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Sehr informativ, aber nicht beruhigend

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Bischofsernennungen wurden ein beliebtes Objekt der kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung. Das neue Buch von FURCHE-Redak-teur Heiner Boberski überliefert der Nachwelt ein Stimmungsbild.

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Bischofsernennungen wurden ein beliebtes Objekt der kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung. Das neue Buch von FURCHE-Redak-teur Heiner Boberski überliefert der Nachwelt ein Stimmungsbild.

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Es ist legitim und gut, die Bischofsernennungen unter einem Pontifikat in Augenschein zu nehmen, nachzufragen, nach welchen Gesichtspunkten sie vorgenommen werden, und, sofern man Strukturen findet, diese auch darzulegen. Seitdem der Heilige Stuhl die Bischofsernennungen so konsequent an sich gezogen hat, sind Bischöfe und Bischofsernennungen verstärkt in den Blick des öffentlichen Interesses gerückt und vor allem ein beliebtes Objekt der kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung geworden. Wie der Autor ausdrücklich vermerkt, will seine Studie wohl ein Beitrag zur Kirchengeschichte sein, aber kein wissenschaftliches Buch darstellen.

Die von Boberski (S. 243) gegebene Analyse scheint mir ausgewogen wie plausibel: „Warum, werden manche fragen, nehmen der Papst und die Kurie die oft vorhersehbaren Konflikte nach Ernennungen in Kauf? Die Antwort der Kirchengegner ist klar: Weil die Kirche in erster Linie ein Machtapparat ist und es den Macht-habern nur darum geht, ihre Macht zu sichern. Nüchterne Theologen bestreiten den Aspekt Macht nicht, setzen aber in ihrer Antwort einen anderen Hauptakzent. Sie glauben, daß der Vatikan vorwiegend aus Angst so handelt, weil er von allen Seiten mit Zuschriften jener überhäuft wird, die sorgenvoll den Zusammenbruch der Kirche vorhersagen, wenn man nicht zum .Altbewährten' zurückkehre."

Wenn der Heilige Stuhl frei die Bischöfe ernennt, dann erscheint es als logische Konsequenz, daß jeder Papst sein Bischofsbild bei der Bischofskreation auch zum Tragen bringen will analog zur Kardinalskreation. Wenn der Papst die Kriterien vorgibt, nach denen bei der Kandidatenauswahl vorzugehen ist, dann prägt natürlich jeder Pontifikat seine Bischofsmannschaft, und der Pontifi-katswechsel kann sehr rasch zum Wechsel des Bischofsbildes führen. Ein langer Pontifikat könnte damit zur geistig-theologischen Uniformierung im Bischofskollegium beitragen. Bei kommenden Konklaven wird die personalpolitische Tendenz und das Bischofsbild eines „Papabilis" wahrscheinlich eine Rolle spielen, wobei die Mannigfaltigkeit und plurales Denken hinterfragt werden wird. Je kürzer wiederum ein Pontifikat ist, desto stärker können sich Lobbies etablieren, die nach ihrem Kirchenbild die Bischofskreationen bestimmen.

Boberski vermerkt zu Recht, „daß keine Form der Bischofsbestellung die Garantie bietet, einen wirklich guten Bischof zu bekommen, zumal sich jeder Mensch - und auch ein Bischof ist ein Mensch - noch ändern kann, zum Positiven, aber auch zum Negativen" (S. 250). Sollte jemand behaupten wollen, daß der Heilige Stuhl allein deshalb die Bischöfe frei ernennen müsse, weil nur dadurch deren Qualität gewährleistet sei, dann hätte er die Geschichtserfahrung nicht für sich.

