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Sechziger Jahre im Hundertkilometertempo

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Die Zeit des Josef Klaus: das 1st, mißt man die Ereignisse nach dem 1. März 1970 bis heute, eine bereits entschwundene Epoche. Und doch: Waren es nicht gerade diese sechziger Jahre, die in Österreich den Ansatz zu einer neuen Phase des innenpolitischen Lebens gaben, die wir nicht mehr missen wollen? Waren diese sechziger Jahre, die an der Regierungsspitze dieses Landes Josef Klaus fanden, nicht jene, die uns den Durchbruch zu einer neuen Phase des Industriestaates westeuropäischen Zuschnitts finden ließen?

Studiert man die (wenn auch nur provisorischen) Volkszählungsergebnisse und zieht die Wirtschaftsdaten heran, dann weiß man, daß dieses Österreich zwischen 1961 und heute so stark verändert wurde wie möglicherweise nie auf evolutionärem Weg in seiner Geschichte.

Nun, Josef Klaus ist mit seiner „Macht und Ohnmacht in Österreich“ vor allem ein ehrlicher Bekenner. Zieht man eine Bilanz, dann ist das die selbstkritischeste Biographie irgendeines berühmten Zeitgenossen. Sie spart nicht mit Kritik an den eigenen Versäumnissen oder Irr- tümem — und versteht sich zu aller Letzt als Rechtfertigung vor der Geschichte.

Wer selbst ein wenig von innen her mitbeobachten durfte, wie in diesen Jahren die Politik für dieses Land gestaltet wurde, der darf dem Autor vor sich selbst in Schutz nehmen: So war es nicht ganz. Verstrickt in die Struktur des ermüdeten eigenen Lagers, bemüht um neue Wege, gehetzt von einer unerbittlichen Opposition — ein Weg, den Josef Klaus vielfach allein ging. Josef Klaus mußte am Ende resignieren, weil er im Grunde ein zu heftiger Revolutionär war — alles andere als ein Konservativer traditionellen Zuschnitts — und ein Mensch, der von den anderen eben das verlangte, was er sich selbst abforderte. Das war die Ohnmacht. Die Macht, dieses Land in seiner Tiefe zu verändern, hatte Josef Klaus nicht.

Der Memoirenband liest sich bei alledem leicht, verständlich und klar. Es wäre tatsächlich wünschbar, würden Politiker ihre Absichten, ihr

Credo und ihre Überlegungen nicht am Ende, sondern am Anfang ihrer Karriere ihren Freunden und dem Volk vorlegen: manches Mißverständnis ließe sich abwenden. Dabei vermeidet es Klaus, allzu viele Namen zu nennen. Er bleibt bei alledem nobel — zu nobel für den exakten Historiker.

Kann Klaus mit diesem Buch sein Image ändern? Ist er noch immer der Messias, der sein zu wollen als Vorwurf zum Standardrepertoire seiner Freunde und Feinde gehört?

Klaus leugnet es. Er habe sich nie als Retter des Vaterlandes gesehen. Vielmehr als „Pionier“, der sich an den Umbau von Staat und Gesellschaft heranwagte. Diese Aufgabe kleidet Klaus zuerst in die Beschreibung seiner Biographie: Mittelschüler in Kärnten, die erste Keilerei auf Hochschulboden, Gewerkschaftssekretär in der Ständestaatära, Soldat an vielen Fronten, Gefangenschaft unter den Amerikanern.

Schließlich Rechtsanwalt im Salzburgischen, politische Mitarbeit, Aufstieg zum Landeshauptmann binnen ganz kurzer Zeit, Finanzminister der Regierung Gorbach, freiwilliger Rücktritt aus Protest gegen

Forderungen an den Staatshaushalt aus den eigenen Reihen, Bundesparteiobmann der ÖVP, nach argen Schwierigkeiten in der bereits berstenden Koalition 1964 endlich Bundeskanzler. Klaus beschreibt diesen Weg zwischen der innerparteilichen „Reform“-Linie der ÖVP und den stets anbrandenden äußeren Schwierigkeiten: zuerst in Salzburg mit der Besatzungsmacht, später als Chef des Finanzressorts in der großen Koalition, schließlich im Kampf um die Macht mit der SPÖ; die glückliche Stunde des 6. März 1966. Und schließlich auch der Abschied von der Macht — die Rückkehr zur Ohnmacht, dorthin, wo sich der Kreis schließt: die Zeit nach dem 1. März 1970.

Klaus ist offensichtlich nicht verbittert. Das erstaunt an einem Politiker seines Zuschnitts. Er verbrennt mit diesem Buch weder Brücken hinter sich noch offenbart er Sensationen. Bleiben sie einem zweiten Buch Vorbehalten?

Was dem Buch aber den Zuschnitt eines Abrisses der sechziger Jahre aus österreichischer Sicht gibt, ist die scharfe Beobachtung und Beschreibung der internationalen Szene, die Klaus gibt. Er skizziert noch immer gängige Vorstellungen von der Mittlerrolle Österreichs in Europa, er stellt seine eigenen Kontakte mit de Gaulle, den Sowjet- führem, Tito und den italienischen Politikern dar. Da geht es um die Integration eines Europas der Vater länder, um den Ost-West-Konflikt, die Auslegung der Neutralität, das Südtirolproblem. Schließlich aber beschreibt Klaus authentisch die Reaktion am Ballhausplatz auf die tschechischen Ereignisse des August 1968. War man in Wien feige? War der harte Vorwurf der Opposition berechtigt? Klaus ist bitter enttäuscht: Man habe sein Verantwortungsbewußtsein falsch ausgelegt, ihm Vorwürfe entgegengeworfen, wo er um die Sicherheit des Landes fürchten mußte.

Eine Zusammenfassung? Klaus resigniert nicht. Schreiben bereitet ihm offensichtlich das gleiche Vergnügen wie regieren.

Seine Zeit war voller neuer Abenteuer. Im Rückspiegel resümiert er: „Ich sehe meine Arbeitstage so ablaufen, als ob ich Expreßzug und Personenzug in einem hätte sein sollen. Es geht leider nicht, im Hundertkilometertempo dahinzurasen und bei jeder kleinen Haltestelle stehenbleiben und dennoch eine große Strecke zurücklegen zu wollen…“

Seine „Freunde in allen Lagern“, denen er das Buch widmete, warten auf das’nächste. Sie werden es ebenso gerne und mit Vergnügen lesen…

MACHT UND OHNMACHT IN ÖSTERREICH. Konfrontationen und Versuche. Von Josef Klaus. Verlag Fritz Molden, Wien. 495 Selten, S 196.—.

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