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Sekte und Machtelite

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Wie das Christentum hat auch der Islam verschiedenste Ausformungen erfahren und ist in viele Sekten aufgespalten.

Meist basieren die Unterschiede eher auf prä-islamischen Traditionen der Völker und Regionen denn auf theologischen Differenzen. Eine Ausnahme büdet die alawitische Minderheit Syriens: diese extreme semitische Sekte vereinigt Elemente des Heiden-und Christentums mit der Siebe-ner-Schia.

Die in den Bergen nördlich des Libanon, im Nordwesten Syriens beheimateten Alawiten oder Nu-sairier stellen auch ethnisch einen eigenen Volksstamm dar. Mit den ebenfalls semitischen, in der Region lebenden Drusen verbindet die Alawiten eine Art Geheimbündelei. Ihnen gemeinsam ist die Pflicht, das „Wissen“ geheimzuhalten, und das Recht, den Glauben vor Fremden zu verheimlichen.

Die Religion der Alawiten wurzelt in der Naturreligion, von der sie die Anbetung von Bäumen und Steinen bewahrt haben. Aus dem Christentum übernahm dieses einstmals verachtete Bergvolk, die heutige Machtelite Syriens, die Marienverehrung, aber auch die christlichen Feiertage Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Demnach wurden die Alawiten als „Kleinchristen“ beschimpft.

Die alawitische Metaphysik teilt die Zeit in sieben Zyklen ein, die durch sieben Planeten verkörpert werden. Demgemäß glauben die Alawiten auch an die Seelenwanderung. Dem Gläbigen sind sieben Leben auf Erden geschenkt. Lebt er rechtschaffen, so wird er als Moslem oder als Christ (!) wiedergeboren. Führt er ein schlechtes Leben, so ist ihm nach dem Tode eine Wiederkehr als Kamel, Esel, Hund oder Schaf beschieden. Der Rechtgläubige nimmt schließlich seinen Platz bei den Sternen ein, wo der Prophet Ali als Sternenprinz thront.

Eine unsterbliche Seele wird gemäß der alawitischen Lehre allerdings nur den Männern zugebilligt; Frauen scheinen dessen nicht würdig genug. Dabei genießen etliche Frauengestalten höchstes Ansehen. Die Nusairier verehren nicht nur die JÄigf rau Maria, sondern wie alle Schiiten Fa-tima, die Tochter Mohammeds und Gattin Alis.

Die iranischen Schiiten verehren im besonderen Zeynab, die Schwester des Märtyrer-Imams Hussein, und pilgern heutzutage in Scharen zu deren Grabmal unweit von Damaskus. Ist es ihnen auf Grund des Golfkriegs doch versagt, die Gedenkstätte Husseins aufzusuchen. Denn Kerbala liegt im irakischen Feindesland.

Die einst unbedeutende alawitische Minderheit übt heute, dank ihres Aushängeschilds, Staatschef Hafez el Assad, in Syrien die Herrschaft aus. Die rund 600.000 Alawiten stellen nur sieben Prozent der syrischen Bevölkerung; eine gute halbe Million regiert also faktisch den ,.Rest“ von immerhin zehn Millionen Syrern.

Ihre Hochburgen besitzen sie in den Verwaltungsbezirken von La-takia, Hama und Horns. Die Franzosen hatten übrigens in ihrem Protektorat Syrien (bis 1930) einen Alawiten-Staat eingerichtet. 72 Prozent der überwiegend moslemischen Syrer bekennen sich zur Sünna. Die etwa neun Prozent Christen gehören elf verschiedenen Kirchen an.

Mit Assad begann der gesellschaftliche Aufstieg der Nusairier. Die Macht der alawitischen Elite konzentriert sich vornehmlich in den hohen Rängen der Sicherheitskräfte.

Ideologisch und politisch stünde der Irak eigentlich Syrien näher, dennoch verbündete sich Assad im Golfkrieg mit den iranischen Mullahs. In Bagdad wie in Damaskus regiert die sozialistische Baath-Partei. Die sunnitische Mehrheit, aber selbst die alawitische Minorität Syriens haben mit den fundamentalistischen Theokraten des Iran wenig gemein. Das Zweckbündnis Teheran-Damaskus droht zum Bume-rang zu werden. Denn der iranische Nachbar importiert nicht nur willkommenes Erdöl, sondern auch explosive Ideologie.

Der weltlich ausgerichtete alawitische Staatschef muß nicht nur vor der Opposition im eigenen Land auf der Hut sein. Die iranischen Pilger verbreiten in Syrien gefährliches Gedankengut, und iran-hörige Hezbollah-Milizen kochen im Libanon ihr Süppchen, den Assads Mannen als Hinterhof Syriens betrachten und behandeln.

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