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Segen oder Versuchung?

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Mit Hilfe einer Untersuchung des Fruchtwassers kann mit großer Sicherheit festgestellt werden, ob eine schwangere Frau ein gesundes oder ein krankes Kind zur Welt bringen wird. Die Untersuchung wird in Dänemark allen Frauen über 35 angeboten, da bei ihnen die Gefahr eines behinderten Kindes größer ist als bei jungen Frauen. In der 16. Schwangerschaftswoche wird eine Probe des Fruchtwassers entnommen. Durch eine Analyse der Hautzellen, die sich in der Flüssigkeit befinden, können zwei mögliche Schäden festgestellt werden: Rückenmarkschädigung und Chromosomenkrankheiten, die zu Monogolismus führen können. Bei etwa 98 Prozent aller Untersuchungen wird keine Schädigung festgestellt. Die Angst der Mutter, ein krankes Kind zu bekommen, kann genommen werden.

Bei zwei von hundert Untersuchungen stellen die Ärzte fest, daß eine Schädigung wahrscheinlich ist. Dann raten sie zur Abtreibung.

Die Erfahrungen in Dänemark haben gezeigt, daß nahezu alle Frauen lieber riskieren wollen, ein gesundes Kind abzutreiben, als ein krankes zu bekommen. Die Genetikerin Margareta Mikkelsen hat 25 Mütter von mongoliden Kindern gefragt, ob sie ihr Kind hätten abtreiben lassen, wenn sie von der Krankheit gewußt hätten. 24 antworteten ja.

In Norwegen und Schweden haben sich die christlichen Ärztevereinigungen gegen Fruchtwasseruntersuchungen ausgesprochen. In Dä-

nemark sagt die Gynäkologin und Abtreibungsgegnerin Tove Nikiassen: „Ein behindertes Kind kann ebenso willkommen sein wie ein gesundes. Es gibt uns anderen die Möglichkeit, uns zu humaneren Menschen zu entwickeln, die für einander Sorge tragen.“

Kein Wort der Verurteilung gegenüber Frauen, die sich zur Abtreibung entschließen, weil sie glauben, der Belastung eines kranken Kindes nicht gewachsen zu sein! Wer selbst ein gesundes Kind hat, hat leicht reden.

Aber: die neue Methode stürzt jene in ein Dilemma, die ihr Kind bekommen wollen. Trotz Handicap (von dem man nie weiß, wie stark es sein wird). Denn schon hat man zu rechnen begonnen. Die Fruchtwasseruntersuchungen sind teuer, sie kosten heute noch 175.000 Kronen, ist die Auskunft eines Arztes. Aber diese Summen sind nichts im Vergleich zu den Ausgaben, die dem Staat durch ein behindertes Kind entstehen ... Die Massenmedien geben die Aussage weiter. Ohne Wort der Kritik.

Merk es dir, Frau: Du bist die schlechtere Staatsbürgerin, wenn du dein Kind bekommen möchtest. Denn durch deine dumme Entscheidung machst du dem Staat unnötige Kosten!

Wird es später überhaupt noch möglich sein, die Abtreibung abzulehnen? Wird man überhaupt noch Institutionen für die Behinderten bauen, wenn man doch deren Geburt verhindern kann?

Eben hat die Gemeinde Kopenhagen neun Millionen Kronen bewilligt, um zwei Buben von einer gefährlichen Bluterkrankheit heilen zu lassen. Doch auch diese Krankheit kann man künftig schon während der Schwangerschaft feststellen. „Es wird das letzte Mal sein, daß diese Krankheit geheilt werden muß“, schrieb Dänemarks auflagenstärkste Morgenzeitung, „denn künftig können die Mütter solcher Kinder eine Abtreibung vornehmen lassen.“

Wer dann noch kranke Kinder bekommt, ist selbst schuld. Millionen für die Heilung wird's keine mehr geben.

Es ist immer dasselbe: Statt Schutz und Hilfe für die Frau in ihrer schwierigen Lage - Druck von außen. Sie soll sich gefälligtst entscheiden, wie es vernünftig ist.

Vielleicht wird die Fruchtwasseruntersuchung einmal dazu führen, daß man kranke Embryos schon im Mutterleib behandeln und heilen kann. Dann wäre die Methode ein Segen. Heute dient sie nicht der Therapie, nur der Diagnose. Nicht die Krankheit wird vernichtet, sondern der Kranke. Bekämpft wird, was außerhalb der Norm liegt, was Unannehmlichkeiten schafft, Sorgen, Herausforderung.

Keine Behinderten mehr. Niemand mehr, der Hilfe braucht, uneigennützige Liebe. Nur noch perfekte Menschen. Ein kaltes Zeitalter. Der Weg zur perfekten Menschenrasse führt über die Vernichtung derer, die anders sind.

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