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Sicherheit ist teuer
Moskau ist für einen Verzicht auf die Erstanwendung von Atomwaffen. Welche Konsequenzen hätte das für den Westen? Ein Fachmann fordert zu einer ernsthaften Diskussjon zu diesem Thema auf.
Moskau ist für einen Verzicht auf die Erstanwendung von Atomwaffen. Welche Konsequenzen hätte das für den Westen? Ein Fachmann fordert zu einer ernsthaften Diskussjon zu diesem Thema auf.
Auch Skeptiker und erklärte Gegner müssen es zugeben: Das Echo, das die österreichische Friedensdemonstration der Jungen vom 15. Mai in Öffentlichkeit und Medien fand, war enorm. Und eben diese Skeptiker und Gegner müßten doch zumindest nachdenklich geworden sein, ob ihre allzu einfache Erklärung, das sei eben alles lediglich gute Arbeit einer fernsteuernden Zentrale u. dgl., jetzt noch aufrechterhalten werden kann.
Die Frage lautet jetzt: Und wie geht es weiter? Da werden sich, so steht zu befürchten, einige Geister recht bald scheiden. Unbestritten sollte sein, daß Demonstrieren allein zu wenig ist. Man wird sehen, ob mit den Ansätzen zu einer entsprechenden Bewußtseinsbildung auch der dringend erforderliche Lernprozeß in Gang gekommen ist, daß noch so verständliche Wünsche allein zuwenig sind; vor allem aber auch, daß mit Simplifizierungen niemandem geholfen ist, am wenigsten der tatsächlichen Erhaltung des Friedens.
Einen Prüfstein ganz besonderer Härte (zur Selbsttestung) könnte die Stellungnahme zu den vor kurzem veröffentlichten, aufsehenerregenden Vorschlägen eines amerikanischen Prominenten-Quartetts (Bundy/Kennedy/ McNamara/Smith: „Kernwaffen und das Atlantische Bündnis”, Europa-Archiv, Folge 7/1982) zu Fragen der NATO-Strategie bieten. Die vier Autoren schlugen für die NATO eine „Politik des Verzichts auf Ersteinsatz von Kernwaffen” vor, wie ihn am 15. Juni Außenminister Gromyko vor der UN-Vollversammlung namens der UdSSR verkündete.
Der Preis dafür ist freilich hoch: Aufrüstung (Nachrüstung) der konventionellen Streitkräfte.
Vor voreiliger Entrüstung darüber wäre ein näherer Blick auf die Argumentation dieser vier
Männer (deren hohe fachliche Kompetenz auch von Gegnern nicht bestritten werden kann) angebracht. Diese Argumentation geht davon aus, daß es „niemandem je gelungen ist, einen überzeugenden Grund für die Annahme anzubieten, daß irgendein Einsatz von Kernwaffen, und sei es kleinsten Ausmaßes, mit einiger Sicherheit begrenzt gehalten werden könnte.”
Die Bündnisverpflichtung der USA sei aber von Anfang an als nukleare Garantieerklärung verstanden worden, die NATO-Strategie sehe nach wie vor dezidiert auch im Falle eines „lediglich” mit konventionellen Waffen vor-
Von HEINZ DANZMAYR getragenen Angriffs durch Streitkräfte des Warschauer Paktes den eigenen Ersteinsatz von (taktischen) Kernwaffen vor.
Aus naheliegenden (wehrgeo-' graphischen) Gründen müsse die Lage der Deutschen besonders berücksichtigt werden, argumentieren die vier weiter. Es sei anzunehmen, daß diese das Bedürfnis haben, „den Frieden mit Streitkräften zu verteidigen, die ihnen nicht nur die fürchterliche Option der nuklearen Eskalation lassen.” Deshalb müsse „eine Position wirklichen konventionellen Gleichgewichts und überlebensfähiger Zweitschlags-Nuklear-kräfte” (zum Zwecke der Abschreckung gegen Nuklearwaffeneinsatz des Gegners) angestrebt werden.
Eine solche,.Position und Politik des Verzichts auf Ersteinsatz könnte auch mithelfen, den Weg in Richtung auf eine ernsthafte Verminderung der Kernwaffen auf beiden Seiten freizumachen”, sagen die vier Amerikaner.
Ihre Vorschläge sind gar nichts
Neues. Vor 30 Jahren bereits versuchte sich die NATO bei der Konferenz von Lissabon darauf einzuschwören, durch Aufstellung von 90 NATO-Divisionen im Bereich der konventionellen Streitkräfte mit dem Osten gleichzuziehen. Vor allem ein Kosten-Nutzen-Denken (Vorrang für Kernwaffen gegenüber dem Ausbau der teureren konventionellen Streitkräfte) führte jedoch dazu, daß ein anderer Weg eingeschlagen wurde, der nicht erst heute so heftig kritisiert wird: Abschreckung durch Ersteinsatz von Kernwaffen auch gegenüber einem „lediglich” konventionellen Angriff.
Also ein großes Plädoyer für technokratisches Denken? Nein! Es war hoch an der Zeit für ein Aufbegehren gegen technokratisch dominiertes Denken auf einem so gefährlichen Gebiet. Aber es gibt eben keine Einfach-Lö-sungen für den Frieden.
„Mit heißem Herzen und kühlem Kopf” muß man an dieses Thema herangehen; dafür werden neue Koalitionen notwendig sein (vgl. FURCHE 16/82 „Groteske Barrikaden” bzw. 18/82 „Dialog der Friedfertigen”). Das ist kein Betätigungsfeld für ungezügelte Heißsporne, so verständlich deren Ungeduld auch sein mag, aber ebenso wenig eine Aufgabe, die man allzu „cool” der Sache gegenüberstehenden Technokraten überlassen dürfte.
Für den Frieden ist mehr getan, wenn man sich ernsthaft mit Vorschlägen wie dem angeführten beschäftigt und noch mehr, wenn man sich auf das mühevolle, wenig spektakuläre und unbedankte Gebiet von Rüstungskontrolle oder Konfliktforschung begibt, als wenn man mit noch so gutem Willen alles auf die Karte des unerreichbaren Zieles eines sofortigen absoluten Friedens setzt. /
Oberst Danzmayr ist Kommandant'der 9. Panzer-Grenadierbrigade des Bundesheers.
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