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Seine Filme sind mehr als nur Ideen. Sie sind Kunst, die für die Gesellschaft lebensnotwendig ist. Zanussi deklariert sich als „Me-taphysiker“ unter den Filmemachern.Das Leben als Privileg

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Krzysztof Zanussi, neben Roman Polanski und Andrzej Waj-da wohl der bekannteste polnische Filmregisseur der Gegenwart, wird in Österreich sowohl im Fernsehen als auch in^den Kinos stiefmütterlich behandelt. Daß der Produzent seines letzten Films „Paradigma“ den Einladungsbrief zur diesjährigen Vien-nale verschmissen hat, ist nur eine unglückliche Ergänzung in diesem Reigen der Nichtpräsenta-tiön.

In Graz hatte das Kinopublikum Ende April erstmals die Möglichkeit, mehrere Filme des polnischen Filmregisseurs und

Zanussi selbst anläßlich einer Filmwoche — veranstaltet vom Fümreferat und Bildungswerk der Diözese Graz-Seckau und vom Club (M) — besser kennenzulernen.

Was auffällt ist die starke Wechselwirkung zwischen der Biographie Zanussis und seinen Filmen. Wie die Protagonisten in mehreren seiner Filme hat Zanussi selbst sich länger mit naturwissenschaftlichen Fragen (er studierte Physik) und mit Philosophiebeschäftigt, ehe er zum Film kam. Und das eher zufällig, aber „Zufall ist etwas Geheimnisvolles“. Und warum gerade Film? Weil er feststellen mußte, daß er mit Hilfe des Films umfassender das ausdrücken kann, was er sagen will.

In den Filmen „Imperativ“, „Illumination“ und „Constans“ wird mit Wahrscheinlichkeit und Zufall spekuliert — der Mathematiker baut sich seine „Spielregeln“ selbst zusammen, sie funktionieren auch. Aber Antworten? Die gibt es letztlich in Zanussis Filmen nicht. Er zeigt nur mögliche Wege auf offene Ziele. Denn vor jeder Antwort, vor jeder Wahrscheinlichkeit, die zur Gewißheit wird, steht das einzige Ziel, das man im Leben mit Bestimmtheit aussprechen kann: der Tod. Um die Angst und Erfahrung des Todes kommt Zanussi in all seinen Filmen kaum umhin: „Das Leben ist nicht ein Recht, sondern ein Privüeg, etwas Außergewöhnliches und nicht die Regel.“

Der Mensch hat nur das eine Le-ben,und die Frage, die Zanussi angesichts dieser Tatsache stellt, ist: Was macht der Mensch daraus? Wie nützt er sein Leben? Und Za-

nussi kommt zum paradoxen Schluß, daß der Mensch, der in totalitären Systemen lebt, derzeit mehr Chancen auf eine innere Freiheit hat als der Mensch im Westen. Denn der Mensch, der unter Druck steht, muß sich rascher und eindeutiger entscheiden. Und die Menschen im Westen nützen ihre Chancen und ihre Privilegien zuwenig.

In seinen Filmen „Wege in der Nacht“ und „Das Jahr der ruhenden Sonne“ kommt diese Diskrepanz indirekt auch zum Ausdruck: da gibt es kaum Verständigung zwischen dem „westlichen“ und dem „östlichen“ Menschen, die Zanussi auch historisch verwurzelt sieht: Polen ist durch seine Lage dem östlich-byzantinischen Kultur kreis näher und damit in seinem Denken und Leben mehr der Spannung von Kontemplation und Aktion ausgesetzt als er es im Westen sieht.

Zanussis Filme könnte man auch als „metaphysische“ Filme bezeichnen. Die Fragen der Protagonisten nach Gott sind nicht zu überhören, und Zanussi selbst meint, daß man das Leben ohne eschatologische Perspektive nicht wirklich schätzen und würdigen kann. Also eine Art „Kino der Ideen“, in dem religiöse, ethische und moralische Fragestellungen im Vordergrund stehen?

Es geht nicht, so Zanussi, darum, Ideen direkt in den Filmen ersichtlich zu machen. Das wäre zu vordergründig und zu einfach. Uber den Ideen steht das Ganze des Films, seine Sprache, seine Bilder und die Beziehung dieser beiden Elemente zueinander. Es ist, wenn man so will, das künstlerische Element, das zu einer Aussage hinführen kann. Und Kunst, die mehr als nur Idee ist, ist für die Gesellschaft lebensnotwendig.

In der Publikumsdiskussion steht eine Dame auf und bedankt sich bei Zanussi für seine Filme mit den Worten: „Wir brauchen solche Filme.“ Ausdruck dieser Sehnsucht nach dem Lebensmittel „Kunst“ oder zu rasch gefundener Hafen eigener Wünsche?

Zanussi, als Pole der katholischen Tradition nicht fernstehend, hat ja auch eine „Biographie“ des derzeitigen Papstes gedreht („Aus einem fernen Land“). Dieser Film, den er als Pole ge- . dreht hat, wie er mehrmals betonte, hat allzu voreilig die Antwort auf die Frage projiziert, ob er sich als Katnonscher Filmemacher fühle. Dazu Zanussi wörtlich:

„Es ist offensichtlich, daß mei-

ne Tradition stark mit katholischer Kultur verbunden ist, mit katholischer Kultur polnischer Art, was ganz unterschiedlich von deutscher, österreichischer oder französischer Art ist. Aber ich habe Angst davor und ärgere mich, wenn mir jemand eine Etikette gibt. Ich glaube, daß wir Katholiken, Protestanten oder Orthodoxe in unserem Bewußtsein, in unserem Gewissen sein können. Aber nicht in unserem Beruf.

Für einen Künstler kann eine Schöpfung nicht katholisch oder irgendwie anders beschrieben sein, höchstens christlich, vielleicht spiritualistisch, weil ein Werk nie so spezifisch ist. Es gibt Momente, wo der Schaffende sich vielleicht als Katholik schildern kann, aber das dauert Sekunden, vielleicht Minuten. Wenn die Leute sagen, ich bin ein katholischer Schriftsteller, was soll das bedeuten? Daß jedes Wort, das ich schreibe, katholisch ist? Das ist komisch und ein Widerspruch in sich. Was man in meinen Filmen findet, kann oft geistig gesehen in katholischer Tradition Parallelen finden oder in ihrer Nähe sein. Aber das ist alles, was ich deklarieren kann, dessen ich mir bewußt bin. Der Rest ist ganz offen, und das kann man nicht selbst deklarieren. Aber das ist eine große Einladung zum Mißbrauch.

In meinem Land, wo der Marxismus eine Staatsreligion, eine Staatsideologie ist, reicht es zu sagen, ich bin ein Revolutionär und Marxist,und sie können sofort ein Staatskünstler werden. In katholischen Staaten genügt es vermutlich zu sagen, man sei ein katholischer Künstler. Das alles hat Tradition und viel mit Geld und Macht zu tun, sodaß ich mich zur Wehr setzen muß. Was meine eigene, ständige Suche ist, ist eine andere Frage. Und das können Sie in meiner Arbeit finden.

Sicher, ich habe ein starkes Interesse an der Religion, an der Unendlichkeit. Das hat damit zu tun, daß ich Mathematik studierte, und da ist dieses Wort nur ein Schritt zwischen Kalkül und einem Begriff von Gott. Das ist, was ich deklarieren kann, aber ich habe Angst, etwas mehr zu sagen.“

Mag. Franz Grabner, geb. 1955, ist Bildungsreferent der Katholischen Hochschulgemein-de Graz und Filmreferent der Diözese Graz-Seckau.

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