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Seelische Wurzeln

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Der 50. Jahrestag der nationalsozialistischen Bücherverbrennung ging nicht unbemerkt vorbei. „Holocaust“ hat offensichtlich die österreichische Jugend doch recht stark für Zeitgeschichte sensibilisiert. Der Beitrag des bekannten Psychoanalytikers Harald Leupold-Löwenthal ist einem anläßlich der Ausstellung über die Bücherverbrennung gehaltenen Vortrag entnommen. Peter Dusek ist Historiker und schrieb eine vielbeachtete Schulfunkserie über „Alltagsfaschismus in Österreich“.

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Der 50. Jahrestag der nationalsozialistischen Bücherverbrennung ging nicht unbemerkt vorbei. „Holocaust“ hat offensichtlich die österreichische Jugend doch recht stark für Zeitgeschichte sensibilisiert. Der Beitrag des bekannten Psychoanalytikers Harald Leupold-Löwenthal ist einem anläßlich der Ausstellung über die Bücherverbrennung gehaltenen Vortrag entnommen. Peter Dusek ist Historiker und schrieb eine vielbeachtete Schulfunkserie über „Alltagsfaschismus in Österreich“.

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Im Herbst 1935 hielt der aus Deutschland emigrierte Psychoanalytiker H. Löwenfeld in Prag einen Vortrag „Zur Psychologie des Faschismus“. Er versuchte mit den Methoden der Psychoanalyse etwas von dem zu begreifen, was sich da in Deutschland abgespielt hatte. Die kampflose „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten hatte erneut die Aufmerksamkeit der Psychoanalytiker auf die ungeheure Bedeutung von Wunschphantasien und kollektiven Illusionen gelenkt, die Freud schon 1921 in seiner Arbeit „Massenpsychologie und Ichanalyse“ beschrieben hatte. Es galt zu verstehen, wie in bestimmten gesellschaftlichen Situationen die Bildung fanatischer Massenbewegungen begünstigt wird.

Die deutsche Niederlage von 1918 hatte eine starke Reduktion deutschen Selbstwertgefühles zur Folge gehabt und auch zu Gefühlen ohnmächtiger Wut besonders nationaler Kreise geführt, die tief an frühe infantile Emotionen im Einzelnen rührten und ihn empfänglich machten für die Führer-Ideologie. In der Identifizierung mit dem Führer konnte das Selbstgefühl wieder gefunden werden. Dabei bot aber der Rassismus noch weitere wertvolle Hilfe, vermochte er doch die wirtschaftliche Not und Erfolglosigkeit des zum Kleinbürgertum herabgesunkenen deutschen Mittelstandes zu mildern.

Bolterauer hat daraufhingewiesen, daß der Mensch besonders begeisterungsfreudig sei, wenn er wegen eines bedrohlichen Identitätsverlustes, also eines unsicher gewordenen Selbstwertgefühles intensiv seine Lebenslage zu verändern wünscht. Sich also danach sehnt, für eine Aufgabe gebraucht zu werden und brauchbar zu sein. „Jeder glaubhafte Appell zum Mitmachen bei einer neuen und kraftvollen Unternehmung zur Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse, die ihn hoffen läßt, auch sein wertloses Leben radikal verändern und wieder wertvoll machen zu können, wird ihn daher viel leichter und rascher als andere Menschen zu unkritischer, begeisterter Zustimmung und zu leidenschaftlicher Gefolgschaft veranlassen.“

Die Kriegs- und Nachkriegserfahrungen der Kleinkinder und Jugendlichen des ersten Weltkrieges haben zu einem großen Teil die Eigenart und den Erfolg des Nationalsozialismus konditioniert. Für diese Altersgruppe ist recht charakteristisch eine Reaktion auf innere Spannung mit nach außen gerichteter Aggression, dann die Projektion aller negativen antisozialen und antinationalen Tendenzen auf Fremde, was sich in nationalem Gebahren und im Rassismus ausdrückte. Sie zeigten fast alle eine sehr geringe Frustrationstoleranz. Aber sie waren nicht nur durch Aggression gekennzeichnet, sondern vor allem auch durch die Sehnsucht nach einem glorifizierten und idealisierten, aber fernen Vater, der allwissend und allmächtig ist. Der unbekannte Frontsoldat des großen Krieges Adolf Hitler bot sich als durchaus ideales Identifikationsobjekt an. Die Identifizierung mit dem Führer, der die Stelle des Ich-Ideals einnimmt, wird erleichtert durch die Uniformierung aller, die im selben „Ehrenkleide“ stecken.

Da es sich aber um eine Projektion persönlicher Konflikte einer Gruppe handelt, formt dies zuletzt auch die Persönlichkeit nachfolgender Generationen mit. Hier ist innerhalb der Familie letztlich aktiv eine Wirksamkeit gegeben: weil der Vater eine Situation akzeptiert hat, wird der Sohn sie durch Identifizierung oder Auflehnung akzeptieren oder ablehnen, seine Einstellung aber unbewußt am Bild des Vaters formen. Hier liegt die psychologische Wurzel der Notwendigkeit dessen, was man Vergangenheitsbewältigung nennt.

Es gehört zu den wichtigsten Ergebnissen der Arbeit Sigmund Freuds und der Psychoanalyse, daß der Nachweis erbracht wurde, daß einige psychische Prozesse im Menschen ihren Ursprung Ursachen verdanken, die dem Individuum unbekannt bleiben und die es nicht vermutet. Freud hat schon 1894 ein solches Sträuben des Ichs gegen das

Bewußtwerden peinlicher oder unerträglicher Vorstellungen und Affekte als Abwehr bezeichnet.

Die prinzipielle Bereitschaft zur Irrationalität und Emotionalität ist nach wie vor gegeben und wir haben auch gerade in Österreich nicht allzuviel getan, um die neuerliche Entwicklung solcher Tendenzen zu verhindern. Manche innenpolitischen Ereignisse des letzten Jahres haben gezeigt, wie sehr und wie leicht der Gegner zum Feind, der Andersdenkende zum Unmenschen werden kann. Die Diskussion um Zwebendorf in allen beteiligten Lagern hat dies deutlich gemacht.

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