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Sebastian spricht

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Du trauerst, mein Freund. Du sagst, wir hätten den falschen Beruf. Ein Soldat tötet, aber ein Christ tötet nie. Daher kann ein Christ nicht Soldat sein. Du wirst deinen Abschied nehmen. Tu, wie du willst. Ich verstehe dich. Jetzt, da es an mein Sterben geht, weiß ich, daß ich schon vor langer Zeit ebenso hätte handeln sollen. Ande­rerseits: Du kennst mich, bist Offi­zier wie ich. Nie sind wir in einem Kampf gewesen. Immer waren wir Wachsoldaten. Die Leibgarde des Kaisers. Aber hätte irgendein Ver­rückter Diokletian einmal angegrif­fen, hätten wir töten müssen. Also ■war es auch falsch, Soldat der Leib­garde zu sein.

Du kannst deine Stellung noch ändern. Ich nicht mehr. Jetzt weißich, daß es die Gnade les Vaters war und die Liebe meines Herrn Christus, die mich bewahrt haben. Ich werde als Soldat sterben. Lei­der als Soldat. Gott sei Dank, daß ich sterben werde. Ich freue mich, vielleicht schon bald Sein Reich betreten zu dürfen. Ja. Ich freue mich, denn ich habe meine Seele in meinem Leib still gemacht. Wie ein kleines Kind bei der Mutter, so ist sie in meinem Leib und ich f rohlok-ke. Bogenschützen aus Numidien sollen es sein? Wilde Leute aus ei­ner entlegenen Provinz im fernen Afrika. Jedenfalls ist ihre Treffsi­cherheit berühmt. Alles wird bald vorbei sein.

Wenige Minuten später kommt bereits ein dunkelhäutiger numidi-scher Oberst in den Gefängnisraum. Sehr elegant mit einem weißen Umhang über dem mit Silberplätt-chen beschlagenen Waffenrock und mit Beinschienen ebenfalls aus Sil­ber. Kein Gruß Sebastian gegenü­ber. Eine knappe Verbeugung zum Freund. Ein Wink mit der Hand. Sebastian soll mitkommen! Der Freund verliert die Geduld, spricht laut, sagt dem Numidier, daß er gefälligst höflicher sein möge. Schließlich habe er mit Sebastian den Obersten der kaiserlichen Leib­garde vor sich. Nein, antwortet der andere. Das nicht mehr! Bloß ei­nen, der gegen die Gesetze Roms verstieß und es wahrscheinlich noch immer mache. Sebastian beruhigt den Freund. Geht mit dem Numi­dier hinaus.

Es ist klar, wie alles kam, sagt am nächsten Tag der Arzt in einem der Schlafräume im Haus der Witwe des einstigen kaiserlichen Kämme­rers und Märtyrers Kastulus. Er steht neben dem Bett, in dem der verwundete, trotz seiner Schmer­zen lächelnde Sebastian liegt. Es ist klar: Die Treffsicherheit der numi-dischen Bogenschützen ist bekannt. Von ihrem Oberst hatten sie den Auftrag, dich langsam und qual­voll zum Sterben zu bringen. Ein­undzwanzig Pfeile während einer halben Stunde. Die vier besten Schützen der Truppe. Sie waren sorgfältig und erfolgreich bemüht, kein lebenswichtiges Organ zu tref­fen. Sonst hättest du zu früh tot sein können. Blutüberströmt bist du ohnmächtig in den Seilen am Baumstamm gehangen. Schluß! soll der numidische Oberst lachend gesagt haben. Der ist hinüber! Auch ohne letzten Schuß ins Herz hielt man dich für tot. Aber du lebst.

Wozu? fragst du. Es wird sich wei­sen. Aber jetzt, bitte, Ruhe. Deine Wunden müssen erst einmal heilen.

Eine Woche vergeht, und Seba­stian ist kräftig genug, aufzuste­hen. Die ersten Schritte. Noch ein­mal eine Woche, und er verlangt seinen Waffenrock. Der Freund bringt ihn. Dazu den Helm. Was willst du tun? Der Kaiser ist in der Stadt. Man hat es mir berichtet. Heute am Abend wird das Fest­mahl am Ende der Saturnalien gehalten. Diokletian gibt es für seine Mitregenten. Alles, was Rang und Namen hat, wird dort sein. Ich auch. Du bist verrückt, sagt der Freund. Ganz einfach verrückt. Es wäre dein Tod. Vielleicht, antwortet Seba­stian. Oder auch nicht. Man wird sehen. Einen Moment lang ist der Freund sprachlos. Du willst Dio­kletian um Gnade bitten? Willst dich anpassen? Dein Christsein verleug­nen? Den alten Göttern opfern? Sebastian lacht. Das nicht. Aber dem Kaiser sagen, wie wenig klug er handelt mit seinem Verfolgen des neuen Glaubens. Und jetzt kei­ne Belehrungen bitte. Mein Ent­schluß steht fest.

