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Sexualität und Aktmoral

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Handelt es sich bei der Diskussion um „Humanae vitae“ wirklich nur um einen leidigen Methodenstreit? Welche Botschaft vermittelt sie? Und welchen Rat gibt sie?

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Handelt es sich bei der Diskussion um „Humanae vitae“ wirklich nur um einen leidigen Methodenstreit? Welche Botschaft vermittelt sie? Und welchen Rat gibt sie?

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Ein junges Paar mit zwei Kindern im österreichischen Wohlstandsdurchschnitt lebt als glückliche Familie. Weitere Kinder sind nicht geplant, werden auch gar nicht gewollt.

Was rät „Humanae vitae“? Die Enzyklika verbietet eine „künstliche Geburtenregelung“. Erlaubt sie natürliche Methoden?

So generell, wie das oft als Alternative dargestellt wird, doch auch wieder nicht. Sie sind auch nur dann erlaubt, wenn „ernsthafte Beweggründe, die der körperlichen oder seelischen Verfassung der Ehegatten oder äußeren Umständen entspringen, dafür vorliegen, zwischen den Geburten der einzelnen Kinder Abstände eintreten zu lassen“. •

Welche „ernsthaften Beweggründe“, einmal direkt gefragt, kann das junge Paar danach für sich ins Treffen führen? Denn auch nur dann ist eine natürliche Geburtenregelung durch den übereinstimmenden „positiven Willensentschluß, die Nachkommenschaft aus einleuchtenden Gründen auszuschließen“, nach „Humanae vitae“ nicht verboten.

Keine Frage, die Position der Enzyklika ist unmißverständlich: „Indem die Kirche die Menschen zur Beobachtung des von ihr in beständiger Lehre ausgelegten natürlichen Sittengesetzes anhält, lehrt sie nun, daß jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet werden muß.“

„Per se destinatus permaneat“ heißt es im lateinischen Text. Wörtlich übersetzt könnte das sehr wohl heißen: „Jeder Gebrauch der Ehe muß von sich aus zur Zeugung menschlichen Lebens bestimmt bleiben.“ Und da wird auch der Spielraum für natürliche Methoden eng.

Wobei auf die Frage der „Natürlichkeit“ — viele Frauen erleben und empfinden sie als durchaus unnatürlich — hier gar nicht erst eingegangen werden soll. Umgekehrt rettet auch keine periodische oder totale Enthaltsamkeit, wenn sie egoistischen Motiven entspringt, die Moralität.

Nur ein Streit um die Methodenfrage? Christof Gaspari hat recht, wenn er dies verneint. Wenn er die „frohe Botschaft vom erfüllten und erfüllenden ehelichen Leben“ hervorhebt, gilt es durchaus auch eine Entwicklung in der „beständigen Lehre“ zu würdigen. „Humanae vitae“ so einzuordnen ist möglich. Ist damit die Weiterentwicklung aber unmöglich?

Für Augustinus bedurfte der eheliche Liebesakt sogar noch der „Entschuldigung“, unmittelbar Fruchtbarkeit anzustreben. Eine Verzweckung, wie sie durchaus bis in jüngere Zeit im alten kanonischen Recht durchgeklungen ist, wenn das „Recht auf den Körper“ des Ehepartners „im Blick auf Akte, die ihrer Natur nach die Zeugung von Nachkommenschaft zum Zwecke haben“, übergeben wird. Dieses Denken hat(te) Tradition und erweist sich als nicht minder beständig, obwohl das Zweite Vatikanische Konzil ganz andere Dimensionen eröffnet hat. Fruchtbarkeit ist eine davon.

Sie wurde in unseren Breiten — anders noch in den Entwicklungsländern — vom biologischen Druck befreit. Dadurch wird verantwortete Elternschaft überhaupt erst möglich. Verantwortete Elternschaft: ein bewußtes Ja zu neuem Leben. Der Mensch tatsächlich als Mitwirkender an der ihm geschenkten Schöpfungskraft und nicht nur auf eine reproduktive Funktion reduziert. Menschliche Sexualität kann dadurch ihren Sinn als vollentwik-kelte und vollendete Form sozialer Begegnung entfalten, eigenständig. Und der Mensch verfügt über eine unübertrefflich intensive körperliche Aussagekraft, die wie keine andere Sprache Gemeinschaft verwirklicht. Dieser eigenständige Aspekt unserer Geschlechtlichkeit findet in einer isolierten Aktmoral, die die Sittlichkeit des einzelnen ehelichen Aktes in jedem Fall mit der Offenheit für Nachkommenschaft verknüpft, keine Entsprechung.

So falsch es ist, „das Kind“, wie Gaspari schreibt, „von Anfang an als Bedrohung des eigenen Glücks erscheinen“ zu lassen, so falsch ist es auch, das Kind als Mittel zur Selbstverwirklichung eines Paares zu „verzwecken“. Weil man etwa — nach drei Töchtern — just noch einen Stammhalter braucht, der Erbe und Namen weiterführt.

Verantwortete Elternschaft kann man unter vielen Blickwinkeln betrachten, auch unter dem der Verhütungsmentalität.

Gasparis Interpretation der Frohbotschaft kennt eine volkstümliche Version: Schickt der Himmel 's Haserl, so schickt er auch 's Graserl. Wird da nicht -bei allem Gottvertrauen - Verantwortung einfach weggeschoben? Mit gutem Gewissen?

Ubereinstimmend wird die Abtreibung als Form der Geburtenregelung abgelehnt. Eine Sünde. Aber natürlich ist — nach kirchlicher Lehre — auch die Verwendung eines Präservatives sündhaft. Trotzdem ein Unterschied.

Alles nur Methodenstreit? Der verstellt wirklich eine sinnvolle und umfassende Sicht der menschlichen Sexualität.

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