Sollte der Papst tatsächlich ein neues Konzil zu bestimmten Themen planen (S 243ff.), dann ist dies genauso sein gutes Recht wie es bei Johannes XXIII. war; viele Probleme stehen an, man denke bloß an den Priestermangel. Aber wenn man - wie der von Boberski zitierte Papst-Biograph Juan Arias - Johannes Paul II. unterstellen wollte, er strebe aus persönlichem Ehrgeiz nach einem neuen Konzil, um nicht ständig das II. Vatikanum zitieren zu müssen, an dem er zwar mit all seinen Kräften beteiligt war, „das aber der Geschichte zweier anderer Päpste zuzurechnen ist" (S. 244), dann müssen stringente Argumente angeführt werden. Im übrigen hat das II. Vatikanum zur Genüge gezeigt, daß ein Konzil von heutiger Größenordnung sehr rasch Eigendynamik entwickelt und der Geist zu wehen beginnt, wo er will.

Boberskis Buch ist sehr informativ und mit viel Akribie erarbeitet. Wohltuend selbstkritisch hält er auch fest, daß seine Bilanz der bisherigen Bischofsernennungen des jetzigen Pon-tiftkates „keine ganz objektiven, wissenschaftlich abgesicherten Antworten" sein können und weiter: „Natürlich fließen in sie die subjektive Meinung des Autors, sein persönliches Bild von katholischer Kirche und christlichem Glauben ein" (S. 237).

Die Absicht, die der Autor mit seinem Buch verfolgt, definiert er mit „keinesfalls Polarisierungen in der Kirche zu fördern, denn es geht nicht um eine Einteilung der Bischöfe in ,Gute' und ,Böse', sondern um die Zuordnung zu einem bestimmten Kirchenbild und um ihre Akzeptanz in ihrer Diözese, soweit das einigermaßen objektiv darstellbar ist". Auch vieles, was um Bischöfe und Bischofsernennungen geredet wurde und wird, hält Boberski fest (S 57ff.), damit wird ein Stimmungsbild festgeschrieben und der Nachwelt überliefert. Das sichtliche Bemühen, auch Alltagsgeschichte einfließen zu lassen, droht aber in der vorhandenen Polarisierung die Schraube eher weiterzudrehen als zu kalmieren.

Solange die Archive, insbesondere das Vatikanische Archiv, nicht offen und die entsprechenden Dossiers nicht zugänglich sind, die den einen Kandidaten zum Bischof prädestinierten und den anderen dieses begehrte Amt verwehrten, müssen wir mit Behauptungen, aber selbst mit Thesen vorsichtig sein. Was den Wert der detaillierten Recherchen, die Boberski nicht zuletzt im Bereich der Dritten Welt angestellt hat, weder mindert noch in Frage stellt.

Die beliebte Behauptung, daß Kaiser Franz Joseph I. sein Exklusive beim Konklave 1903 wirkungsvoll eingesetzt hat (S. 20),(möchte ich so nicht unwidersprochen lassen. Es gibt ernstzunehmende Untersuchungen, die diesem kaiserlichen Veto gegen Rampolla keine entscheidende Bedeutung im Konklavegeschehen beimessen, weil dieser ohnehin keine Chance mehr gehabt hatte.

Der oft zitierte Grundsatz „In ne-cessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus Caritas" ist kein Wort des heiligen Augustinus (S. 250), sondern stammt vom protestantischen Theologen Peter Meiderlin aus Augsburg Anfang des 17. Jahrhunderts. Das Inhaltsverzeichnis hätte detaillierter gestaltet werden können, das Buch hätte gewonnen, wären in ihm auch die Unterkapitel ausgewiesen worden.

Wer sich für kirchliche Zeitgeschichte interessiert, wird zu diesem Buch greifen, es ist journalistisch gekonnt geschrieben, es ist spannend, pointiert, anregend und informativ, aber nicht unparteiisch und beruhigend.

Univ.-Prof. Dr. Maximilian Liebmann ist Ordinarius für Kirchengeschichte an der Universität Graz und derzeit Dekan der dortigen Katholisch-Theologischen Fakultät. DIE DIVISIONÄRE DES PAPSTES. Bischofs-ernennungen unter Johannes Paul II. Von Heiner Boberski. Verlag Otto Müller, Salzburg 1992. 344 Seiten, öS 298,-.

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