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Sehnsucht nach dem Einzigen

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Unter den deutschen Dichtem ist einer besonders ausgezeichnet mit der Begabung, Größe und Bedrohung des Menschen zu schauen, seine Zerrissenheit, das Leben seines Geistes und seines Gefühls zwischen Ergriffenheit vom Göttlichen und tödlichem Titanismus, zwischen Einsicht, daß wir an Grenzen Gebundene sind und einer Sehnsucht, die ins Ungebundene geht: Friedrich Hölderlin. Es ist nicht zu verwundern, daß ihn, den auch menschlich anziehendsten der Dichter, die deutsche Theaterszene kurz-

vergangener Tage zum Versuch auserwählt hat,*den Schwerzufassenden in Richtung der eigenen eindimensionalen Aggressionen zu deuten.

Hölderlins letzte große Dichtungen vor seiner Umnachtung sind dem Versuch gewidmet, das Wesen des Deutschen zu deuten und den Bezug der Menschheit zu Christus und dem Bereich des Göttlichen. Vielsagend die Überschrift eines Hymnus: „Der Einzige“. Darin war Hölderlin unvergleichlich Mensch: wahrnehmungsfähig im Blick auf alles, was an gestaltenden Kräften in der Welt ist, bewundernd, aber doch auch sorgend. Fühlend die geheimsten Regungen, ergriffen von der Fülle der Wirklichkeit. Und dann dies Wort, am Ende schmerzvoller Bewußtwerdung der Wirklichkeit und seiner selbst: der Einzige.

Es hänget aber an Einem

Die Liebe.

Doppeldeutung im Hymnus, wessen Liebe an dem Einen hängt: die des Vaters, von dem Hölderlin weiß, daß alles Göttliche auf Erden von ihm stammt oder die Hölderlins selbst, der unter den vielen Göttlichen den Einen, Einzigen sucht. Eindeutig aber, wer der Eine ist: Christus.

Zu den Zeiten des Dichters galt es zu überlegen, ob Entscheidungen getroffen werden müssen zwischen dem Titanischen und dem Dionysischen einerseits und Christus andererseits. Für Hölderlin gibt es da nun nicht einfach den Gegensatz. Für ihn, der doch in seinen Studienjahren mit den berühmten Gefährten den frühen Horizont erster Erziehung so geweitet hat, ist Christus Vollender. Im Vollenden schwingt aber auch etwas für die Welt Bedrohliches mit: in einer Variante des Hymnus aus späterer Zeit heißt es: „Christus aber ist das Ende“. Eben dies entspricht ihm, der „der Einzige“ ist, daß er, wenn er kommt, Vorläufiges endet.

Das ist ja der Sinn der Schrift und der großen ökumenischen Konzilien: in ihm hat sich Gottes Of

, aber auch über das Wesen der Welt werden wir nichts Neues mehr erfahren. Seit Christus ist letzte Zeit. Begreifen wir solches als die Last und die Freiheit, die es bedeutet?

Das Neue, Vollendend-Endende, das Christus bringt nach den Göttern, aber auch gegen den Unwillen der Menschen, begrenzte Kreatur zu sein („Nämlich immer jauchzet die Welt hinweg von dieser Erde“) ist dies: „Christus aber bescheidet sich selbst“. Erinnern diese einfachen Sätze (spätere Variante) nicht an den Römerbrief, in welchem Paulus den Gehorsam Christi dem Ungehorsam Adams gegenüberstellt und damit die Sündengeschichte der Menschheit beschwört, die eine Geschichte des Unwillens ist, sich selbst in ihrer Kreatür- lichkeit vor Gott anzunehmen?

