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Seelisch bereits erschöpft

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Wenn Kinder in Bosnien erfrieren, werden wir dann auch noch auf unsere erschöpfte seelische Aufnahmekapazität pochen? Derzeit befinden sich in Österreich rund 66.000 Flüchtlinge aus „Jugoslawien", davon 25.000 in privater Obhut. Von den restlichen rund 41.000 Flüchtlingen sind 35.700 de-facto-Flüchtlinge und 5.300 Asylwerber in Bundes-betreung. Zum Vergleich: Ungarn hat derzeit offiziell 110.000 Flüchtlinge.

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Wenn Kinder in Bosnien erfrieren, werden wir dann auch noch auf unsere erschöpfte seelische Aufnahmekapazität pochen? Derzeit befinden sich in Österreich rund 66.000 Flüchtlinge aus „Jugoslawien", davon 25.000 in privater Obhut. Von den restlichen rund 41.000 Flüchtlingen sind 35.700 de-facto-Flüchtlinge und 5.300 Asylwerber in Bundes-betreung. Zum Vergleich: Ungarn hat derzeit offiziell 110.000 Flüchtlinge.

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„Die Politiker haben in den letzten zweieinhalb Monaten die Aufnahmekapazitäten Österreichs chronisch falsch eingeschätzt", kritisiert Caritas-Pressereferent Wolfgang Bergmann. Er begründet seine Kritik mit drei Hinweisen:

□ Die Kapazität der Pfarren und Klöster der Erzdiözese Wien sei zwischen Mitte Juli und Mitte September von 1.700 Flüchtlingen auf 2.500 gestiegen.

□ Am 1. Juli habe man die Visumpflicht mit dem Schlagwort, die Aufnahmekapazität sei erschöpft, begründet. Damals betrug die Zahl der de-facto-Flüchtlinge aus Bosnien 19.800. Am 20. Juli seien allerdings bereits 34.000de-facto-Flüchtlinge registriert gewesen. Eine Steigerung um 14.200 Personen, obwohl die Aufnahmekapazität angeblich erschöpft sei.

□ Am 15. September wurde schließlich erklärt, daß man für 7.000 bis 8.000 Menschen aus Großlagern winterfeste Quartiere brauche. Am 18. September aber nur mehr für 3.000. So gesehen, sei es möglich gewesen binnen drei Tage 4.000 bis 5.000 Menschen zu versorgen.

Der Vorsitzende des kirchlichen Arbeitskreises Flüchtlinge, Franz Küberl, fordert, daß die erste Stufe des Katastrophenplans in Kraft treten müsse, um den Flüchtlingen, die weiterhin aus den Kriegsgebieten nach Österreich kommen, helfen zu können. Wenn Innenminister Löschnak bei Caritas-Präsident Helmut Schüller anfragen muß, ob er noch Quartiere für Flüchtlinge frei habe, so könne dies, Küberl wörtlich „nicht Österreichische Flüchtlingshilfepolitik sein". Denn die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sei nach wie vor „wahnsinnig groß" und würde durch einen Krisenstab, in dem staatliche, private und gemeinnützige Hilfseinrichtungen partnerschaftlich zusammenarbeiten, unterstützt werden.

Der Pfarr-Referent der Caritas der Erzdiözese Wien, Norbert Parti, meint, und da stimmen Flüchtlingsbetreuer der Landesregierungen mit ihm überein, daß die Quartierreserven nicht ausgeschöpft sind. Es stünden viele öffentliche Gebäude, wie Dienstwohnungen von Post und Bahn oder Schiquartiere leer, die im Winter Schutzsuchenden Platz bieten könnten.

Derzeit betreuen über 150 Pfarren der Erzdiözese Wien rund 2.300 Menschen aus Bosnien. Trotz der plötzlichen Umstellung, die Flüchtlinge über den Winter behalten zu müssen, haben sich, nach Aussage Partls, rund 90 Prozent der Pfarrgemeinden bereits gut umgestellt.

Die Pfarre Gatterhölzl in der Hohenbergstraße 42 im zwölften Wiener Gemeindebezirk - zum Beispiel - hat 18 Flüchtlinge (vier Familien mit Kindern) seit 5. Juli im Pfarrsaal untergebracht. Da aus heiztechnischen Gründen die Flüchtlinge nicht in diesem Quartier verbleiben können, organisierte die Pfarrgemeinde vier

heizbare Wohncontainer, die - gratis von einer Baufirma zur Verfügung gestellt - im Pfarrgarten aufgestellt werden sollen. Die Finanzierung der Stromversorgung wird noch mit der Gemeinde Wien verhandelt, wobei die Kapuziner in Wien 1 die Kosten für zwei oder drei Container übernehmen werden, für einen Teil der Finanzen wird die Pfarre selbst aufkommen. Irene Kasemann, Flüchtlingsbetreuerin in der Pfarre, berichtet, daß die Stimmung der Pfarrgemeinde gegenüber den Flüchtlingen im allgemeinen sehr gut sei sowie, daß die Betreuung der Flüchtlinge, wie amtliche Wege, Arztbesuche, die Beschaffung von Kleidung gut funktioniere.

Rund 2.100 Flüchtlinge in Wien befinden sich in städtischen beziehungsweise im Auftrag der Stadt Wien geführten Lagern. Man schätzt, daß sich insgesamt 12.000 bis 14.000 bosnische Flüchtlinge in Wien aufhalten, deren Großteil von der gemeinsamen Aktion Bund-Stadt Wien betreut wird. Seit längerer Zeit ist die Stadt Wien bemüht, winterfeste Quartiere für die Flüchtlinge zu finden. Die rund 290 Flüchtlinge in der für den Winter nicht geeigneten Messehalle 33 werden in Räumlichkeiten im 11. und 14. Bezirk untergebracht werden.

Weitere winterfeste Quartiere stehen unter anderem im alten AKH, in einem ehemaligen Hotel im 15. Bezirk, in einer ehemaligen Sonderschule sowie in einem Pavillon des Charlotte-Bühler-Heims im 18. Bezirk zur Verfügung. Von seiten des Rathauses schätzt man, daß bis voraussichtlich nächste Woche alle Flüchtlinge, die Winterquartiere benötigen, untergebracht sein werden. Somit hofft man auf eine Containersiedlung verzichten zu können.

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