Sebastian bekleidet sich sorgfäl­tig. Erst der dünne weiße Leibrock. Darüber ebenfalls weiß die schma­le Tunika. Dann der Waffenrock mit den vergoldeten Brustplatten.

Mit dem Beginn der Dämmerung verläßt er das Haus der Witwe des Kastulus. Kaum eine Viertelstun­de, und er betritt in seiner Uniform, den Helm unter den linken Arm ge­klemmt, den Palast des Kaisers. Der Waffenrock des Obersten der Leibgarde genügt. Niemand .begreift. Jeder grüßt. Manche verbeugen sich. Dann quer durch den Vorhof. Die wenigen Stufen zum Festsaal. Er tritt ein, und sofort ist es totenstill im Saal. Diokletian springt auf. Noch nie hat er den Kaiser so ent­setzt, so überrascht, so fassungslos gesehen. Die Augen starr, der Mund offen. Die rechte Hand fährt zum Ohr, gleich anschließend über die Haare und wieder zum Ohr. Jetzt sind auch die Mitregenten aufge­standen. Kein Wort fällt. Jeder betrachtet Sebastian. Erst als der Kaiser begreift, daß ein Mann aus Fleisch und Blut vor ihm steht, winkt er dem unerwarteten Gast, näherzukommen.

Ja, mein Kaiser, beginnt Seba­stian. Ich bin es. Der Oberste deiner Leibgarde ist von den Pfeilen der Numidier genesen und kommt, sei­nen Abschied einzureichen. Noch immer vollkommene Stille, und Sebastian legt seinen Helm vor sich auf den Boden, löst langsam die Schnallen des Waffenrockes, legt ihn neben den Helm, steht da in seiner schmalen weißen Tunika. Danach Diokletian zugewandt: Du wirst mich verstehen! Als Oberster deiner Leibgarde ist es meine Pflicht, dich zu beschützen. Würde man dich angreifen, müßte ich tö­ten, wer immer dich bedrängt. Aber ein Christ liebt auch die Feinde. Er kann auch in Verteidigung niemals töten. Niemals! Denn Jesus, der Christus und unser Herr im Reich der Himmel am Thron und eins mit dem Vater und dem Geist, hat uns gesagt, diö andere Wange dem hinzuhalten, der uns schlägt. Diokle­tian begreifst du nicht? Du ver­folgst jene, die deine treues'ten Bürger wären, würdest du ihnen ihren Glauben gestatten.

Denn was ist den Christen aufge­tragen? Was tun sie? Selig die Barm­herzigen, hat Jesus gesagt. Selig, die reinen Herzens den Frieden im Sinn haben. Ihr sollt nicht töten, klar, aber ihr sollt nicht einmal hassen. Nimmt jemand den Mantel, gib ihm den Rock dazu. Wer dich bittet, dem gib. Liebt selbst eure Feinde und Verfolger. Sammelt keine irdischen Schätze, sondern jene, die ihr mitnehmen könnt nach eurem Tod in die himmlische Welt. Sammelt Liebe, Güte, Sanftmut in euren Herzen. Kannst du, mein Kaiser, bessere Bürger haben als jene, die so leben? Nie. Weshalb siehst du nicht, Diokletian, daß du deine besten Untertanen verfolgst?

Der Kaiser scheint ernst. Nach­denklich. Mag sein, sogar betrof­fen. Sebastian meint schon, gewon­nen zu haben. Aber genau in diesem Moment beginnt einer der Mitre­genten laut zu lachen. Die anderen stimmen ein, und die Stimmung des Kaisers schlägt plötzlich um. Die Augen sind jetzt schmal. Wut treibt das Blut ins Gesicht. Eine steile Falte zwischen den Augen.

Rom braucht Männer und nicht Ammen, brüllt er. Diener des Mars braucht das Reich. Und der Venus, sagt einer der Mitregenten. Wie­derum Lachen. Wegen des Solda­tennachwuchses, setzt erfort. Noch mehr Lachen. Der Kaiser noch wütender als zuvor. Was Pfeile nicht konnten, werden Prügel tun! Hin­aus mit ihm und man soll ihn im Vorhof mit Stöcken erschlagen. Wenige Minuten nur, und Seba­stian ist neben seinem Herrn und Bruder bereits auf dem Weg durch die Himmel.

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