6990184-1986_42_09.jpg
Digital In Arbeit

Selbstmord bleibt Mord

Werbung
Werbung
Werbung

Vorbemerkung: Nicht um die persönliche Verurteilung von Selbstmördern geht es mir. Woher nähme ich das Recht dazu? Wer kennt schon die Nöte eines anderen Menschen? Wohl aber möchte ich möglichst klar zum Faktum Selbstmord wertend Stellung nehmen: Den Selbstmord ablehnen und einen Selbstmörder verurteüen sind zweierlei.

„Sich absichtlich in den Tod begeben“ — diese Definition für Suizid ist die Zeitbombe, die dann im Buch hochgeht. Grundverschiedenes wird damit in einen Topf geworfen: Der Pilot, der — statt sich mittels Fallschirm zu retten — seine brennende Maschine aus dem Luftraum einer Großstadt steuert und dabei stirbt; der krebskranke Journalist, der sich erhängt, weil er seine Arbeit nicht mehr leisten kann.

Einsatz für den Nächsten mit der Bereitschaft, das eigene Leben hinzugeben und bewußte Herbeiführung des eigenen Todes aus unterschiedlichen Motiven segeln unter derselben Flagge. Die alles entscheidende Demarkationslinie wird wegdefiniert. Kein Wunder, daß Jesu Tod in die Nähe des Suizids gerät.

Das Weitere geschieht folgerichtig: Weil unterschiedlich zu Bewertendes mit einem Begriff erfaßt wird, stört die wertende Bezeichnung. Daher: Suizid statt Selbstmord.

Diese Vorgangsweise ist seit der Abtreibungsdebatte bekannt: Nur keine Grausamkeit in der Terminologie! Man könnte Schuldgefühle wecken. Keine Frage: Im Gespräch mit einem Verzweifelten ist größtes Einfühlungsvermögen angebracht. Aber wo Probleme allgemein behandelt werden (wie hier), geht es um Klarheit: Reden wir also von Selbstmord! Mord ist nun einmal die deutsche Bezeichnung für vorsätzliche Tötung.

Klarheit schadet keinem Gespräch, in dem der Partner als Mensen geachtet wird. Weil Suizid nicht wertneutral ist (geht es doch um das höchste Gut, das Leben mit Ewigkeitswert), wäre es unredlich, dies nicht auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Damit wird jedes Gespräch über Selbstmord wesentlich und keine pseudo-wertfreie akademische Debatte.

Die Relativierungssucht ist ein modernes Übel: Werte seien Privatsache, die Wahrheit sei relativ. Das ist moderner Aberglaube, für Christen unannehmbar. Wohl muß jeder zur Kenntnis nehmen, daß heute ein Wertepluralismus besteht. Aber dabei darf es nicht bleiben. Den Christen ist in Jesus Christus die Fülle der Wahrheit geoffenbart worden — und nicht die Privatmeinung eines Rabbi aus Nazareth, der sich vielleicht geirrt hat.

Wie kann da ein Theologe das Spiel der Relativierung mitmachen, noch dazu bei der Frage von Leben und Tod?

Kuiterts Sorge, daß religiöse Argumente nur Christen interessieren, bringt nichts: Rein weltlich in der Frage Selbstmord zu argumentieren, endet unweigerlich bei dessen Akzeptierung: Wenn Autonomie des einzelnen unser höchster Wert ist, warum sollten wir dann nicht auch unsere Todesstunde bestimmen?

Kuitert argumentiert ja sehr überzeugend, daß weder Rechte anderer noch Verpflichtung sich selbst gegenüber noch statistische Erfahrungen in letzter Konsequenz als Argumente ziehen.

Es bleibt tatsächlich nur die Argumentation von Gott her. Und es wäre wichtig gewesen, das herauszustellen und nicht ebenfalls zu relativieren. „Wir gehören nicht uns selbst, sondern Gott“, ist kein frommer Spruch, sondern existentielle Realität des Menschen — ob er es weiß oder nicht.

Daß Christen sich im Laufe der Geschichte nicht immer dementsprechend verhalten haben, ist tragisch, ändert aber nichts an der Wahrheit der Feststellung. Daß sie Hexen verbrannt und Todesurteile verhängt haben, wird ihnen zu Recht vorgehalten. Einen Pluspunkt für den Selbstmord ergibt das allerdings in keiner Weise.

Daß Selbstmord im Neuen Testament nicht ausdrücklich verurteilt wird, sollte niemanden erschüttern. Die Heilige Schrift ist nun einmal keine Sammlung von Anstandsregeln. Sie läßt uns aber erfahren, wer Gott ist — wie er zu uns Menschen steht. Und ihre Botschaft ist: Gott ist Dir nahe, Dein Leben wahrhaftig ein Geschenk — auch wenn Du es nicht immer spürst. Das hätte der Theologe in der Sprache unserer Zeit vermitteln sollen.

Diese Botschaft könnte potentiellen Selbstmördern gerade in schweren Stunden Hilfe sein. Und schwere Stunden sind doch wahr- lieh Teil jedes Lebens. Wer hat sich noch nie gedacht: „Jetzt hab' ich es wirklich satt“?

Es ist daher mehr als fraglich, ob Selbstmörder anders zum Leben stehen als die meisten Menschen. Im Moment der Handlung mag das schon stimmen. Aber wieviele Selbstmorde ließen sich verhindern, wenn wir nicht in nobler Zurückhaltung (sprich Desinteresse) aneinander vorbeilebten! Hätte Kuitert den Gedanken, daß Suizidversuche „verschleierte Hilferufe“ sind, mehr berücksichtigt, so hätte er sich weniger in sein Modell des kühl abwägenden Suizidanten verrannt.

Und zuletzt: Wem ist eigentlich damit geholfen, wenn ein Theologe den Selbstmord salonfähig macht? Weder denen, die mit Selbstmord liebäugeln, noch denen, die eigentlich zu Hilfe kommen sollten. Die Frohe Botschaft für Selbstmordkandidaten bleibt dieselbe wie bisher: Töte Dich nicht, Gott schenkt Dir Lebenskraft, wenn Du Ihn nur läßt!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung