfe, wie begrenzt wirksame Preiskontrolle und einen unersättlichen staatlichen Dirigismus, der gewiß nicht geeignet ist, das allgemein als unentbehrlich empfundene Vertrauensklima zu schaffen.

Die staatliche Investitionsförderung, insbesondere durch zinsbegünstigte Kredite, verhinderte bisher nur ein weiteres Abgleiten des Investitionsvolumens. Denn die auf diesem Wege bereitgestellten Mittel ersetzen lediglich die früher normal gewesenen Aufwendungen der Unternehmen.

Steigende Arbeitslosigkeit und rückläufige Kaufkraft führen zu Spannungen im Regierungslager. Die Kommunisten haben gerade klar und laut erklärt, daß sie den jetzigen Kurs für verfehlt halten. Ihrer Ansicht nach kann er nur eine Katastrophe auslösen. Sie fordern die Ankurbelung des wirtschaftlichen Wachstums ohne Rücksicht auf das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz und die Rentabilität der Unternehmen.

Nach der These der KPF braucht selbst in den Kohlegruben niemand entlassen zu werden und noch weniger in der immerhin schwerkranken Stahlindustrie. Es fällt nicht leicht zu glauben, daß sie ihre Theorien selbst ernst nehmen. Es geht ihnen offensichtlich vor allem um ein demagogisches Manöver, um die Arbeiter aufzuhetzen, eine soziale Krise auszulösen und ein mögliches Chaos zur Machtergreifung auszunützen.

All dies hindert sie nicht daran, ihr weiteres und unbeschränktes Verbleiben in der Regierung zu verkünden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie auf diese Weise auch versuchen, in der sozialistischen Partei Unruhe zu stiften und einen Kurswechsel zu erzwingen, der Frankreich auf den steinigen Weg des Sozialismus und möglicherweise auch des Kommunismus drängen soll.

Die den Sozialisten nahestehende Linksgewerkschaft CFDT wahrt bereits Distanz gegenüber der Regierung, wenn auch weniger aus politischen Gründen als aus bitterer Verärgerung über die mangelnde Fähigkeit des Premierministers Pierre Maurog, die schon lange drohenden Krisen rechtzeitig einigermaßen zu meistern.

Mitterrand steht nunmehr vor schwerwiegenden politischen Entscheidungen. Er kann sich nicht dauernd von den Kommunisten angreifen lassen, ohne darauf zu reagieren. Er muß auch zur Kenntnis nehmen, daß sein Premierminister in jeder Beziehung verbraucht ist. Er darf sich aber als Vertrauensmann der Kommunisten betrachten. Ein Wechsel verbindet sich daher mit der Gefahr des Bruchs zwischen Mitterrand und den Kommunisten sowie mit der Gefahr sozialer Explosionen.

Dieses Risiko wird sich aber möglicherweise nicht vermeiden lassen. Denn eine Abkehr von der jetzigen strengen Stabilisierungspolitik hätte nicht zuletzt für den Francs bedenkliche Folgen. Mitterrands Horizont ist demnach mit dunklen Wolken verhängt, und jeder seiner Schritte vermag unabsehbare Kettenreaktionen auszulösen.

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