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Sehr teuer und nicht ungefährlich

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Beachtlichen Fortschritt gab es bei der Rauchfilterung. Ist Müllverbrennung also dank neuer Technik ökologisch akzeptabel?

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Beachtlichen Fortschritt gab es bei der Rauchfilterung. Ist Müllverbrennung also dank neuer Technik ökologisch akzeptabel?

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Die Industriegesellschaft steht vor einem Dilemma: Weiterhin wachsende Müllberge stehen einem großen Widerwillen der Bevölkerung, neue Deponien im Umfeld des eigenen Lebensbereiches errichten zu lassen, gegenüber. Die vielen bekanntgewordenen Grundwasserverseuchungen erklären diese Skepsis.

Neue Deponien werden also kaum bewilligt und die alten rascher als erwartet gefüllt. Reduzierung der Abfallmenge ist daher eine zentrale Forderung. Sie wird einerseits durchgetrenntes Sammeln und Forcieren der Wiederverwertung angestrebt.

Ein anderer Zugang wäre die Verbrennung des Mülls. Die unsortierten Abfälle werden nämlich durch dieses Verfahren auf beachtliche 20 bis 30 Prozent ihres ursprünglichen Volumens verringert. Das ist natürlich verlockend. Als weiterer Vorteil wird ins Treffen geführt, daß der Energiegehalt der Abfälle genutzt werden kann.

Wie funktioniert nun aber die Müllverbrennung? In einem etwa einstündigen Verbrennungsvorgang soll der Müll bei ausreichender Luftzufuhr und hohen Temperaturen zu festen Rückständen, Kohlendioxid und Wasser umgewandelt werden. Dabei schlucken Müllverbrennungsanlagen alles mit Ausnahme von Bauschutt, mineralischen Massenabfällen und Sondermüll.

Diesen positiven Aspekten stehen schwerwiegende Probleme gegenüber. Vor allem um den Schadstoffgehalt der Abluft geht es. Zwar werden zur Rauchgasreinigung Aktivkohlefilter eingesetzt und durch Optimierung der Verbrennungstemperaturen versucht man, den Schad-stoffgehalt möglichst niedrig zu halten - aber reicht das?

Ja, sagen die Befürworter der Verbrennung. Die Verbrennungsprodukte enthielten sogar weniger hochgiftige Dioxine und Furane als der Müll vor seiner Verbrennung. Umweltschützer halten dem entgegen, daß Dioxine zum Teil ja erst bei der Verbrennung entstünden.

Darauf weist etwa Eva Wußing in einer Arbeit über Müllverbrennung hin: „Werden all diese verschiedenen Müllsorten nun verbrannt, entstehen auch bei Einhaltung der neuen... ,Grenzwerte' von 0,1 Nano-gramm (ng) TE Dioxin je Kubikmeter Abgase rund 600 ng TE Dioxin verbranntem Müll, bei Einbeziehung üblicher Störfälle jedoch mindestens das Fünffache. Hinzu kommen aber noch mindestens weitere 5.400 ng TE Dioxin pro Tonne verbranntem Müll, die im Aktivkohle-Filter zurückgehalten werden (sollen). Dabei stellt sich das Problem, daß die Filter nur solange funktionieren, bis sie ,zu' sind - und dieser Zeitpunkt kann ,verpaßt' werden und ist nicht regelbar'. (Auszug aus:

„Wechselwirkung" Feb. 1993)

Problematisch ist also die Dioxinbildung im Zuge der Verbrennung, problematisch auch ihre Filterung. Weiters bereitet die Entsorgung dieser Filter Probleme. Dabei würden -so Wußing - abermals zehn Prozent der Dioxin-Menge des Mülls an die Abluft abgegeben - und: „Was beim Verbrennen des Aktivkohlefilters mit den darin ebenfalls angesammelten, erheblichen Mengen an Quecksilber (ca 3 Gramm je Tonne (g/t) Müll) und Hexachlorbenzol (ca 1 mg/t Müll) geschieht, darüber wird geschwiegen."

Um die Dioxinbelastung möglichst zu reduzieren, wird eine Nachverbrennung der Gase eingerichtet. Das ist allerdings ein energie- und sehr kostenaufwendiges Verfahren. Pro Tonne verbrannten Mülls sollen rund 50 Kilo hochbelastete Filterstäube anfallen. Sie dürften Dioxin in der Größenordnung von 6.500 bis 65.000 ng je Tonne verbrannten Mülls enthalten. Diese Stäube müssen wegen ihres Giftgehalts in besonderen Deponien gelagert werden.

Weiters ist folgendes zu bedenken: Je komplizierter eine Technologie ist, umso störungsanfälliger wird sie zwangsläufig. Das gilt selbstverständlich auch für die Müllverbrennung.

So können Gewebefilter Haarrisse ausbilden, einen Normalbetrieb vortäuschen und dennoch ein vielfaches an Emissionen freigeben. Weil sich

der angelieferte Müll in seiner Zusammensetzung dauernd ändert, ist die Kontrolle der Vorgangs schwierig und die Bildung der Stoffe unvorhersehbar.

„Insgesamt wird durch Müllverbrennungsanlagen und andere Verbrennungsprozesse die Dioxin-Belastung der Biosphäre kontinuierlich erhöht, wobei Müllverbrennung die größte Dioxin-Quelle ist," stellt Wußing fest.

Weiters wird der Müll Verbrennung vorgeworfen, sie sei eine teure Form der Entsorgung. Eine anspruchsvolle Technik treibt die Investitionen enorm in die Höhe, sodaß die Gesamtkosten der Müllverbrennung ein Vielfaches jener der Deponierung ausmachen.

Die hohen Fixkosten verhindern darüber hinaus auch, daß Druck auf die Müllvermeidung entsteht. Sobald nämlich eine Anlage in Betrieb ist, muß man sie gleichmäßig mit brennbarem Müll versorgen, sonst muß mit Stützfeuerung (Erdgas oder Heizöl) gefahren werden. Auch das getrennte Sammeln brennbarer Stoffe wird nicht gern gesehen. Denn was soll die Müllverbrennung, wenn nur Unbrennbares angeliefert wird?

So erweist sich die Müllverbrennung als Technik, die zweifellos in der jüngsten Vergangenheit große Fortschritte gemacht hat, die aber alle Nachteile der Großtechnologie aufweist: örtliche Konzentration von Nebenwirkungen, schwere Be-herrschbarkeit hochkomplexer, nicht vollständig durchschauter Vorgänge und damit Erzeugung neuer Umweltbelastungen, hoher Fixkosten-anteil und damit geringe Bereitschaft, eine einmal eingeschlagene Strategie zu ändern.

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