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Sich bescheiden lernen ohne Resignation
Die Entmythologisierung der Welt ist es, welche das Christentum zum Ursprung eines Weltbildes gemacht hat, nach welchem die Welt dem Menschen zur weltlichen Einsicht und interessierten Bewältigung anheimgestellt ist. Das benediktinische „ora et labora“ hätte der antike Mensch nie nachvollziehen können, und zwar nicht nur deswegen, weil Arbeit für ihn den Charakter des Niedrigen und Erniedrigenden hatte, sondern auch, weil für ihn Arbeit immer höchstens Beschaffung der Lebensnotwendigkeiten, niemals Inangriffnahme eines Auftrages zur Gestaltung 'sein konnte.
Das Christentum hat also - neuzeitlich gesprochen - der Welt die ihr zuste- hende immanente Rationalität zugesprochen und den Menschen veranlaßt, sich dieser Welt zielbewußt als eines Bereiches anzunehmen, den es zu gestalten gilt, der dem Menschen untertan zu werden hat.
Doch im Laufe der abendländischen Geschichte, aufgrund einer Fülle von historischen Detailentwicklungen, auf die hier nicht einzugehen ist, hat sich das Bekenntnis ztfr immanenten Rationalität der Welt und zum Gestaltungsauftrag der menschlichen Arbeit immer mehr von ihrem christlichen Ursprung befreit - bis wir heute so weit sind, daß Wissenschaft und Technologie sich völ
lig von der Religion gelöst haben und wir uns fragen müssen, wozu denn die „religiöse Dimension“ noch gut sei.
Die Antwort, so meine ich, ergibt sich aus der eben skizzierten geschichtlichen Entwicklung. Das Christentum hat die Welt entgöttlicht und sie dadurch für eine Betrachtungsweise freigesetzt, welche die Welt nach ihren immanenten Gesetzmäßigkeiten befragt und deswegen auch die Welt zu gestalten erlaubt, ja herausfordert.
Aber es hat dies getan, indem es klarstellte, daß diese Welt nicht alles und daß die wesentliche Wirklichkeit nicht in dieser Welt zu finden ist. Wird nun die religiöse Dimension abgeschnitten, so bleibt eine Rationalität übrig, die zwar nach und nach alles Gesetzmäßige dieser Welt erforschen kann, aber keinen Sinn zu geben vermag; und es bleibt ein Gestaltungswille übrig, der uns zwar die Sterne zu erobern erlaubt, aber keine Zielrichtung hat.
Vielleicht wird man einwenden: Genügt es denn nicht, daß wir eine menschenwürdige Welt zu erreichen suchen? Gewiß könnte dies genügen. Aber sagt uns die Wissenschaft, wie eine menschenwürdige Welt auszusehen hat?
Dem antiken Menschen sagte dies seine Wissenschaft: Sie suchte ja aach der göttlichen Ordnung, in welche der
Mensch sich zur Erfüllung seines Sinnes zu fügen hatte. Diejenige Wissenschaft, welche das Christentum ermöglicht hat, vermag dergleichen jedoch nicht. Sie hat den Weg zur eigenen Rationalität der Welt gefunden, indem sie die Sinnfrage aus der Wissenschaft in andere Bereiche verlagerte.
Und wie soll unser Gestaltungswille, der ebenfalls ein₥christliches Erbe ist, eine menschenwürdige Welt herbeiführen, wenn er ohne Ziel ist? Wir sprechen davon, daß das Ziel der Wissenschaft und der Technologie die Emanzipation des Menschen, die Befreiung von naturwüchsigen Zwängen, die Gestaltung der Welt entsprechend jien menschlichen Bedürfnissen sei. Aber wissen wir, was den Menschen echt befreit, kennen wir die wirklichen Bedürfnisse des Menschen?
Sagt uns nicht gerade unsere jüngste Erfahrung, daß Befreiungen zu Chaos und Terror führen können und daß wir vor lauter Bedürfnisbefriedigung unbefriedigter sind, als es Menschen früherer Jahrhunderte waren?
Hier wäre anzufügen, daß Befreiung von natürlichen Zwängen zu Systemen führt, die vom Menschen erzeugte Zwänge bringen. Ohne die religiöse Dimension kennt die wissenschaftliche Rationalität entweder keine Grenzen, oder aber sie muß resignieren; ebenso wie ohne die religiöse Dimension die Technologie und der politische Reformwille prometheisch gewaltsam werden, oder aber in eine sinnentleerende Enttäuschung einmünden ...
Wer die Geschichte des europäischen Denkens in den letzten zwei Jahrhunderten verfolgt, wird bemerken, daß es ständig zwischen zwei Extremen pendelt. Einmal meint es, in der wissenschaftlichen Rationalität die Erfüllung aller menschlichen Sehnsüchte zu finden; das andere Mal versinkt es in einer heroischen Resignation, die den Sinn selbst in der These zu finden sucht, daß es keinen Sinn gebe.
Einmal meint man, durch die Technik oder eine Korrektur des menschlichen Zusammenlebens die menschliche Sehnsucht nach einem Paradies erfüllen zu können; das andere Mal, wie wir es z.T. heute erleben, scheint man daran zu verzweifeln, daß der Mensch sich in dieser Welt überhaupt so einzurichten vermag, daß sich seine Bemühungen lohnen.
Die Präsenz und Anerkennung einer religiösen Dimension, so scheint mir, erlaubt dem Menschen, einen Mittelweg zwischen einem extremen Rationalismus und einem mörderischen Irrationalismus, zwischen einem promethei- schen Umgestaltungswillen und einer dumpfen Verzwetflung zu finden.
Es lohnt wohl darauf hinzuweisen, warum gerade die Religion dergleichen zu gewährleisten vermag. Sie erlaubt, was ein auf sich selbst gestellter Rationalismus und eine sich selbst überlassene Gestaltungs- und Reformfreudigkeit nicht leisten können: Die Anerkennung des Umstandes, daß es auch jenseits der Grenzen unserer Denk- und Gestaltungsleistungen Sinn, Ordnung, das Gute, Erfüllung geben mag.
Sie weist der Wissenschaft und dem Gestaltungswillen Grenzen zu, ohne daß der Mensch an ihnen verzweifeln oder aber der Versuchung nachgeben müßte, alles und jedes durch Wissenschaft, Technologie und gesellschaftliche Reform erreichen zu wollen. Sie lehrt Demut, ohne zu demütigen, Bescheidung, ohne zur Resignation zu zwingen, Weisheit ohne den schalen Beigeschmack des Skeptizismus.
Aus: WORTMELDUNG. Von Nikolaus Lobko- wicz. Styria-Verlag, Graz 1980. 275 Seiten, öS 220,-.
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