7056118-1991_18_11.jpg
Digital In Arbeit

SICH VERANDERN LASSEN

19451960198020002020

1969, als das Wallfahren fast vollständig zum Erliegen gekommen war, ergriff der heutige Wiener Erzbischof eine damals absurd scheinende Initiative: Er rief zu monatlichen Wallfahrten nach Maria Roggendorf auf. Und die Leute kamen - auch junge.

19451960198020002020

1969, als das Wallfahren fast vollständig zum Erliegen gekommen war, ergriff der heutige Wiener Erzbischof eine damals absurd scheinende Initiative: Er rief zu monatlichen Wallfahrten nach Maria Roggendorf auf. Und die Leute kamen - auch junge.

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Herr Kardinal, spielt Wallfahren im Rahmen der Neuevangelisierung eine besondere Rolle?

KARDINAL HANS-HERMANN GROER: Daß Wallfahren im Dienste der Evangelisierung steht, erscheint mir als Selbstverständlichkeit. Warum? Jesus Christus hat von klein auf Wallfahrten mitgemacht. Das Johannes-Evangelium hat sogar als Aufbau die Wallfahrten Jesu zum Heiligtum nach Jerusalem. Und dazu kommt: Wohin Jesus gepilgert ist - sein Wirken war ja eine einzige Pilgerschaft für uns-, hat er verkündet: „Bekehrt euch und glaubt dem Evangelium!"

FURCHE: Wie steht das aber mit dem Wallfahren in Beziehung?

GROER: Durch das Wort: „Bekehrt euch", hat Jesus Christus zum Ausdruck gebracht, was mit jeder Wallfahrt notwendigerweise verbunden ist: Man verläßt - sogar geographisch -den gewohnten Platz, an dem man lebt und arbeitet, und macht sich auf den Weg. In jeder Wallfahrt ist etwas von der Aufforderung Gottes an Abraham enthalten - auch wenn es die Leute nicht wissen: „Mach' dich auf und geh* in das Land, das ich dir zeigen werde!"

Damit verbunden ist die Einladung zur inneren „Öffnung", zu neuer Empfänglichkeit nicht nur für Gottes Wort, sondern für seine Gaben. Wir erbitten sie unter Anrufung Mariens und der Heiligen. Wie diese Öffnung im einzelnen geschieht (durch ein Erlebnis, durch das Bußsakrament oder das Feiern der hl. Messe, durch die erlebte Gemeinschaft, durch Überwindung der Mühe...), ist nicht vorhersehbar. Indem man eben das Gewohnte verläßt und sich neuen Eindrücken aussetzt, wird man innerlich für einen solchen Anruf des Wortes Gottes bereit. Wallfahren ist ja immer Suchen nach dem Worte Gottes, nach der Gnade.

FURCHE: Viele gehen aber scheinbar nur aus ganz weltlichen Motiven wallfahren. Kann man da von Suche nach dem Wort Gottes sprechen?

GROER: Der einzelne muß nicht unbedingt schon mit dieser besonderen Ab-

sicht aufbrechen. Er bekommt dennoch etwas geschenkt, weil er eben doch das Bisherige in irgendeiner Form zu verlassen bereit ist und indem er aus dem Alltag heraustritt, sich „geöffnet" hat.

FURCHE: Galt Wallfahren nicht lange Zeit hindurch als veraltet?

GROER: 1969, bevor wir in Maria Roggendorf die „Wallfahrt für die Kirche" begonnen hatten, erzählte mir jemand, er sei in Mariazell gewesen, habe aber trotz herrlichen Wetters niemanden in der Kirche gesehen. Wallfahren war „leise am Erlöschen". Es gab rundherum viel Zweifel, Unverständnis und Spott. Das ist relativ lang so geblieben. Später aber, von Jahr zu Jahr konnte ich feststellen: Da und dort fängt wieder jemand an, eine Wallfahrt zu organisieren.

FURCHE: Aber heute ist Wallfahren geradezu wieder "in".

GROER: Ohne Zweifel hat sich mit Johannes Paul II. diesbezüglich vieles gewandelt, schon allein durch seinen persönlichen Stil, selbst überallhin zu pilgern. Er hat das Wallfahren eben „praktiziert"- wie selbstverständlich. Für mich persönlich war das schon eine gewisse Ermutigung, auf diesem Weg fortzufahren, als eine „Bestätigung".

FURCHE: Gilt das nur für Österreich?

GROER: Keineswegs. Ein Beispiel unter vielen: Als Kardinal Joachim Meisner in Maria Roggendorf „die

Wallfahrt für die Kirche" (als Bischof von Berlin) kennen lernte, begann er (in Westberlin) ganz neu mit einer solchen Wallfahrt. Zu seiner Überraschung kamen schon zum ersten Mal zirka tausend Menschen - in Berlin etwas Erstaunliches. Jetzt, nach vier Jahren ist diese Pilgerschaft zu „Maria vom Stacheldraht" zu einer festen Einrichtung geworden.

FURCHE: Beobachtet man Früchte des Aufbruchs durch Wallfahren?

GROER: Schon in Lourdes ist mir das „Wunder von Lourdes" besonders aufgefallen: Wer dorthin pilgert, kommt getröstet und im Glauben gestärkt heim, auch wenn er von seinen Leiden nicht befreit, nicht geheilt wurde. Das sind die „Früchte", von denen Sie sprechen. Noch etwas anderes beobachte ich: Durch Wallfahren wächst der Wille zur religiösen Hingabe, die Bereitschaft sich einzusetzen, in Dienst nehmen zu lassen. Das kann Berufung zum Dienst an den Menschen, zum Dienst in der Kirche sein (etwa als Priester). Ich habe den Eindruck, daß sich gerade diesbezüglich viel tut. Allein im Gefolge des Welttreffens der Jugend mit dem Papst 1989 in Santiago di Compostela meldeten sich mehr als 400 Anwärter für den geistlichen Beruf. •

FURCHE: Sie haben eine Diöze-sanwallfahrt im Rahmen des Diöze-sanforums angekündigt. Welche H Öffnungen verbinden Sie damit?

GROER: Dieselben, die ich mit der Einberufung des Diözesan forums verbunden habe. Mir ging es ja damals nicht so sehr um Abstimmungen oder Änderungen in der Konstitution der Kirche, sondern um die Erneuerung des Glaubens in den Herzen, um die größere Bereitschaft, auf Gott und aufeinander zuzugehen, um das bessere Verstehen zu lernen. Und für dieses Anliegen erscheint mir eine Wallfahrt besonders geeignet, daß wir uns durch Gott „verändern" lassen.

FURCHE: Kann eine Wallfahrt eine ganze Diözese verändern?

GROER: Wahrscheinlich nicht „auf einen Schlag"! Aber ich hoffe sehr, daß gerade durch einen echten Aufbruch bei den Wallfahrern auch „der andere" Segen vermittelt wird. So sollte sich zum Beispiel das apostolische Denken und Tun noch viel mehr entfalten. Warum sollte es uns nicht geschenkt werden? Es wird ja eine zur Neu-Evangeli-sierung sehr nötige Voraussetzung und Hilfe sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung