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Selbstzerfleisdiung

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Das jetzt so häufig zitierte „Drama“ um die politische Zukunft Präsident Nixons ist an einem Punkt angelangt, von dem es kein Zurück mehr gibt. Die Aussichten, daß Nixon schließlich im Senat von einem Drittel der Mitglieder exkulpiert wird und daher im Amt bleibt, sind nach wie vor besser als 50 Prozent. Aber die Schwächung der Präsidentschaft durch das Impeachmentver-fahren, durch den Spruch des Obersten Gerichtshofes und schließlich durch die gesamte Anti-Nixon-Kampagne sind nicht mehr aus der Wert zu schaffen. Daß sich Nixon in diesem von Scheinwerfern und Fernsehkameras . durchstrahlten Zirkus würdig und gelassen benimmt, daß seine Nervenstärke ans Wunderbare grenzt und er, mit dem Rücken gegen die innenpolitische Wand gedrängt, mit schwierigsten weltpolitischen und wirtschaftlichen Problemen einigermaßen erfolgreich ringt, ändert nichts an der Tatsache, daß die freie und noch mehr die unfreie Welt diesem Akt der Selbstzerfleisdiung teils mit ungläubigem Staunen, teils mit Schadenfreude folgt.

Natürlich gibt es jene, die argumentieren, daß gerade ein solcher Prozeß der Selbstreinigung von der Stärke des Landes Zeugnis ablege, daß es — egal, ob Nixon oder jemand anderer — notwendig gewesen sei, die Gewalten innerhalb der amerikanischen Demokratie gegeneinander abzugrenzen und daß man zu den moralischen Werten der Vergangenheit zurückfinden müsse. Untersucht man jedoch die Motive der Verfolger gründlicher, so kommt man zum Teil zu ganz anderen Ergebnissen.

Stünde Nixon vor einem ordentlichen Gericht, so würde das vorliegende Beweismaterial kaum ausreichen, ihn zu verurteilen. Da das Impeachmentverfaihren jedoch ein politischer Prozeß ist, spielt hier die Optik eine entscheidende Rolle und diese ist — nicht zuletzt bedingt durch die Weigerung, persönliche Aufzeichnungen und Tonbänder dem Untersuchungsausschuß zur Verfügung zu stellen, schlecht Daran ändert auch nichts, daß der Präsident dem Ausschuß bereits Tausende von Dokumenten ausgehändigt hat und daß die immer neuen Forderungen nach weiterem „Material“ nicht anders zu werten sind denn als permanente Kraftprobe zwischen der Exekutive und der Legislative.

Bei der historischen Untersuchung des Vorganges ist es allerdings gleichgültig, ob Nixon 'tatsächlich schuldig ist oder aus optischen Gründen angeklagt wird. Selbst wenn er in allen Punkten schuldig wäre, ist der Anschlag gegen den gewählten Inhaber der Präsidentschaft trotzdem unverantwortlich und selbstmörderisch. Viele Präsidenten vor Nixon haben sich schlimmerer Delikte schuldig gemacht: vom skrupellosen Machia-vellisten Franklin D. Roosevelt bis zu Johnson, der als kleiner Mann in die Politik eintrat und Dutzende von Millionen hinterlassen hat, darunter Grundstücke, auf denen Lizenzemp-empfänger des ehemaligen Präsidenten Radio- und Fernsehstationen bauten. Niemand hat jedoch auch nur im Traum daran gedacht, ein Impeachmentverfahren gegen diesen und viele andere Präsidenten einzuleiten.

Rein äußerlich könnte man argumentieren, es seien eben Präsidenten aus den Reihen der Demokratischen Mehrheitspar'tei gewesen, denen auch die Publizistik und die Massenmedien wohl gesonnen waren. Beide Voraussetzungen fehlten Nixon eben. Das ist an sich richtig. Hinter der Nixon-Vendetta schwelen aber nocfi andere, für die Zukunft des Landes und der freien Welt bedrohlichere Tendenzen. Die Nixonhatz ist zweifellos eine Art von antiautoritärer Revolution, die sich nicht bloß gegen die Person, sondern das Amt in seiner jetzigen Machtfülle richtet.

Nixon selbst, aber auch schon viele seiner Vorgänger seit F. D. Roosevelt, haben tatsächlich die Macht der Präsidentschaft wesentlich erweitert, nicht aus Herrschsucht, sondern einfach, weil die globalen Aufgaben der amerikanischen Weltmacht nur von einer starken Zentralstelle, aus wahrgenommen werden können. Im Zeichen der Atomwaffen ist für bukolische Demokratie kein Platz mehr. Das hatte auch das amerikanische Volk eingesehen und hatte daher dieser Entwicklung wenig Widerstand entgegengesetzt. Indirekt hat auch der Kongreß diese Tendenz unterstützt, weil er, wie in vielen westlichen Demokratien, die Politik der eigenen Wiederwahl über die sachliche Arbeit stellte. Selbst heute noch, am Tiefpunkt der Nixonbewertung, schneidet der Kongreß in öffentlichen Befragungen schlechter als der Präsident ab. Schließlich ist der amerikanische Präsident auf Grund der Verfassung kein europäischer, einem Parlament verantwortlicher Ministerpräsident, sondern ein direkt vom Volk gewählter Universalführer. An dieser Stellung soll nun gerüttelt werden.

Unbequem ist jedoch nicht nur ein Präsident, der freie Hand in der Außenpolitik hat. Womöglich noch unibequemer ist ein Präsident, der sich einer schrankenlosen Sozial-und Konsumentenpolitk widersetzt.

Par'tikularinteressen werden also die Oberhand gewinnen. Wie lange ist es her, seit Präsident Kennedy in seiner Inaugurationsrede seine Landsleute aufforderte, nicht bloß vom Staat zu fordern, sondern auch für den Staat etwas zu leisten —?

Die Forderer haben gesiegt, egal, ob Nixon im Amt bleibt, oder durch einen Vizepräsidenten Ford ersetzt wird. Was immer sie fordern — höheren Lebensstandard auf Kosten härter Arbeitender, höhere Sozialleistungen auf Kosten nationaler Sicherheit — kein Präsident, ob Republikaner ob Demokrat, wird es nach Waterga'te verweigern können. Alles, was früher die westeuropäischen Demokratien geschwächt hat, wird nun auch in den USA seinen Einzug halten. Dieser Zersetzungsprozeß in einer sowieso nur auf das Materielle ausgerichteten Gesellschaft muß die weltpolitische Position der USA und damit des Westen entscheidend schwächen.

Daß Nixon an dieser Entwicklung nicht schuldlos ist, bleibt unbestritten. Mit etwas mehr menschlicher Wärme ausgestattet, wäre es ein Leichtes gewesen, im richtigen Zeitpunkt die „Verfehlungen“ verständlich zu machen und die Krise zu entschärfen. Wer könnte es einem Präsidenten übelnehmen, wenn er, selbst mit nicht ganz honorigen Mitteln, versucht, Indiskretionen nationaler Sicherheitsagenden zu unterbinden?

Es ist jedoch die Tragödie dieses Mannes, daß seine zahlreichen Gegner schon immer alles bekrittelten oder in Frage stellten, was er tat, weil man seine Taktik und nicht seine Prinzipien beurteilte. Er gilt als ein geschickter Manipulator mit Falschspielergeruch. Dabei hat er gerade als Taktiker versagt, während das Publikum seinen zähen Kampf um die Erhaltung der Position des Präsidenten mißverstand. Mit Nixon hat sich die amerikanische Nation selbst entmachtet, was klar werden wird, wenn es gilt, Probleme zu bewältigen, die einer konzentrierten Führung bedürfen.

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