Nicht ohne Grund schließt jedes Gebet mit dem Wort Amen. Nicht ohne Folgen ist Gedankenlosigkeit im Sprechen des Amen - eine Entleerungsgeschichte christlichen liturgischen Sprechens und christlichen Existenzverständnisses gleicherweise. Am Ende ist nur noch Ironie, nur noch Hohn möglich: Amen - als hämisches Echo auf die vermeintliche Blödigkeit des Christens noch irgendetwas als Fügung, als Geschick zu nehmen. „Könnten wir doch noch einmal in einer .zweiten Naivität“ (Paul Ri- coeur) nach leidendem Durchdenken und Durchleben weniger unveränderlicher Wahrheiten Worte sagen, in denen wir selbst sagen, uns, unser Leben, ‘ die Erfahrung unseres Daseins, unseres Glaubens.

Und noch etwas sagt Hölderlin von dem Neuen Christi, das doch auch Erfüllung langer Sehnsucht der Menschheit ist. Das Neue gegen das Gewohnte der Gewalttätigkeit, des Forderns, des Verlanges von Menschen und Göttern. Im Entwurf zu einer anderen Hymne steht:

… und gewaltet über

Den Menschen hat, statt anderer

Gottheit, sie,

Die allvergessende Liebe.

Wer kann es ermessen, was in diesem Wort mitschwingt: „allvergessende“. Vergessen die Ansprüche auf Macht, Ehre, Anerkennung, Durchsetzung, widerfahrene Gerechtigkeit, Rechtbehalten, Triumphator des Wissens zu sein, Sieger in den Kämpfen dieser Welt. Das Hohelied der Liebe im 13. Kapitel des Römerbriefes, das die Liebe schildert, die alles hofft, alles glaubt, alles duldet, ist, zu einem Wort „gedichtet“, allvergessende Liebe.

Der Christ lebt in einer unvollendeten Welt, er lebt in einer Geschichte, deren Gang und Ausgang menschlich nicht zu ergründen ist. Der Christ will sich als Mensch behaupten wie die anderen Menschen auch und auch die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden will dies. So ist es und so soll es, weltlich gesprochen, auch sein. Gegen diesen Willen kann die Welt nicht Einspruch erheben. Dieser Wille beruft sich doch auf das natürliche Gesetz dieser Zeitlichkeit, dieser Welt.

Vielleicht bedürfen die Götter und Götzen dieser Restzeit, die waltet, weil „letzte Zeit“ noch verhüllt ist, des Widerstandes auch auf Ebenen, die die ihren sind - damit sie auch in der Restzeit nicht übermächtig werden. Aber Kampf in dieser Weise bedeutet Vermischung, bedeutet sogar Anteil an der Sünde. Unvermeidbar - wer weiß es? Ein Geheimnis, dies auch.

Die Götter und Götzen sind vom Olymp und von den Altären gestiegen, die Titanen der Erde entfremdet. Ihr Ort sind Laboratorien, Konferenzsäle, Parteikanzleien, Hotels, vor allem Warenhäuser und manchmal auch Gefängniszellen. Oder so: alle Orte sind Teile einer Welt, die selbst zu einem gewaltigen Warenhaus geworden ist, wo es die großen Angebote gibt: Plastikschüsseln und Konserven und östliche Meditationsübungen. Wir bedienen uns nach Gelüst. Erlebnis vielleicht, oder auch Beruhigung, Ver- Tröstung manchmal.

Es hänget aber an einem

Die Liebe.

Das wird wohl das Gesetz der Liebe sein. Wie ihn finden in der Warenhauswüste Welt, jener Herberge, in der für ihn kein Platz ist? Suche der Seele nach dem Einzigen wie die Suche der Braut des Canticum Salomonis. Wie arm werden wir, wird jeder von uns werden müssen, wie groß die Wüste, wie tief die Nacht, wie entleert das Herz, um ihn zu finden? Und dies sollten wir bedenken: Läßt er, de r Einzige, sich von uns finden - wird er, der waltet über uns „statt anderer Gottheit“, nicht auch der Richter unserer Herzen sein als die „allvergessende Liebe“? So wird es sein müssen. Damit wir, wenn wir „den Einzigen“ gefunden haben, uns, erneut, auf den Weg machen zu „den Vielen“, und in jedem der vielen den Einzigen suchen. Wanderschaft der Seele - Wanderschaft der Kirche.

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