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Sich selbst ein Rätsel

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Ausgerechnet in den umstrittenen Räumen des Wiener Messepalastes versucht die große Ausstellung mit dem Titel „Wunderblock - Eine Geschichte der modernen Seele" im fünfzigsten Todesjahr Sigmund Freuds sich von allen Seiten an das weite Land der Seele heranzupirschen. Dies gelingt bis zu einem gewissen Grad. Man staunt, auf wie vielen scheinbar geordneten Holzwegen unsere sich erst entwickelnden, auseinanderstrebenden Wissenschaften dabei vorgingen, diese Seele auch mit Gewalt dingfest zu machen.

So etwa bekam der Mensch, schon immer sich selbst ein Rätsel, in der Malerei der Romantik, die einen merkwürdigen Bezug zur Technik entwickelte, einen Zipfel davon denkerisch zu fassen. Aber nicht viel mehr.

Oder wie naiv versuchte er noch vor weniger als hundert Jahren diese Seele so gröblich in Geisteskrankheiten und Evolution, in Schädelform und Gehirnströmen, im Kriminologie und Träumen, in Gesichtszügen und „ rimitiven"

festzumachen. Und wie nachtwandlerisch nahe waren Künstler immer schon den Problemlösungen. Wie sehr bestimmten die Energien und Gewalten der Seele bei Vincent van Gogh, Edvard Munch oder Oskar Kokoschka das künstlerische Schaffen.

Bis der geniale verkappte Dichter Sigmund Freud mit seinen hydraulischen Vorstellungen der Medizin ein Modell entwarf, das trotz aller nachträglichen Falsifizierungen sich bis heute als der Realität gewachsen bewährt hat. Seine Forschungen gingen von Hysterikerinnen aus, jenen Frauen gehobener Stände, die als schwächstes Glied in der Kette eines sich im Rekordtempo „zivilisierenden" und industrialisierenden Systems mit ihren Körpern dessen Uberdruck anzeigten.

Auch damals gab es schon musisch begabte Mediziner, Paul Rieber zeichnete in den Irrenhäusern Krankheitsphasen, Carl Gustav Camus und andere versuch ten, Friedrich Schellings kosmisch gedachte Weltseele auf Gravitations- und später elektromagnetische Phänomene zurückzuführen, automatisches Schreiben, Klecksfiguren oder Bewegungsformen zu deuten. Äm Schinderhannes und seinen neunzehn Mitangeklagten machte man bei ihrer Hinrichtung galvanische Experimente und energetische Bestimmungen der Seele.

Während Johann Heinrich Füssli mit seinen Traumzyklen zum Unbewußten, oder William Blakes Illustrationen der „Nachtgedanken" Einfluß übten, erleichterte Franz Xaver Messerschmidt seine „Seelentorturen" durch das Modellieren von Grimassen, William Hogarth und Francesco Goya wiesen in ihren Werken menschliche Nachtseiten auf.

Die Ordnung der traditionellen religiösen Vorstellungen wurde von Franz Änton Mesmer zurückgewiesen. Mit seiner auf Hypnose und Suggestion basierenden Behandlungsmaschine zur Ableitung negativer Ströme mittels eines geheimnisvollen „Paquets" verstrickte er sich aber ebenso in Scharlatanerieprozesse wie später der linksradikale Freud-Schüler Wilhelm Reich mit seinem Or-gon-Generator zur Vitalisierung und Reparatur der Sexualität.

Hermann von Helmholtz machte Nervenimpulse meßbar, und seine Erfindung des Äugenhin-tergrundspiegel war bahnbrechend. Man zerlegte die Sinneswahrnehmungen mit interessanten Geräten von ästhetischem Reiz, an denen die Äusstellungs-besucher selbst Experimental-psychologie betreiben können.

Mit unseren heutigen Erklärungsversuchen seelischer Vorgänge sind wir nicht wirklich sehr viel weitergekommen. Eher besteht Gefahr, in neue schamani-stische Fallen zu geraten - die bleiben hier aber unerwähnt.

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